Die Musik von Sophie Hunger fällt aus dem Rahmen. Dieser metaphorische Rahmen ermöglicht im Normalfall eine eindeutige und geradlinige Interpretation und Zuordnung von Werken. Fällt Musik aus dem Rahmen, wird oft geschrieben, dass sie sich zwischen allen Stühlen bewegen würde.
Tut sie das, dann ist oft nicht eindeutig, ob es nicht zutreffender wäre davon zu sprechen, dass sich diese Art von Musik zwischen Genres hin und hier bewegt. Sie würde sich dann nicht zwischen allen herbeigeschriebenen Stühlen befinden, sondern von Stuhl zu Stuhl wechseln. Sie wäre unruhig, aber ohne klare Identität. Sie wäre zwar vielfältig, hätte aber keinen roten Faden.
Die Musik von Sophie Hunger ist anders. Sie hat Identität. Sie ist eindeutig, obwohl sie deutliche und klare Zuordnungen zu einem bestimmten Genre scheut wie der Teufel das Weihwasser. Es ist beinahe unmöglich einen klaren Bezugsrahmen zu finden.
Die Frage, in welchem Kontext man die Musik von Sophie Hunger verorten könnte, geht merkwürdig ins Leere. Sie wurde zwar 1983 in Bern geboren, als Diplomatentochter wuchs sie aber nicht nur dort, sondern auch in London, Bonn und Zürich auf. Ihr Vater war zugleich von Jazz und von Punk begeistert. Sowohl das Leben an verschiedenen Orten als auch die musikalisch vielseitigen Einflüsse müssen ihren Anspruch an Musik und ihre Kompositionen mitgeprägt haben.
So klingt die Musik von Sophie Hunger
Diese vermeintliche Unruhe, das Unstete und Wandelbare hört man ihrer Musik im Heute mehr als je zuvor an. Obwohl die Musikerin derzeit in Berlin lebt, ist „Supermoon“ weder dort entstanden noch dort aufgenommen worden. Das erschöpfende Tour-Leben der letzten Jahre hatte sie den Entschluss fassen lassen, eine Auszeit in Kalifornien zu nehmen. Dort komponierte sie die Lieder für das aktuelle Album, das wiederum in San Francisco und Brüssel eingespielt wurde.
In der Musik darauf kulminiert das, wofür Sophie Hunger seit jeher stand: Für französischsprachige Songs, die mehr als nur ein bisschen vom mit dem Chanson verbundenen Baum der Erkenntnis genascht haben. Für deutschsprachige Songs, denen jeglicher platter Pathos der Marke Xavier Naidoo vollständig fehlt, die aber dennoch tief in die Trickkiste der (echten) Emotionen greifen. Außerdem ist ihre Musik spätestens auf dieser Platte nicht mehr kategorisierbar. Sogar ein Song auf Schweizerdeutsch ist darauf zu finden.
Allein das Lied „Die ganze Welt“ hat schon das Potential einen umzuhauen. Denn noch eines ist mit „Supermoon“ passiert. Sie hat auf dieser Platte mit dem Gitarristen Geoffrey Burton einen Musiker zur Hand, der die Grenzen des Indie-Rock deutlich sprengt. Wie er mit Klängen, Sounds und den Songs umgeht erinnert eher an experimentierfreudige Klangtüftler aus der großen Stadt mit den Namen New York. Alles, was jemals „provinziell“ und „schweizerisch“ an ihrer Musik geklungen haben mag ist mit den Musikern und der Musik dieses Albums endgültig Vergangenheit. Entstanden ist ein Genre-Hybrid aus Folk, Rock, Pop, Jazz, Chanson, Volkslied und einigem mehr.
Dass diese auf Papier wild und chaotisch klingende Mixtur in so vielen Kontexten funktioniert und als verständlich und verstehbar wahrgenommen und gehört wird, ist die große Stärke der Songwriterin Sophie Hunger.
