Letzten Sonntag ist in München an der Staatsoper „Southpole“ uraufgeführt worden. Leider habe ich es nicht mehr in die erste Vorstellung geschafft. So ein Mist: Premiere verpasst, Uraufführung verpasst, Weltpremiere verpasst! Ich bin nicht dabei gewesen! Also gehe ich online. Mal sehen, was ich noch zusammenstoppeln kann. Vielleicht merkt ja keiner, dass ich gar nicht da war. Online fühle ich mich dann doch irgendwie ertappt. Offensichtlich haben die Marketingstrategen der Staatsoper auf mich gewartet. „Southpole“ ist nämlich für die elektronische Generation gemacht. Das sagt der Komponist, ein Tscheche namens Miroslav Srnka.
Staunend und erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass „Southpole“ Alles hat, was ich so brauche, um mit meinem Tablet glücklich zu werden: Einen Blog, eine Internetseite und einen Videomitschnitt von „Southpole“. Das Video ist inklusive Interviews mit den Protagonisten und einer Kurzeinführung. Und auch wenn das hier jetzt so ganz einfach steht, verbirgt sich dahinter eine kleine Revolution! Denn Southpole kommt ohne die üblichen Versteh-, Bezahl- und Realschranken aus. Ihr könnt sie einfach online gucken. Das heißt, Ihr sitzt mit Eurem Laptop auf den Knien auf dem Sofa und schaut ein Onlinevideo. Ihr lacht gelegentlich, wenn Ihr die Witze lustig findet, ihr geht mal kurz zurück, wenn Ihr etwas nicht verstanden habt, und ihr lasst es sein, wenn ihr etwas Besseres zu tun habt!
Damit ist den „Southpole“-Machern etwas ziemlich Einzigartiges gelungen. Sie haben – endlich – die Gattung Große Oper von ihrem Sockel geholt. Und damit ihr es wirklich glaubt, unternehmen wir jetzt den elektronischen Selbstversuch und erforschen diese Oper ausschließlich online!
TEIL 1: Der Selbstversuch beginnt
Die Quelle der Macht. Die Startseite. Hier geht es also los.
Wir landen hier. Auf dem Südpol-Blog der Bayerischen Staatsoper. Da ich mich gerne über Trailer informiere, zum Beispiel welchen Film ich mir im Kino anschauen will, wähle ich aus dem großen Angebot den Trailer aus. Und den schau ich dann im Vollbildmodus! Im Trailer gibt es Opernausschnitte, ich erfahre, dass Thomas Hampson und Rolando Villazon Scott und Amundsen sind und als die Helden des Geschehens gegeneinander antreten. Die Frage (… äh Challenge heißt das jetzt, oder?): „Wer ist zuerst am Südpol?“. Szenisch wird das durch zwei verschiedenen Teams dargestellt, die die ganze Zeit über quasi parallel und unabhänig voneinander agieren. Scott – also Villazon – mit seinem Team in Schwarz, daneben Amundsen – Thomas Hampson – in grau. Der Norweger Amundsen war ja mit seinem Team erfolgreich. Er ist deswegen auch von Anfang an der Vernünftige, mit den besseren Entscheidungen. Bei ihm muss alles schnell gehen und effizient. Nebenan bei den Engländern wird Ball gespielt. Klar, das kann ja nichts werden.
Besonders zuschauerfreundlich sind die eingeschnittenen deutschen Übersetzungen. Und noch freundlicher sind die umgangssprachlichen Dialoge, die uns genau da abholen, wo wir stehen: Beim unterhaltsamen Filmeabend, der schnell und witzig, konsumorientiert und für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne gemacht ist.
