Barbara Hannigan und die Klassikwelt
Die Zuschreibungen und Superlative in der Klassikwelt sind zwar gut gemeint, aber nicht Teil der Lösung, sondern das Problem an sich. Barbara Hannigan wurde 2012/2013 als „Sängerin des Jahres“ im nicht unbekannten Magazin „Opernwelt“ ausgezeichnet. Dass sie auch ansonsten mehrfach preisgekrönt ist, versteht sich dann fast von selbst.
Die Welt der klassischen Musik neigt nämlich dazu, sich selbst zu beweihräuchern und damit Ausschlüsse zu schaffen. Wer die obligatorischen Magazine nicht kennt oder bewusst nicht liest, ist von diesem Diskurs weitestgehend ausgeschlossen und verpasst folglich auch einige tatsächliche hörenswerte Sängerinnen und Künstlerinnen.
Barbara Hannigan ist eine solche Musikerin und Künstlerin. Nicht weil sie zur Sängerin des Jahres gekürt wurde. Auch nicht weil sie aus rein stimmlicher Sicht tatsächlich zu den besten Sängerinnen gehört, die auf diesem Erdball im Kontext der klassischen Musik zu hören sind. Sondern vielmehr deshalb, weil ihre Musikalität und ihr künstlerisches Engagement solche Zuschreibung locker transzendiert und Superlative als unbrauchbar und nicht ausreichend entzaubert. Nicht weil sie noch besser wäre. Nicht weil sie übermenschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten besäße.
Bei Barbara Hannigan ließe sich kein größerer Fehler begehen, als sie lediglich als grandiose Sängerin zu bezeichnen. Oder gar als die beste Sängerin überhaupt. Diese Zuschreibungen bleiben letztlich subjektiv. Barbara Hannigan ist nur in stimmlicher Hinsicht auf einer Augenhöhe mit den technisch und gesanglich besten Sängerinnen der Welt, sondern sie bewegt und bewegt sich. Stillstand ist ihr fremd.
Viele großartige Sängerinnen der Opern- und Klassikwelt lassen sich und ihr Schaffen festmachen und festschreiben. Sie werden sodann als Händel-Spezialistinnen gefeiert. Als die Sängerin, die Mozart singt wie keine andere. Auf Barbara Hannigan passt hingegen keine eindeutige Zuschreibung.
Sie ist ständig in Bewegung, fordert sich und das Publikum konsequent heraus und hat nicht die eine Nische, die sie dauerhaft bis an ihr Karriere-Ende besetzen würde. In den letzten Jahren genügte es nicht einmal mehr, sie als Sängerin zu bezeichnen. Schließlich ist sie gerade dabei, sich als Dirigentin einen hervorragenden Ruf zu verschaffen.
Das „kreative Tier“ in München
Möglicherweise lässt sich bei ihr ein Anfangspunkt finden, der allerdings keine Fixierung auf diese Repertoire bedeutet. Für Furore hat Hannigan mit ihrer Interpretation von „Mysteries of The Macabre“ von György Ligeti gesorgt. Weil sie diese aberwitzig komplexe und vielschichtige Komposition mit Humor und Witz vorträgt, und sie somit als das erscheinen lässt was sie ihrem Wesen nach ist: Eine grandiose Satire auf die Opern und auf die Opernwelt.
Dieser Anfangspunkt, diese Essenz im bisherigen Schaffen von Hannigan zeigt deutliche ihre Positionierung in der Klassikwelt: Nicht im Zentrum, nicht in einer bequemen Nische, sondern ganz bewusst und immer wieder an den Rändern, bei Werken jenseits einer eindeutigen Kanonisierung.
Das Neue und Neuartige ist ihr sehr nahe. Was wiederum nicht heißt, dass sie nicht auch fantastisch Mozart singen kann. Doch am meisten liegen ihr die Rollen von „schwierigen“ Frauen, die sich am Rande des Abgrunds befinden. Das kann die Protagonistin in besagter Komposition von Ligeti sein, das kann aber auch die Lulu aus der „Lulu-Suite“ von Alban Berg sein. Diese Rolle verkörperte sie auch in der Philharmonie am Gasteig in München.
An diesem Abend wurde nur allzu hörbar und deutlich, über welch enorme Musikalität Barbara Hannigan verfügen kann. Diese verband sich mit der besagten Liebe zum Neuartigen und wurde mit einer gehörigen Dosis Abenteuerlust abgeschmeckt.
