Musik, die auf Texte starrt

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 Musik und (das eigene) Leben


Die in New York lebende Komponistin Maria Schneider bezieht sich mit ihrer Musik nicht nur auf andere Musik. Sie bezieht sich vor allem auf die Natur, auf ihre Herkunft, auf die damit verbundenen Landschaften. Sie evoziert Bilder aus ihrer Vergangenheit. Obwohl sie schon seit Jahrzehnten in New York lebt, sind es die Felder und Wiesen ihrer Kindheit und Jugend, denen sie luzide, präzise und vor Schönheit fast berstende Kompositionen widmet. Diese Bezugnahme macht ihre Musik substantiell.
Dadurch wird möglich, dass jeder, der sich auf diese Bilder und auf diese Erinnerungen einlassen will, einen Zugang zu ihrer Musik findet. Ob der Hörer Jazz oder klassische Musik mag oder gänzlich andere Musikvorlieben hat ist dabei nebensächlich. Hinter den musikalischen Möglichkeiten und hinter dem „Handwerk“ befindet sich eine Welt, die voller Leben, Bilder und Geschichten ist. Ihre Kompositionen sind somit nur Brücken zu dieser Welt. Das macht ihre Musik substantiell.
Maria Schneiders Kompositionen erzählen von ihrem eigenen Leben. Von ihrer eigenen, für sie zum Teil nicht mehr zugänglichen Welt. Das macht ihre Musik auch sehnsüchtig, melancholisch und oftmals auch abgründig. Die Schönheit in ihrer Werken ist der Tatsache geschuldet, dass sie über eine immense Vorstellungskraft verfügt und die musikalischen Mittel voll ausschöpft um diese für den Hörer deutlich zu machen.
Es geht ihr nicht um persönliche, wehmütige Erinnerungen. Sie will die Landschaften ihrer Jugend wieder vergegenwärtigen und sie selbst demjenigen verständlich machen, der noch nie an diesen Orten gewesen ist. Man kann die Schmetterlinge dank ihrer Musik förmlich flattern sehen, die Blumen riechen und das Gefühl nachempfinden, wie es sich anfühlt endlos lange Spaziergänge in der Frühlingslandschaft von Windom in Minnesota zu machen.


 Musik und (fremde) Texte


Von gänzlich anderer Natur ist die Komposition von Florian Bramböck. Seine Kammeroper „Der Weibsteufel“ bezieht sich auf einen Text von Karl Schönherr. Unter der musikalischen Leitung von Seokwon Hong wählt er zur Umsetzung dieser Musik eine bemerkenswerte Besetzung. Ein Klavier, eine Violine, ein Cello, eine Klarinette und ein Hackbrett. Die komponierte Musik geht mit kammermusikalischer Intimität und Präzision mit dem Text von Schönherr um. Stimmlich weiß vor allem der „Jäger“ Johannes Wimmer zu begeistern, aber auch die „Frau“ Sophie Mitterhuber ist dank ihrer Bühnenpräsenz durchwegs überzeugend.

Präziser Text mit präziser Musik: Der "Weibsteufel" (Bild: Tiroler Landestheater)
Präziser Text mit präziser Musik: Der „Weibsteufel“ (Bild: Tiroler Landestheater)

Neben all den Fakten, die sich über das Stück und dessen musikalische Umsetzung sagen ließen ist vor allem eine Frage zentral: Gelingt es Florian Bramböck und seiner Komposition mehr als nur ein Erfüllungsgehilfe des Textes zu sein? Schafft sie es mehr zu leisten als „nur“ die kommenden Geschehnisse des Textes vorwegzunehmen, zu konterkarieren, mit den Erwartungshaltungen der Hörer und Zuseher zu spielen? Kann er mit seinem Leben an den Text andocken und gelingt ihm dadurch eine überzeugende Komposition?
Die Antwort darauf fällt nicht eindeutig aus. Seine Komposition ist musikalisch brillant. Konzis schneidert er dem Text Musik auf den Leib, verdeutlicht ihn wenn nötig und verwirrt stellenweise überaus geschickt die Hörer. Die Musik gleicht einem Bewusstseins-Storm, der das Innenleben der Charaktere auskleidet und deutlicher ausformuliert, als es im Text von Karl Schönherr angelegt ist.
Er denkt den Text weiter, ergänzt ihn, erweitert ihn um eine musikalische Ebene, die Schönherr damals garantiert nicht im Sinne hatte. Den Text mit Kammermusik zu vertonen, die zu gleichen Teilen von Jazz wie von klassischer Musik beeinflusst ist, ist zumindest kühn und begeistert auf einer strikt intellektuelle Ebene.
Nach der 1,5 Stunden währenden Premiere verlässt man somit begeistert die Kammerspiele. In der Überzeugung, etwas Ungewöhnliches und Außerordentliches gesehen und gehört zu haben. Allein: Kein einziges Motiv ist in Erinnerung geblieben. Man erinnert sich im Detail an keine einzige Passage.
Übrig bleibt die Erinnerung an die Gesamtatmosphäre dieser Kammeroper, an das perfekte Zusammenspiel von Bühnenbild, Schauspiel, Text und Musik. Vielleicht fließt die Musik zu sehr, ist zu organisch und zu selbstverständlich. Möglicherweise ist die Musik zu zurückhaltend und zu sehr dem Text verpflichtet. Danach stellt sich das Gefühl ein, virtuoses Handwerk erlebt aber wenig von der Person und dem Komponisten Florian Bramböck erfahren zu haben.
Das mag unter Umständen genau so intendiert gewesen sein. Ein wenig bedauern darf man es aber dennoch. Die Musik ist hier nicht Brücke zum Text und zu dessen immanentes Leben, sie spiegelt den Text. Wer sich weder für den Text noch für die Musik von Florian Bramböck interessiert wird nur schwer Zugang zu dieser Welt finden. Es ist Musik, die sich auf den Text bezieht und die musikalischen Mittel nach dessen Erfordernissen auswählt. Das ist schon viel, möglicherweise aber nicht genug um eine herausragende, bleibende Komposition geschaffen zu haben.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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