Ein Dorf wählt Norbert Hofer – und ein Musikfestival leistet Widerstand

11 Minuten Lesedauer

Die politische Situation und das „Heilsversprechen“


Die Ergebnisse sind erschütternd. Zumal aus der eigenen Perspektive, wenn man sich zur „Kultur-Schickeria“ und zum erlauchten Kreis der Intellektuellen zählt, die Norbert Hofer im aktuellen Wahlkampf beschwört und in Kontrast zu den ganz normalen Menschen bringen möchte.
Stolze 44 % wählten in Diersbach bei Schärding im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl den freiheitlichen Kandidaten Norbert Hofer. Mit 13 % konnte die Hoffnung aller Künstlerinnen und Künstler, Van der Bellen, nur wenig punkten. Just in diesem Dorf veranstaltet der Posaunist Paul Zauner sein Festival „Inntöne“.
Bereits der Weg zum Festival ist von Hindernissen gesäumt. Neben Straßen und Wegen, die dem starken Regen wenig gewachsen sind, zählen dazu vor allem Wahlplakate. Links beschwört Van der Bellen die Heimat. Rechts von ihm inszeniert sich Norbert Hofer, deus ex machina, als die „Stimme der Vernunft“.
Wenige hundert Meter weiter weist ein Schild mit der Aufschrift „Jazz“ auf den richtigen Weg zu dem Festival „Inntöne“ hin. In diesem Zusammenhang klingt das fast wie ein Versprechen auf eine andere, bessere Heimat. Die Hölle, die lauert da draußen. Auf dem Bauernhof, da ist sie noch heil. Da wird eine andere Heimat beschworen. Heimat anders, quasi . Heimat, wie sie auch noch sein könnte. Abseits von Parteipolitik, Lagerdenken und einer immens aufgeheizten Stimmung, in der die Denk- und Sprechverbote von beiden Lagern nur so fröhliche Urständ feiern.


Jazz und die Heimat


Nun weiß man, dass der Initiator und Impresario der „Inntöne“, Paul Zauner, an die heilende Kraft von Jazz glaubt. Egal ob bei Menschen oder bei seinen Schweinen. Ob indes der Jazz auch helfen kann diese tiefe politische Krise zu überwinden, sei dahingestellt. Eher gleicht der Buchmannhof, irgendwo im Nirgendwo gelegen, einem kleinen gallischen Dorf, in dem die Utopie von Multi-Kulturalität, Internationalität und absoluter Offenheit zelebriert wird und verwirklicht wurde.

Kann uns der Jazz vor einem Bundespräsidenten Norbert Hofer bewahren? (Bild: Mirja-Leena Zauner)
Kann uns der Jazz vor einem Bundespräsidenten Norbert Hofer bewahren? (Bild: Mirja-Leena Zauner)

Draußen droht mit einem blauen Bundespräsidenten eine ganz gegenteilige Entwicklung, die tendenziell hin zur Abschottung, zum Rückzug auf Nationendenken und dem Beharren auf der eigenen Identität führt. Wir sind wir. Die Anderen interessieren uns wenig.
Bei dem Festival „Inntöne“ hingegen wird auf konzeptionell und künstlerisch eindrucksvollem Niveau verhandelt, dass diese Identitäten nicht feststehend sind und auch nicht im Singular gedacht werden können. Paul Zauner holt sich Jahr für Jahr drei Tage lang die Welt auf seinen Hof und bietet dieser seine Heimat an, dass sie bespielt, verändert und weitergedacht werden möge.
Kontrastiert man das „Außen“ und die temporär verwirklichte Utopie am Buchmannshof, dann lässt sich das Festival „Inntöne“ quasi diskursiv lesen. Es lässt sich unter dem Begriff der „Heimat“ und den damit verbundenen Ein- und Ausschlüsse interpretieren. Ist Heimat normalerweise ein exkludierender Begriff, versucht er sich hier für drei Tage in der kompromisslosen Integration von Identitäten, Musikstilen und ästhetischen Konzepten.


