Bigband und die Stars
Lady Gaga hat es getan. Auch Robbie Williams hat schon darauf vertraut. Unzählige andere Künstler aus dem erweiterten Pop-Kontext haben Versuche dahingehend unternommen. Vielleicht aus Überdruss. Möglicherweise weil ihnen der Klang gut gefallen hat. Unter Umständen aber auch aus Nostalgiegründen mit dem ehrenwerten Anliegen, alte Standards einem neuen Publikum vorzustellen.
Es ist auch denkbar, dass damit eine Art von Distinktionsgewinn verbunden ist. Wer mit einer echten und hochkarätigen Bigband auftritt, kann kein schlechter Musiker sein und erhebt sich somit vom mittelmäßigen Pop-Star zu einem Musiker, der mit anspruchsvoller Musik quasi auf Du und Du ist.
Aufgrund dieses Eindringens in den Musik-Mainstream kann man davon ausgehen, dass der Klang einer Bigband wieder mehr Musikhörern im Ohr ist, als es noch vor wenigen Jahren der Fall gewesen war. Bigband-Musik swingt, groovt und hat einen virilen Anstrich. Nicht nur, weil sie fast ausschließlich von Männern komponiert, dirigiert und interpretiert wird.
Der Klang einer Big-Band ist größtenteils mächtig, treibend, laut. Wer einmal bei einem Bigband-Konzert gewesen ist versteht augenblicklich, warum, neben all den anderen hier bereits angedeuteten Gründen, sich Pop-Stars im Heute mit einer Big-Band auf die Bühne stellen. Der Klang einer solchen Band hüllt ein, ist Präsenz und Energie in seiner reinsten Form.
Die Bigband im Heute hat vor allem zwei Probleme. Zum einen wird sie fast ausschließlich in nostalgischen Zusammenhängen zum Einsatz gebracht. Wenn Lady Gaga sich mit Tony Bennett zusammentut müssen die interpretierten Gassenhauer und Evergreens selbstverständlich von einer guten, swingenden und groovenden Bigband gekonnt und authentisch in Szene gesetzt werden.
Andererseits wird der Klang einer Bigband vor allem in akademischen Kreisen forciert, geformt und weiter getragen. Wer als Jazz-Student nicht mindestens ein paar Monate in einer Big-Band gespielt hat, ist eigentlich kein Jazz-Musiker.
Bigband in Tirol
Es lohnt sich vom eigenen Standort, Innsbruck, auszugehen. In Innsbruck lässt sich nämlich der Klang einer Bigband immer wieder erleben. Vor allem in der „Cantina Vecchia“ , in der erst gestern die „CTNO“ den legendären Bigband-Boss und Komponisten Peter Herbholzheimer ins Zentrum ihres Musizierens stellte. Man ahnt es schon. Diese Musik groovt, ist leichtfüßig, swingt an den richtigen Stellen und gibt auch den Solisten genügend Freiraum, um immer wieder zu glänzen und dazu Szene-Applaus zu ernten.
Tatsächlich waren die Kompositionen streckenweise hochinteressant, komplex und doch zugänglich, schwer und doch federleicht. Das Gefühl einer bierernsten Avantgarde ist hier so weit weg wie nur möglich – obwohl Peter Herbholzheimer für damalige Verhältnisse natürlich zum Teil kompositorisches Neuland betreten hat. Es war ihm schlicht und einfach kein Anliegen, diese Neuerungen hervorzustreichen. Dann doch lieber Groove und Zugänglichkeit.
Diese Musik ist generös, einladend und doch anspruchsvoll genug, um den professionellen Musikhörer zu fesseln. Dass am gestrigen Abend vor allem die Solisten Florian Bramböck und Martin Ohrwalder glänzten braucht eigentlich gar nicht weiter ausgeführt werden. Die beiden gehören zum Besten, was Tirol in Sachen Trompete und Saxophon derzeit und seit längerer Zeit hergibt.
Dennoch wusste man zu jedem Zeitpunkt, in welcher Stadt und an welchem Ort man sich gerade befand. Das war Innsbruck, zu keinem Zeitpunkt New York oder zumindest Frankfurt. Noch nicht einmal Graz, in dem mit der „Jazz Bigband Graz“ eine Bigband von europäischem Rang beheimatet ist. Auf hohem Niveau wurde diese Musik verwaltet, vorbildlich und mit der notwendigen Subtilität und Virtuosität zur Freude des tendenziell angegrauten Publikums vorgetragen. Die Funktion dieses Abends war klar. Es sollten hörenswerte, etwas in Vergessenheit geratene Kompositionen vorgestellt werden.
Das ist löblich, aber auch ein bisschen langweilig. Zumal, wenn die anwesenden Gäste ohnehin zu 90 % aus Jazz-Hörern bestehen, denen einige dieser Kompositionen nicht vorgestellt hätten werden müssen. Das Publikum war eine Mischung aus älteren, möglicherweise gut betuchten Jazz-Hörern und einigen jungen Leuten, die zum überwiegenden Teil selbst Musiker waren. Die These der „Akademisierung“ der Bigbands greift hier voll. Ausgebildete Musiker spielen Musik von großen Bigband-Komponisten für ausgebildete Musiker. Ob das zukunftsweisend ist, wird sich zeigen.
Bigband in der Welt
Wenn schon in Innsbruck eher verwaltet als neu gedacht wird, dann muss sich der Blick in die weite Welt richten. Denn dort wird gerade ein Bigband-Revival vorbereitet, das weit über die Tendenzen im Mainstream und über die lokale Verwaltung von Bigband-Kompositionen hinausgeht. Vor allem drei Namen müssten dabei genannt werden: Maria Schneider, Steve Coleman und John Hollenbeck.
