Plattenzeit #4: David Fiuczynski – Flam! Bam! Pan-Asian MicroJam!

6 Minuten Lesedauer

Die „westlichen“ Hörgewohnheiten


Es gilt als erwiesen. Die Musik ist in den letzten dreißig Jahren langweiliger geworden. Zumal, wenn wir von sogenannter „Pop-Musik“ reden. Haben sich die Beach Boys und die Beatles anno dazumal in Sachen Harmonik und Akkord-Auswahl noch etwas angetan, so regiert im Heute größtenteils die gähnende Gleichförmigkeit. Unsere Ohren haben sich an diese Tristesse gewöhnt.
Schlimmer noch: Vieles, das davon abweicht, was uns als vertraut und somit hörbar und hörenswert erscheint, wird als „falsch“ und als disharmonisch wahrgenommen. Nicht viele Menschen haben Lust und Laune, die eigenen Ohren und Hörgewohnheiten herauszufordern. Die wenigsten Musikhörer haben eine Vorstellung davon, was in Sachen Harmonik, Tonalität und Melodien noch alles möglich wäre, wenn wir den Kontext von „westlicher“ Musik verlassen oder zumindest erweitern würden.


David Fiuczynski und die Mikrotonalität


Unsere „westliche“ Musik funktioniert bekanntlich in Halbtonschritten. Obwohl in der sogenannten „Neuen Musik“ schon einige Schritte in Richtung Mikrotonalität unternommen wurden, haben sich die damit verbundenen Möglichkeiten noch nicht bis in den erweiterten Mainstream herumgesprochen. Zumindest dann, wenn man von einer verstimmten Gitarre und nicht intendierter Mikrotonalität absieht.
Jemand, der die Tür in Richtung Mikrotonalität sehr weit aufgestoßen hat, ist David Fiuczynski. Er ist Professor am renommierten „Berklee College of Music“. Dort leitet er das „Planet Microjam Institute“. Der Name ist Programm. Es geht um neue Beats. Mikrotonalität. Melodien und Tonleitern aus dem „Fernen Osten“, um Improvisation und um vieles mehr. All das mag für sich genommen schon existieren. In dieser Kombination ist es revolutionär.
Fiuczynski bringt außerdem nicht nur Virtuosität, Spielfreude und enormes spieltechnisches Können mit, sondern ist auch ein hervorragender Komponist. Sein Faible für Grooves macht seine Kompositionen überraschende zugänglich und einladend – auch wenn es im Detail zweifellos Wochen und ein abgeschlossenes Musikwissenschaftsstudium bräuchte, um seine Kompositionen im Detail zu analysieren.


Das Album “Flam! Bam! Pan-Asian MicroJam!”


Die jetzt vorliegende Aufnahme mit dem Titel “Flam! Bam! Pan-Asian MicroJam!” verdanken wir einem großzügigen „Guggenheim Fellowship“. Mit diesem Stipendium wird außergewöhnlich talentierten Menschen aus verschiedensten Kunstrichtungen und Disziplinen ermöglicht, bis zu einem Jahr möglichst frei und kreativ an ihrem Projekt zu arbeiten.
In den sozialen Netzwerken wendet sich Fiuczynski mit der Aussage an seine Hörerinnen und Hörer, dass ihn die Komposition dieses Werkes ein paar Jahre gekostet hat und dass diese Zeit sehr strapaziös gewesen sei. Schließlich hätte er alles, was er wisse, in diese Komposition gelegt.
Klingt diese Komposition jetzt artifiziell, überladen, aufgesetzt und letzten Endes unhörbar? Man könnte davon ausgehen, wenn ein renommierter Professor, Komponist und Gitarrist alles gibt und aus dem Vollen schöpfen möchte.
Die Befürchtung tritt nicht ein. Das Gehörte ist zugänglich, hochinteressante, herausfordernd aber nicht überfordernd. Zumal für Menschen, die mit dem Zustand der „westlichen“ Musik im Moment unzufrieden sind, ist das eine Aufnahme, die sie gehört haben sollten.
Auf diesem Album werden keine Gefangenen gemacht. Als Vorbild dient der Gesang von Vögeln, der Komponist Olivier Messian, der Hip-Hop-Produzent J Dilla, altertümliche japanische Musik und wohl nicht zuletzt auch Jazz und Funk.
Der Komponist hat sich, stark vereinfacht gesagt, die Arbeit angetan Vogelgesänge zu transkribieren. Kein einfaches Unterfangen, weil sich Vögel nur ungern an unsere „westlichen“ Tonleitern halten. Die daraus entstandene Musik ist fremdartig, irritierend, beim zweiten Hinhören aber doch natürlich und verständlich. Es groovt, es rumpelt, es tiriliert. Es tönt schräg, ungewohnt, aber niemals abweisend oder elitär.


Fazit


Mit dieser Platte wird die Tür in Richtung Mikrotonalität noch einmal weiter aufgestoßen. Wer sich jetzt noch beim Musikhören langweilt, ist letztlich selbst Schuld und hat diese Platte schlicht und einfach noch nicht gehört.
Denn eines ist klar: Das was hier vorgeführt wird, ist nur eine geniale Andeutung dessen, was noch möglich wäre. Diese Platte ist eine Zasäur und ein Meilenstein, aber ganz sicher kein Endpunkt. Sie wird offenen Musikern als Anleitung für kommende Experimente und Versuche dienen und hoffentlich das Jammern ein für alle Mal beenden, dass schon alles gesagt, gespielt und gedacht sei.

Hier geht es zu der vorangegangenen Folge von "Plattenzeit" 

Zum Reinhören


Titelbild: (c) http://www.planetmicrojam.com/, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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