Die Konzerte bei „Inntöne“ und deren (mögliche) Wirksamkeit


Der Eröffnungs-Act Kenny Werner macht bei seinem Solo-Piano-Konzert bereits klar, dass es nicht den einen richtigen Weg oder das eine als einziges angewandte musikalische Verfahren gibt, das in den nächsten Tagen immer wieder durchdekliniert werden wird. Er huldigt dem Großmeister Keith Jarrett, spielt ein ironisiertes und tieftrauriges Weihnachtslied und versucht sich gar im Genre Honky Tonk.
Das darauf folgende Rosenberg Trio hat hingegen primär ihr fast überlebensgroßes Vorbild Django Reinhardt im Blick. Höchst virtuos bewegt sich das niederländische Trio durch dessen Kompositionen und schmeckt das Programm fein mit Eigenkompositionen ab, die Vergangenheit und mögliche Zukunft dieser Spielart geschickt skizzieren.
Mit Andreas Schaerer, Peter Rom und Martin Eberle folgt am Samstag eines der beiden Highlights des Festivals. Ein Highlight schon allein deshalb, weil dem Trio das Kunststück gelingt, den Jazz auf eine Meta-Ebene zu hieven und damit zu fragen, was Jazz überhaupt ist und dabei höchst zugänglich und spielfreudig zu bleiben. Dadurch verflüssigen sich etwaige über die Jahrzehnte gefestigten Klischees und eingeschliffene Spielweisen in Windeseile.
Ein Stück besteht zum Beispiel nur aus Schlüssen, die man von Jazz-Standards eben so kennt. In anderen Stücken hingegen ist man sich unsicher, ob das noch „scatten“ ist oder nicht doch schon mehr dem inszenierten Wahnsinn eines Mike Patton in seinen schrägeren Projekten nahe kommt. Überhaupt legen diese drei Musiker den „Jazz“ als Spielweise so weit aus, dass sie weniger im Genre-Sinn Jazz spielen, als vielmehr dessen Haltung benutzen, um durch sämtliche Ideen, Möglichkeiten und Spielweisen der bunten Welt der Musik zu hasten.
Mit dem Trio „SO III“ , unter der Leitung der Geigerin und Sängerin Suvi Oskala, bewegen sich die „Inntöne“ gar ein wenig weit von der Idee weg, ein Jazzfestival sein zu wollen. Mehr als ein Hauch von finnischer Folklore weht durch den Bauernhof, bei manchen Passagen wäre es nicht unpassend, Björk oder Sängerinnen wie Stina Nordenstam als Inspiration zu vermuten. Der verhuschten Stimme werden kraftvolle, bedeutungsschwere Visuals zur Seite gestellt, die den sphärischen, leicht esoterischen Gesamteindruck noch verstärken.
Dem grandiosen brasilianischen Gitarrenmeister Márcio Faraco folgt ein überaus gelungenes Tribut an Harry Pepl. Und damit wohl das einzige Konzert, das sich auf einem Festival für frei improvisierte Musik gut gemacht hätte. Als Ausgleich darf dann der Schlagzeug-Altmeister Al Foster ran und mit Ruthie Foster hat Paul Zauner bei seinem Festival gar eine wunderbare Blues-Sängerin mit dabei, auf die sich alle einigen können.
Bemerkenswert war dann am Sonntag, dass es vor allem die „reinen“ Jazz-Bands sind, die zwar musikalisch durch ihre Brillanz überzeugen, im Gesamtkontext aber eher deplatziert wirken. Weder der, musikalisch herausragende, Azar Lawrence noch das aus Gerd Dudek, Ali Haurand und Daniel Humair bestehende Trio wussten (mich) zu begeistern.
Eine kleine Sensation und musikalische Offenbarung hingegen war die weit gereiste und auf verschiedenen Kontinenten aufgewachsene Brasilianerin Dom La Nena (vgl. Titelbild). Eigentlich aus der klassischen Musik kommend, widmet sie sich seit einigen Jahren der „kleinen“, einfachen und zugänglicheren Form des Pop- und Folk-Songs. Sie empfindet dabei die damit einhergehende Form und Struktur nicht als Limitierung, sondern als Befreiung.
Man darf darüber spekulieren, ob diese feinen, manchmal unschuldig wirkenden Songs eine Art Heimat für die eigentlich heimatlose Dom La Nena geworden sind. Die Songs sind überschaubar, eingängig, klug konstruiert und zugänglich, dabei aber nie unterkomplex oder gar simpel und banal. Sie singt dazu beseelt, sanft und mit einem immensen Charisma. Die Folge: Begeisterungsstürme und eine lange Schlange beim CD-Verkauf.