Begonnen wurde der Abend mit „Atmosphéres“ für Orchester“ von György Ligeti. Unbewusst kennen diese Komposition womöglich einige Menschen, die wenig mit dieser Art von Musik anzufangen wissen. Sie kam in Kubrick´s „2001 – A Space Odyssey“ zum Einsatz. Dort kommt sie im Zusammenhang und als Klangkulisse eines sich fortbewegenden Raumschiffes zum Einsatz. Höchst subtil und mit immensem Gespür für Klangnuancen dirigierte Hannigan diese Komposition, die keine 10 Minuten lang ist.
Obwohl sie mit dieser Komposition bereits zu Beginn die Münchner Philharmoniker bis zum Äußersten ihrer klanglichen Möglichkeiten trieb und ruhige Passagen in einer wahnwitzigen Perfektion und Präzision einforderte, diente sie ihr lediglich als Einstimmung. Sie setzte damit die Atmosphäre für die kommende „Lulu-Suite“ von Alban Berg, in der sich streckenweise zugleich dirigierte und sang. Sie verkörperte die Lulu, der sich Männer scharenweise verfallen und dominierte und führte zugleich das Orchester. Das ist dieselbe Lulu, die im Verlauf des Werkes in Ungnade fällt und ermordet wird.
Man kommt nicht umhin, diese Situation als wunderschöne und treffende Metapher zu interpretieren, was ihre Rolle und Position als Dirigentin in der von Männern dominierten Dirigenten-Zunft betrifft. Wie die Lulu steht sie am Abgrund, bewegt sich an riskanten Rändern, geht auf volles Risiko was ihr Dirigat, die Auswahl der Werke und ihren Umgang mit den jeweiligen Orchestern betrifft. Diese unbedingte Lust zum Abenteuer brachte in München größtenteils klanglich und musikalisch brillante Ergebnisse hervor.
Nach der Pause stand Gabriel Fauré mit „Pelléas et Mélisande“ am Programm. Dort überzeugte vor allem die gelungen Tondichtung, ganz in der romantischen Tradition. Wo die Sprache endet, kommt die Musik ins Spiel. Fauré bezog sich in dieser Komposition auf Texte von Maurice Maeterlinck, die mit ihrer bedeutungsschweren Symbolik natürlich höchst geeignet für eine Vertonung und Bezugnahme waren.
Den Abschluss machte die „Symphony in Three Movements“ von Igor Strawinsky. Ein „Macho-Stück“, wie Hannigan in einem Interview anmerkte. Dieses gab ihr also reichlich Gelegenheit ihren „Mann“ zu stehen. In anderen, ruhigeren Passagen glaubte man aber eine bewusst „weibliche“ Handschrift wahrzunehmen. In den besten Momenten kollabierten solche Differenzierungsversuche aber. In solchen war sie ganz das „kreative Tier“, als das sie sich selbst in der Dokumentation „I´m a creative animal“ bezeichnet. Sie merkt dort an, dass sie sich im kreativen Prozess meist gar nicht menschlich fühlt, sondern wie verschiedene Tiere, je nach Situation und Komposition.
Fazit
Exakt das war die Stärke von Hannigan an diesem Abend. Genau das ist ihre ganz grundlegende Stärke: Sie lässt sich nicht darauf festlegen, eine explizit „weibliche“ Dirigentin zu sein. In den entsprechenden Momenten kann sie das Orchester „männlicher“ klingen lassen als es ein männlicher Kollege jemals könnte. In den sanften Passagen findet sie außerdem zu einer lyrischen Sanftheit, zu der männliche Dirigenten wohl nur schwer in der Lage wären.
So ist sie „Sowohl-als Auch“. Ihr scheint alles zu gelingen. Ganz gleichgültig ob sie als Sängerin in „Let Me Tell you“ von Abrahamsen brilliert, ob sie wie an diesem Abend ein Orchester leitet oder ob sie in einem Duo mit einem Pianisten Lieder von Erik Satie auf anrührende und herausragende Weise interpretiert.
Barbara Hannigan ist in der Tat ein „kreatives Tier“, das niemals zu ruhen scheint. Mit eiserner Disziplin und Arbeitswut singt und dirigiert sie Werke, vor der andere Sängerinnen und Dirigenten kapitulieren würden. Eines ist klar: Auch in Zukunft wird sich Hannigan bewegen und sich und ihr Publikum herausfordern. Der Abend in München war lediglich eine sehr gelungen und beeindruckende Momentaufnahme.
Zum Reinhören
Titelbild: Musacchio and Ianniellos