Deswegen gehe ich auch jetzt aus dem Trailer raus und zurück zu meiner Suche. Ich nehme das zweite Suchergebnis. Und komme hier hin: Staatsoper. Hier informiert mich die Staatsoper über die vielen verschiedenen Formate, die mir helfen sollen, mehr über die Oper zu erfahren. Ich scrolle einfach mal ganz runter, für einen kurzen Überblick und finde dann diesen Satz von Miroslav Srnka, dem Komponisten: „Seit der Entscheidung für unser Sujet denken wir auch ganz spezifisch daran, dass mit South Pole Themen berührt werden, die die ‚elektronischen Generationen‘ ansprechen, wie z. B. das Physische und Sportliche oder die verschiedensten politischen und ökologischen Zusammenhänge. Und wir sind auch überzeugt davon, dass eine neue Oper auch neu präsentiert werden und dass dabei auch und vor allem die elektronischen Medien zum Einsatz kommen sollten.“ Das Physische und das Sportliche? – Ist das nicht doch ein bisschen hochgehängt? Oder meint er das (bitte, bitte, nicht) – etwa irgendwie philosophisch (so im Richard David Prechtischen Sinn)? Solche Sachen haben schon viele moderne Komponisten gesagt, und uns dann mit wilden Klängen gequält. Also neues Browserfenster (die alten lass ich stehen, sonst find‘ ich den Südpolblog nie wieder, haha).
Ha, und jetzt komm ich hier an bei meiner Suche. Auf Arte und der über zweistündigen Aufführung. Ich fang einfach mal an … dann finde ich den Vorspann zu langweilig und fahre einige Minuten vor! Ich bleibe bei den Interviews mit Villazon und Hampson hängen. Schon jetzt hab ich sie mit Amundsen und Scott identifiziert und das heißt: Villazon ist der Looser, deswegen gestikuliert er auch so wild – versucht sich aufzuwerten, klarer Fall. Hampson dagegen ist kühl und streng, er hat es ja auch geschafft! Mit viel Konzentration und Durchhaltevermögen ist er der starke Mann von „Southpole“. Merkt Ihr was? Auch hier funktioniert mein Denken wie beim neuesten Ocean’s Eleven. Die Darsteller und die Protagonisten verschmelzen zu einer Person.
Wie haben die das bloß gemacht bei der Staatsoper? Die müssen ein riesiges Team von jungen und hippen Strategen gehabt haben, um solch eine Maschinerie in Gang zu werfen, die dann auch wirklich funktioniert.
Mir wird es wieder zu langweilig – klar, kurze Aufmerksamkeitsspanne. Also wieder ein Stückchen nach vorne verschieben und jetzt bin ich mitten drin in „Southpole“, sehe die graue Crew von Hampson rechts und die schwarze von Villazon links und gucke jetzt einfach mal. Und ob Ihr es glaubt oder nicht: Es ist spannend, es ist lustig, es ist kurzweilig! Musik? Nebensache! Tatsächlich schaue ich dieses Video mit der selben Haltung wie die abendliche Krimis in der ARD-Mediathek. Dazu trägt vor allen Dingen die lockere Sprache des Librettos bei. Tom Holloway, ein Australier, macht hier nichts Anderes, als umgangssprachlich herumzureden. Es ist einfach unglaublich!
Das Ganze wird dadurch noch verstärkt, dass die Bühne schwarz umrandet ist, mehr oder weniger quadratisch. So kann man das prima im Tablet gucken – eigentlich IST die Bühne ein Tablet. Dass Kyrill Petrenko sich unterhalb davon mit seinen Musikern abarbeitet – geschenkt! Dass drumherum das Premierenpublikum im roten Plüsch versinkt und seine Perlenketten ruhig hält – sei’s drum. Ich bin einfach platt! Oper verfügbar! Es funktioniert!
TEIL 2: Die Gegenprobe – die Oper LIVE
Meine Freundin Eva WAR in der Aufführung. Ganz lebendig und im Maßstab 1:1 ist sie dahingedackelt. Abo, 2. Reihe Parkett. Wenn sie nicht Alles mitgekriegt hat – wer dann? Also reden wir. Die Versuchsanordnung: Weiß sie irgendetwas, was ich nicht weiß? Villazon hat so eine unglaubliche Bühnenpräsenz, sagt sie. Die Augen fallen ihm ja fast aus dem Kopf. Und diese Augenbrauen. Da kann Theo Weigel einpacken! (Mal wieder)- Und ansonsten? – Es war keinen Moment langweilig. Die Dialoge waren einfach so spannend. – Und wir habt Ihr die mitbekommen? – Wurden oben eingeblendet. Rechts für Team Hampson, links für Villazon und seine Mannschaft. – Der Orchestergraben war gepackt voll. Da passt wirklich niemand mehr rein. – OK, da hab ich nicht so wirklich drauf geachtet. – Und die Musik war klasse, manchmal hat es regelrecht geknirscht. – Wie Eis? – Genau, wie Eis. – Und wie hat das Publikum so reagiert? – Es war absolut still. – Naja, das soll wohl auch so sein. – Nein, du hast einfach gemerkt, dass wirklich jeder das Geschehen intensiv mitverfolgt. Oft ist ja sonst so, dass du kurz mal abdriftest, gerade wenn du die Oper schon kennst. – Echt? (Haha). Und wir fandest du die Sänger?