Fazit


Was bleibt nach den drei intensiven Festivaltagen? Zweifellos die Erkenntnis, dass Paul Zauner zusammen mit seiner Frau Mirja-Lena Zauner ein wunderbares, ausdifferenziertes und vielfältiges Festival auf die Beine gestellt hat, das auch „jazzfremden“ Menschen die Freude an dieser Musik vermitteln kann, zumal Jazz hier nicht als Reinheitsgebot, sondern als Anleitung zur Spielfreude und zur Vermessung der künstlerischen Möglichkeitsräume benutzt und fort gesponnen wird.
Es bleibt aber auch der etwas schale Nachgeschmack, dass eine konkrete Positionierung in Bezug auf die im Moment grassierende Heimat- und Identitätsfrage nicht passiert ist. Vielleicht steht die Musik beim Festival „Inntöne“ für sich. Möglicherweise wären aber mehr Musikerinnen und Musiker interessant gewesen, welche die Themen Heimat, Herkunft, Heimatlosigkeit und die Utopie einer möglichen freieren, offeneren Heimat thematisieren oder musikalisch verwirklicht zur Diskussion stellen.
Das „Inntöne“-Festival und der Buchmannshof bleiben damit letztlich das bereits genannte kleine „gallische Dorf“, das anders denkt und höchstwahrscheinlich auch anders wählt als fast die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner in Diersbach. Das ist natürlich schön zu sehen und durchaus begrüßenswert. Womöglich wäre es aber interessant zu sehen, wie sich die Auswirkung dieses Festival und dessen (politische) Strahlkraft noch erhöhen ließe. Meiner Meinung nach hätte das Motto „Heimat, anders“ lauten können. Damit wäre die beglückende und hoffnungsgebende Wirkung der wirklich außergewöhnlichen Musik und MusikerInnen an diesen drei Tagen jedenfalls treffend beschrieben gewesen.
Muss ein Musikfestival wirklich offenen Widerstand leisten? Natürlich nicht. Aber es muss in der Lage sein seine Vision einer freien, kunstsinnigen Heimat klar zu kommunizieren und damit Wirksamkeit zu erzeugen. Das wäre meine Hoffnung für die Zukunft.


Zum Reinhören und Reinschauen




Titelbild: Robert Feichtenschlager 

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

3 Comments

  1. Was bleibt nach diesem Bericht? Eine große Lust, die nächsten Inntöne zu besuchen. Und der Eindruck, dass sich hier ohnehin bereits Musiker_innen, die in unterschiedlichen Spielräumen beheimatet sind, zusammengefunden haben.
    Es klingt, als hättest du gerne ein zweites Glatt&Verkehrt erlebt. Aber braucht es das wirklich?