Maria Schneider ist der Prototyp einer Komponistin, die die Grenzen und Konventionen einer Bigband nicht akzeptiert. Vielmehr nutzt sie die Klangmöglichkeiten einer Bigband voll aus, erweitert diese und tut vor allem eines, was in dieser Szene eigentlich unerhört ist: Sie treibt der Bigband die Virilität aus und ersetzt diese mit weitaus differenzierten, lyrischen und klangschöpferischen Ideen. Ihre Musik ist so melodisch wie komplex, so avantgardistisch wie nachvollziehbar, so schön wie abgründig.
Auf „The Thompson Fields“ ist ihre Musik hochgradig erzählerisch, sie evoziert Bilder der Natur, welcher auf dieser Aufnahme ein klangliches Denkmal gesetzt wird. Saxophone klingen wie singende Vögel, Trompeten genauso sehr nach New Yorker Modern-Jazz wie nach sehnsuchtsvoller, verträumter Folklore. Elemente klassischer Musik, Folklore, Pop, Modern-Jazz und nostalgische Bläser-Sätze die an die goldenen Zeiten des Bigbands-Sounds erinnern wirbeln wild durcheinander. Doch daraus entsteht kein Chaos, sondern ein warmer, homogener Sound, der avantgardistische Brüche mit dem unglaublich ausdifferenzierten Klangbild dieser außergewöhnlichen Bigband abfedert und hörbar macht.
Auch der geniale Musiker und Komponist Steve Coleman treibt die Entwicklung eines neuen Bigband-Sounds voran. Freie Improvisationen, afroamerikanische Einflüsse und rhythmische Komplexität kennzeichnen sein Album „Synovial Joints“. Mit dem klassischen Bigband-Sounds, der so vielen heute im Ohr ist, hat das nur noch wenig zu tun.
John Hollenbeck ist ein weiterer Vordenker eines möglichen, noch auszuformulierenden Bigbands-Sounds der Jetzt-Zeit. Mit den Alben „Songs I Like A Lot“ und „Songs We Like a lot“ hat er zwei maßgebliche Werke der letzten Jahre in diesem Genre hervorgebracht. Auf diesen arbeitet er mit einer deutschen Bigband zusammen, die immer wieder weltweit für Furore sorgt: mit der „hr-Bigband“ aus Frankfurt. Zum Teil geht John Hollenbeck hier von einfachen, bekannten Melodien aus und verdichtet und intensiviert diese so lange, bis ein neuer, bunter Klangteppich entsteht, der mit eigenen kompositorische Elemente fein und komplex weiter gewebt wird. Er scheut weder davon zurück, konventionelle Bigbands-Sounds zu integrieren noch davor, sich weit in sphärische und untypische Gefilde vorzuwagen.
Wer diese Alben gehört hat, der weiß, was möglich ist und möglich wäre. Der geht dann, ein wenig frustriert, zu Konzerten in Tirol und kann dort zumindest die Geschichte und Historie des Bigband-Sounds lernen. Denn ohne Tradition und ohne Geschichte kommen natürlich auch obige Platten nicht aus. Sie hängen nicht in einem luftleeren Raum und kommen aus dem Nichts, sie nehmen Stränge aus der Tradition der Bigbands auf, fügen diese neu zusammen und integrieren neuartige, innovative Aspekte und Ideen.
Was bleibt abschließend zu sagen? Die Bigbands sind ganz sicherlich nicht tot, ihre Musik riecht aber möglicherweise ein bisschen komisch. Ob sie diese ausschließlich mit der gutklassigen Interpretation von den unzähligen lokalen Bigbands in Tirol und anderswo am Leben erhalten lässt, ist fraglich.
Es braucht Impulse. Es braucht Vordenker. Es braucht Visionäre. Es muss Orte geben, an denen die Entstehung von Geschichte und geschichtsträchtigen Bigband-Kompositionen hörbar und erlebbar wird. Möglicherweise ist das gerade, mal wieder, New York. Der Traum, dass dies auch ein wenig in Tirol erlebbar wird, ist vielleicht utopisch. Aber wünschenswert wäre es. Möglicherweise muss der „klassische“ Bigband-Sound auch sterben, um zu neuer Blüte zu kommen. Dann wäre der Ausruf klar: Die Bigband ist tot, es lebe die Bigband!
Zum Reinhören
https://www.youtube.com/watch?v=kTjVrC8ufgE
https://www.youtube.com/watch?v=ojeKI3ulxnU
Titelbild (c) Columbia Records
Servus Markus,
schön daß du dich mit diesem Thema beschäftigst!
Das Jazz Orchester Tirol, das ja ziemlich ähnlich dem CTNO ist, hat schon andere Musik auch in seinen Büchern, hast du die CDs schon gehört?
Die Musik in der Cantina Vecchia hat Unterhaltungsfunktion, daß das museal ist ist allen klar. Im Musikbetrieb ist soviel museal…
Die „Gagen“ die die Musiker in der Cantina bekommen sind sehr!bescheiden (haben für Stefan Fritz und Andreas Reiter aus dem Unterland kommend Benzingeldhöhe) mehr als einmal proben in ein paar Probenstunden geht sich nicht aus.
Steve Coleman hat ein Mac Arthur Stipendium in Höhe von 625.000 Dollar über 5 Jahre bekommen, die Ünterstützung der Jazz Big Band Graz durch Stadt, Land und Bund ist sicher mindestens das zehn-, wenn nicht das zwanzigfache des Jazzorchester Tirol, die Big Band des Hessischen Rundfunks kostet, ich schätz mal, 120.000 Euro/Monat…
Wir arbeiten an einem neuen Programm, mit unseren Mitteln…
lg
F. Bramböck