Und jetzt wird es interessant. Wir fanden nämlich beide, dass Villazon einfach ein bisschen abgefallen ist gegenüber Hampson. Und das fällt uns wirklich schwer, einzugestehen, denn normalerweise, also im richtigen Leben, ist Villazon der Sänger, den wir gegenüber einem amerikanischen Bariton immer vorziehen würden. Und dann erfahre ich etwas, was ich wirklich noch nicht wusste! Trotz intensiver Recherche. OK, aber ich bin auch keine Sängerin. Eva hat seit vielen Jahren Gesangsunterricht und tritt mit einem eigenen Trio auf. Und sie erklärt mir, dass auch die Partie von Villazon viele Passagen aufweist, die für einen Bariton geschrieben sind. Moment mal. Villazon ist doch Tenor? Ja, genau. Und das heißt im messerscharfen Schluss, dass er eine Partie lernen muss, die nicht immer zu ihm passt. In der er gar nicht durchweg glänzen KANN, weil sie seinen Fähigkeiten nicht entspricht. Und jetzt – na, seid Ihr schon so weit? – schauen wir mal, was das Southpolemäßig bedeuten könnte! Nämlich? Genau! Der Herr macht sich auf eine Reise, die für ihn eine Nummer zu groß ist. Also zu tief! Er hat eine Rolle übernommen, in der er nur mit Mühe auf Dauer zu seinem üblichen Volumen kommt. In der er sich wirklich quälen muss, um die tiefen Register einigermaßen hörbar zu machen. Und das strengt natürlich an. So kann man einfach nicht singen! Nicht auf Dauer. Dieser Extrembelastung hält auf Dauer keiner Stand. (c) Hösl
Und hier sind wir dann an einem Punkt, der das Eldorado für jede Musikwissenschaftlerin ist. Der Punkt, an dem Kunst und Leben eine Ehe eingehen, die so eng ist, dass nicht einmal mehr der Steuerberater dazwischen passt. In dem Komposition, Darsteller und Story sich zu einer einzigen Aussage aufschwingen – Richard Wagner hätte gesagt: Zum Gesamtkunstwerk verschmelzen. Aber lassen wir die alten Geschichten. Wir brauchen sie nicht! Die Neuen sind ganz allein lebensfähig, bzw. physisch und sportlich ansprechend (ähm, also hat er das jetzt eigentlich erklärt, der Miroslav Srnka?). Egal – ist alles elektronisch verfügbar!
TEIL 3: Schlussfolgerung
Und wie sieht jetzt das Ergebnis aus? Was ist mit meinem elektronischen Selbstversuch? Ganz einfach: Du brauchst nicht in die Oper zu gehen, um mit „Southpole“ Spaß zu haben. Wenn du jedoch richtig hinter das Geheimnis dieser Produktion kommen willst, solltest du mit jemand reden, der WIRKLICH Ahnung hat (Also vom Singen, nicht von Musikwissenschaft).
Fotos (c) Wilfried Hösl
Eine Oper im Internet anzuschauen ist vielleicht ganz informativ, kann aber niemals einen Live erlebten Opernabend ersetzen.
Hallo Kathrin, Du hast natürlich grundsätzlich Recht (Achtung, Politikerantwort, haha). Die ganze Stimmung in der Oper und auf der Bühne bekommt man über das Tablet nicht mit. Ich dachte an die vielen User, die nie in die Oper gehen, die noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen sind, dass etwas mit dem Label #staatsoper für sie interessant seint könnte. Für diese Klientel kann south pole ein Türöffner sein!
Ich will nicht behaupten, dass jemand anschließend in die Oper geht und auch nicht, ob er dadurch ein glücklicherer Mensch wird (das wäre dann wirklich eine Politikerantwort)! Es gibt auf dem tablet bei south pole einfach für Leute jenseits des kulturellen mainstreams auch mal etwas zu sehen!