Progression durch Reduktion

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Was ist eigentlich „progressive“ Musik? Darauf gibt es zwei mögliche Antworten. Fast sicher sogar noch einige mehr. Hier möchte ich mich aber auf zwei Möglichkeiten beschränken.
Progressive Musik ist der Versuch die Möglichkeit eines Tracks, eines Songs oder einer Komposition auszureizen. In dieser Bedeutung wäre das englische „progressive“ tatsächlich nur eine Strategie um ausloten zu können, wie weit man als Musiker gehen kann. Nicht nur mehr wäre mehr. Auch weniger könnte mehr sein.
Es ginge nicht darum, komplexe Riffs in gesteigertem Tempo bei gleichzeitig immer abgedrehter werdenden Rhythmen dar zu bieten. Auch Langsamkeit wäre dann eine Option. Sogar Reduktion. „Rockmusik“ könnte so lange mit Verfahren der Reduktion skelettiert werden, bis sie beinahe in sich zusammen bricht. Gerade Rhythmen könnten durch dezent schräge, verschrobene Grooves ersetzt werden. Ostentatives Virtuosentum könnte der kühlen Zurückhaltung weichen.
Die klarste Antwort darauf, was das der Zusatz „progressive“ bedeutet, wird aber immer wieder anders gegeben. Mit „Progressive Rock“ wird eine Ansammlung von Spielstrategien subsumiert, die sich zu einem Genre herausgebildet und über die Zeit verhärtet haben. Dream Theater können in dieser Hinsicht als Beispiel heranzogen worden, wie es klingt, wenn das Genre „Progressive Rock“ selbst bis zum Äußersten ausgereizt wird, anstatt dass der Begriff „progressive“ in seiner ursprünglichen Bedeutung zum Maßstab des eigenen Musikschaffens genommen wird.


 Die Band „Sonar“


Die Schweizer Band „Sonar“, mittlerweile auf einem amerikanischen Label beheimatet und von der internationalen Musikpresse mit Lob geradezu überschüttet, geht einen anderen Weg als die gerade genannten Haudegen und Helden eines etwas in die Jahre gekommenen Genres. Sie nehmen den Begriff und die damit verbundenen Haltungen und Ideen als Ausgangspunkt. Damit entsteht, auf ihrem aktuellen Album „Black Light“ zur Perfektion gebracht, progressive Musik im Sinne von einer Vielzahl von Strategien, die kompositorische Grenzen ausloten möchten.

Entwickeln vor allem live eine eigentümliche, hypnotische Macht (Bild: Stefan Thier)
Entwickeln vor allem live eine eigentümliche, hypnotische Macht (Bild: Stefan Thier)

„Sonar“ ist aber nicht nur eine Band, die „progressiv“ in diesem Sinne ist. „Sonar“ ist eine Band, die, aufgrund dessen, dass sie sich nicht verlocken lässt mit den vorgeschriebenen Mitteln der „progressiven Musik“ zu verfahren, absolut klischeefrei bleibt. Anstatt die Genre-Mittel aufzublasen, entwickelt sie ganz eigene Werkzeuge und Verfahren, um sich auf progressive Weise dem Medium Song, Komposition und Track anzunähern. Sie findet ihr ganz eigenes Werkzeug, um Songs zu skelettieren, zu verfremden und in ihren Möglichkeiten auszureizen.
Im Gegensatz zum Pathos vieler Acts im „progressiven“ Genre, der letzten Endes nur Ausdruck der Aufgeblasenheit eines Genres ist, wahren „Sonar“ kühle Distanz. Die einzelnen Verfahren in den Kompositionen werden nicht verschleiert. Es gibt wenig Geheimnisse und schon gar kein ausgestelltes Virtuosentum.
Ruhig und gelassen kann man diesen Kompositionen dabei zuhören, wie sie von anfangs konventionellen Strukturen ausgehend immer komplexer und verschrobener werden. Der Zuhörer fragt sich, wann der Moment erreicht ist, an dem diese Songs in sich zusammenbrechen. Sie tun es zu keinem Zeitpunkt. Aber allein die Möglichkeit, dass „Sonar“ Songs erschafft, die so wirken, als könnten es jeden Augenblick so weit sein, macht diese Musik unendlich spannend und faszinierend. Dass sie dabei eine ganz eigene Stimmung der Gitarre etabliert, verstärkt den Eindruck des „Ungehörten“ und Neuartigen.
Eine Band wie „Sonar“ hat es nicht immer leicht. Weil sie nicht mit Genre-Klischees und vorgefertigen Verfahren auskommt. Diesem Umstand verdanken wir es wohl auch, dass diese Ausnahmeband am 25.02. im „the early bird“ in Innsbruck zu sehen sein wird. In intimen, persönlichen Rahmen. Man könnte sich diese Band vorstellen, wie sie tausende Leute in ihren Bann zieht und mit ihren ureigenen Rhythmen in einen Art von Hypnose versetzt. Sie tut es (noch) nicht. Zumindest nicht in Österreich und schon gar nicht in Innsbruck.


 Zum Reinhören



Titelbild: (c) Reto Andreoli

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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