  2. Sorry, dieser Connex geht gar nicht.
    Ich war selber das gesamte Festival am Buchmannhof und meine daher, dass die unterschiedlichen musikalischen Versuche durchaus anregend und inspirativ sind und das Potential haben, die Diskussion zu wirklich wichtigen Themen anzuregen, zu denen eine BP-Wahl mit Sicherheit nicht gehört.
    Es geht um das Bewustsein und den respektvollen Umgang zu guter Musik aus allen Herren Ländern und mehreren Generationen, es geht um das Bewusstsein zu hochwertigen kulinarischen Genüssen, es geht um das Bewusstsein einer sich rege austauschenden Menschenmenge und es geht um das Bewusstsein, was „Diersbach samt Umgebung“ im konstruktiven Miteinander alljährlich auf die Beine stellt.
    Musik und dieses Festival verbindet die Menschen und hilft zu einem respektvollem Miteinander. Wenn man hier schon ein gallisches Dorf zitiert, dann ist das insofern richtig, als das hier seit mehr als 30 Jahren ein Gesamtkonzept für ein gelingendes Miteinander gelebt wird.
    Und wenn sie genau hingeschaut haben, sind am Buchmannhof auch schon die sogenannten Flüchtlinge integriert, nämlich nicht nur in ihrer Tätigkeit und Aufgabe, sondern auch im respektvollen Umgang miteinander.
    Es ist ein ausgereiftes Gesamtkonzept, das Leute aus Nah und weiter Ferne alljährlich zusammenkommen lässt.
    Was die Diersbacher wählen und die Wahl an und für sich ist in den Diskussionen am Festival kein Thema. PUNKT.

  3. „Musikfestival leistet Widerstand“? – „respektvolles Miteinander“, „ausgereiftes Gesamtkonzept“ – „eine große Lust die nächsten Inntöne zu besuchen“?
    Den Bogen von der Musik (im speziellen Jazz und seinen Mischformen) zur Politik zu spannen kann man machen – vielleicht kommen dabei in der Tat interessante Zusammenhänge zutage.
    In diesem Fall ist es jedoch sehr schade feststellen zu müssen, dass das Musikfestival „Inntöne“ unter Leitung von Paul Zauner scheints kein ausgereiftes Gesamtkonzept hat, da er seine Musiker nicht bezahlt. Konkret spreche ich hier von mehr als 10 Musikern die im Mai 2015 (!!) sein Festival bereichert haben aber bislang wenig oder gar keine Gage erhalten haben.
    Besonders wenn man die vielen Emails mit Versprechungen, angeblichen Missverständnissen und anderen Hinhaltungen lesen muß kann von respektvollem Miteinander nicht mehr die Rede sein. Und das von oberster Seite, von Paul Zauner persönlich.
    Um in irgendeiner Form Widerstand leisten zu können muß das System funktionieren, das heißt es muß ein Gleichgewicht zwischen den 3 Hauptbereichen Zuhörer, Veranstalter und Musiker herrschen. Das ist hier nicht gegeben.
    Ob man da als Zuhörer so viel Lust am Festival hat, wenn man nicht weiß, ob die Musiker – die Protagonisten, der Motor – überhaupt bezahlt werden? Oft sind es gerade die weltoffenen Jazzmusiker die zu lange Geduld haben mit säumigen Zahlern, die nicht akribisch tage,-wochen-, monatelang hinterhermailen und telefonieren. Die irgendwann aufgeben und weiterimprovisieren (müssen).
    Das kann es aber nicht sein, dass dieses Festival so weiter existiert, dass sich Paul Zauner im Glanz der vielen ruhmreichen Artikel und TV-Beiträgen sonnt und der Musiker zusehen muss wo er bleibt. Das werden sicher nicht alle Musiker sein, sonst wäre das schon länger publik – aber wenn sich ein Paul Zauner wegen ein paar Tausend Euro so lange ziert und nicht zahlt, dann ist er entweder dumm oder er hat ein handfesteres Problem als nur DIESE paar tausend Euro.
    Deshalb mein Rat an alle Musiker: NUR gegen Vorauskasse spielen!
    Und die Kritiker und Journalisten könnten auch mal einen Blick hinter die Kulisse werfen – es gilt leider auch hier: es ist nicht alles Gold was glänzt…
    Eine Musikerfrau

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