In den letzten Tagen ist so gut wie alles über David Bowie geschrieben und gesagt worden. Über seinen immensen Einfluss auf die Musikwelt. Über seine unzähligen Wandlungen und Verwandlungen. Sein aktuelles Album „Blackstar“ wurde zu seinem Vermächtnis hochstilisiert.
Die Texte dieses musikalisch komplexen und experimentellen Albums erschienen der breiteren Masse plötzlich eindeutig. Vormals rätselte man über die kryptischen Texte, jetzt war alles über Nacht deutlich und glasklar geworden. Es gab keinen Interpretationsspielraum mehr, keine nicht eindeutigen Passagen. Das Video zu „Lazarus“ war zudem das filmische Dokument eines sterbenden Menschen.
„Blackstar“ ist dringlich, intensiv, musikalisch mit seinen allerbesten Aufnahmen und Alben auf eine Stufe zu stellen. Seine voranschreitende Krebserkrankung hat einen Musiker, der in den letzten 20 Jahren nicht nur Geniales, sondern auch Mittelmäßiges auf die Welt losgelassen hat, dazu bewegt noch einmal aufs Ganze zu gehen und kurzerhand seine Band von seinem Comeback-Album „The Next Day“ komplett auszutauschen und durch New Yorker Erste-Liga-Jazzer zu ersetzen.
Das wird von David Bowie bleiben
Es ist legitim über all das hier Genannte ausführlich zu schreiben. Doch all die Spekulationen, Vereindeutigungs-Versuche in der Analyse von Video-Clips, Musik und Texten arbeiten sukzessive an der Demontage des Konzeptes, für das David Bowie Zeit seines Lebens stand. Er gab in den letzten Jahren keine Interviews mehr. Die reale Person Bowie, mit seinem Leiden und seiner nunmehr bekannt gewordenen Krebserkrankung die 18 Monate andauerte, war und ist für sein Werk sekundär. Bowie ist nicht der reale Mensch. Er ist seine Figuren, seine Kunst, seine Inszenierungen, seine Werke.
Die Frage nach der tatsächlichen Person Bowie läuft ins Leere. Die Interpretation von „Blackstar“ als seine letzte, dringliche, von schwerer Krankheit gezeichnete Platte möchte der Person hinter dem Werk habhaft werden und setzt dieses ansonsten nicht oder kaum vorhandene Wissen über die reale Person Bowie als Interpretations-Werkzeug ein, das kaum mehr abweichende Interpretationen zulässt. Man kann somit davon ausgehen, dass Bowie seine Krebserkrankung geheim gehalten hat, um solche vereinfachenden und wenig zielführenden Auslegungen zu vermeiden.
„I´m a starstar, I´m a Blackstar” formuliert David Bowie in dem Titellied des aktuellen Albums. Voran geht dieser Aussage die Feststellung, dass er auch kein „Pop-Star“ sei. Es liegt die Interpretation nahe, dass Bowie mit dem „schwarzen Stern“ sich selbst als sterbenden, verglühenden Stern beschreibt. Vielmehr spiegelt sich aber in diesem Bild die Idee hinter seinem Schaffen schlechthin wider. Jeder Versuch einer Festlegung, welche Art von Stern Bowie ist, scheitert und wird scheitern.
Er ist ein „Sternstern“, eine leere, schwarze Fläche, die zugleich Abwesenheit und Substanz symbolisiert. Er ist der, der er ist, vor allem aber seine Inszenierung. Es gäbe nichts, was sich dahinter verbirgt, nichts was man erschöpfend interpretieren und verstehen könnte. Im Moment der Greifbarwerdung von Substanz, Präsenz und Realität hinter den Kunstfiguren von Bowie entzieht sich die Interpretation. Bowie ist nicht, er wird. Bowie ist Substanz, die sich immer wieder verflüssigt.
Das schlimmste, was nach seinem Krebstod bleiben könnte ist die Behauptung, dass auch die Kunstfigur Bowie nur ein Mensch war, der geliebt und gelitten hat und letzten Endes den Kampf gegen eine heimtückische Krankheit verloren hat. Auch die menschliche Betroffenheit angesichts seines Todes müssen wir ganz weit wegschieben. So schnell wie möglich. Kaum jemand, vermutlich niemand im engeren und weiteren Umfeld, hat Bowie oder gar seine Familie persönlich gekannt. Wir verlieren somit keinen realen, lieben Menschen. Der Verlust für die Musikwelt und für Musikhörer hingegen ist immens.
Die Frage nach dem, was bleibt, ist virulent. Möglicherweise eine handvolle großartiger Platten und ein ebenso fantastisches Vermächtnis mit dem Namen „Blackstar“. Wir könnten die nächsten Tage und Wochen damit verbringen sein aktuelles Album zu interpretieren und mit unserem Wissen um seinen Tod neu auszulegen. Wir könnten von seinem Spätwerk ausgehend sein Frühwerk neu lesen oder umgekehrt. Das würde uns die Illusion geben, dass wir sinnhafte Querverweise finden und schlussendlich zu seiner sinnvollen, eindeutigen Leseweise der Entwicklung dieses Musikers finden.
Wenn nur das bleibt, dann haben wir David Bowie falsch verstanden. Weil wir überhaupt erst versucht haben zu verstehen, Sinn und Kohärenz zu konstruieren. Bowie ist der große Abwesende und Sich-Entziehende in seinem eigenen Werk. Uns bleibt also „nur“ sein Werk, dessen Vieldeutigkeit und dessen enormen Komplexität, die sich nicht auf einen Nenner oder einen letzten Sinn reduzieren lässt.
David Bowie ist und bleibt der große Stern der Komplexität des kulturellen Geflechts und der endlosen Möglichkeit einer damit in Verbindung stehenden Inszenierung, Neu-Interpretation und Aneignung. Das müssen wir in Erinnerung behalten. Das soll uns inspirieren. Genau das sollte bleiben.
Titelbild: You-Tube (Screenshot)
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Klug und treffend!