Im Auge des Orkans findet man hier nämlich vor allem gut komponierte, intelligente und explizit experimentelle Songs vor, die aber nichts mit Avantgarde oder dem Kaputtschlagen von bekannten Strukturen zu tun haben wollen. Eher ist es eine sanfte Verschiebung des Bekannten ins weniger Bekannte. Eine kryptische Textzeile da, ein dissonanter Klavierakkord dort. Den einen oder anderen unerwarteten Gitarrensound wird das findige Ohr auch nur allzu leicht finden.
Sophie Hunger schreibt Musik, die ins Ohr geht und zugleich geschickt mit Erwartungshaltungen spielt. Sie irritiert ihre Hörer nicht, nimmt aber nicht immer die einfachste und naheliegendste Abzweigung. Mehr als nur einmal weicht sie vom üblichen Song-Schema ab, den man bei auf den ersten Blick vergleichbaren MusikerInnen hören kann.
Nicht selten kommt es vor, dass die übliche popmusikalische Harmonik zugunsten von Jazz-Anleihen in den Hintergrund gestellt wird. Hunger macht das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass man ihr gerne zuhört und folgt. Möglicherweise macht sie Popmusik für Menschen, die keine Popmusik mögen. Vielleicht aber auch eine Art Jazz für Menschen, die Jazz ansonsten nicht einmal mit den Samthandschuhen anfassen würden. Wahrscheinlich ist es auch, dass Chanson-Liebhaber einiges in ihrer Musik finden würden, das ihnen zusagt.
Diesen Hörern könnte (wird) ihre Musik gefallen
Das alles unterstreicht die hier anfangs formulierte Behauptung, dass ihre Musik aus dem Rahmen fallen würde. Diese Behauptung trifft definitiv zu und klammert dennoch etwas aus, das für die Beschreibung der Musik von Sophie Hunger ganz grundlegend ist. Sie fällt zwar aus dem konventionellen Interpretationsrahmen, doch bewegt sie sich nicht jenseits des Rahmens, sondern in einer Vielzahl und bunten Fülle von Rahmen. Schlicht und einfach schon deshalb, weil es ihr ihre Musikalität erlaubt und weil sie die üblichen musikalischen Einschränkungen nicht kennt. Sie kann sich zwischen Stilen bewegen und Möglichkeiten ausschöpfen, von denen vergleichbar klingende Bands zu einem großen Teil nur träumen können.
Zusammengehalten wird all das von der hier schon angedeuteten starken Identität ihrer Musik. Sophie Hunger springt nicht willkürlich zwischen Genres und Stilen hin und her, sondern benutzt diese damit verbundenen Möglichkeiten um sich als Musikerin und Künstlerin zum Ausdruck zu bringen. Daraus ergibt sich ein hochgradig genießbares, sinnliches und musikalisch erstklassiges Musik-Gemisch, das sowohl am Montreux Jazz Festival als auch für FM4-Hörer funktioniert. Ihre Musik ist anspruchsvoll genug, um dem an abwegiger Harmonik interessierten Jazz-Hörer zu gefallen, aber auch eingängig und treibend genug, um im Indie-Radio nicht unterzugehen.
Es ist dennoch denkbar, dass die Musik von Sophie Hunger nicht für jedermann und jederfrau aufgeht. Man muss sich darauf einlassen. Auf die puren Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks und die emotionalen Achterbahnfahrten des Gefühlslebens von Frau Hunger. Man sollte ihre musikalische Offenheit teilen. Wer lieber Grenzen und Konventionen mag, wird mit ihrer Musik nicht glücklich werden. Für jene aber mit offenen Ohren und dem Wunsch nach guten Songs mit klaren, aber nicht banalen Melodien und Spannungsbögen geht hingegen mit der Musik von Sophie Hunger ein lang gehegter Traum in Erfüllung.
Titelbild: Frank Hoensch
KONZERT-TIPP! Sophie Hunger spielt bald auch in Österreich. Am 28. Februar ist sie im Salzlager in Hall in Tirol live zu erleben. FM4 Indiekiste mit SOPHIE HUNGER @ Salzlager Hall. (Konzert-Tipp| presented by Weekender)