Die Gründe sich im Sommer Konzerte anzutun sind mannigfaltig. Möglicherweise will man auch im Sommer seine Kontakte pflegen und die eigene Szenezugehörigkeit demonstrieren. Saufen mit guten Bekannten und in bester Gesellschaft mag außerdem ein wichtiger Aspekt sein. Darüber hinaus ist es im Grunde genommen unschön, im Sommer auf Distinktion zu verzichten und damit aufzuhören, kulturelles Kapital anzuhäufen und stattdessen nur mehr grillend und trinkend an Seen herumzulungern.
Das alles ist legitim. Selbst der größte Musik-Liebhaber ist nicht frei von diesen Konzertbesuch-Gründen, die nur peripher mit Liebe zur Musik zu tun haben. Die Auswahl der Konzerte in dieser Liste hat aber eine andere Funktion: Sie soll zeigen, dass sich bei Konzertbesuchen ästhetischen Positionen verhandeln lassen und der persönliche Zugang zu Musik sukzessiv erweitert werden kann.
Dieser „Konzert-Guide“verfolgt somit nicht die Intention, Szene-Geschmäcker und eigene Präferenzen zu bestärken, sondern zu einem neuen, unvoreingenommenen und offenen Blick zu gelangen, der sich nicht durch konstruierte Genre-Grenzen einengen lässt.
Colin Stetson und Sarah Neufeld (Details)
Das „Heart Of Noise“ darf gerne auch kritisch betrachtet werden. Aus einem ehemals an Noise und Drone orientierten Festival ist in den letzten Jahren ein Festival für „Nischenmusik“ aus allen Richtungen geworden. In diesem Jahr dreht sich etwa alles um das Thema Dub.
Diese musikalische Offenheit ist an sich schön, hat aber so ihre Tücken. Wer im jeweiligen Jahr einen offenen Blick auf verschiedenste Musikformen erwartet wird eher enttäuscht sein. Der Blick richtet sich nicht auf den Makrokosmos, sondern jeweils auf den Mikrokosmus verwandter Spielarten des gesetzten Schwerpunktes. Ein gutes Update, was sich in der zeitgenössisch und popkulturell konnotierten Gegenwarts-Musik tut erhält man aber allemal.
Angenehm aus dem Rahmen fällt in diesem Jahr das Duo Colin Stetson und Sarah Neufeld. Irgendwo in einer Grauzone von Minimal-Music, Folk, Pop, Ambient und Jazz bewegen sich diese beiden Aunsahmemusiker.
Sarah Neufeld kennt man als Geigerin der nicht ganz unbekannten Band Arcade Fire. Colin Stetson ist indes in diversen Free-Jazz-Kontexten unterwegs. Martialisch wie Mats Gustafsson trötet er auch gerne auf seinem Bariton- und Basssaxophon. In Folge dieser Klänge kommt es auch immer wieder zu Euphorie-Anfälle bei Zuhörerinnen und Zuhörer.
Mittels experimenteller Atemtechnik und gezieltem Stimmeinsatz durch die Verfremdung des Instrumentes Saxophon entstehen Geräusche und Klänge, die man so nun wirklich nicht alle Tage hört. Etwas gewinnt man aber über die Zeit den Eindruck, dass der gute Colin doch ein wenig über einen zu hohen Wiederkennungswert verfügt. Sprich: Man erkennt ihn nach ein paar Tönen und ist unter Umständen auch gelangweilt von dieser allzu klaren und eindeutigen Klangsprache.
Sarah Neufeld als Duo-Partnerin tut ihm dabei hörbar gut. Er bewegt sich mit ihr etwas mehr in Richtung Pop-Song, der auch von Pitchfork-Lesern gemocht werden kann. Das ganze groovt, findet immer wieder zu guten und erkennbaren Melodien und ist auch ansonsten ganz vorzüglich hörbar. Von solistischen, allzu virilen Solo-Ausflügen ist bei diesem Duo-Format kaum mehr etwas zu hören.
Alles in allem ist das ein schönes Duo, das auf virtuose und interessante Weise mit dem Format Song und dessen Möglichkeiten spielt. Ein Song ist ein Song. In den Händen dieser beiden Musiker werden aber dezent Überraschungen und Neuerungen eingeschliffen.
Colin Stetson und Sarah Neufeld – Heart Of Noise | Treibhaus, Angerzellgasse 8, Innsbruck | Donnerstag 02.06.2016 um 22:00
Münchner Philharmoniker (Details)
Es ist schon bemerkenswert. Gott und die Welt redet von den Wiener Philharmonikern. Obwohl München von Tirol aus gesehen doch deutlich näher liegt und dort ebenfalls ein Weltklasse-Orchester beheimatet ist. Dieses hat darüber hinaus sogar den Ruf, dass es für zeitgenössische Experimente überaus offen ist. Die Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan etwa schätzt dieses Orchester sehr. Mit ihnen zusammen mit sie erst kürzlich ein famoses Konzert gegeben.
Mit einem vergleichsweise konventionellen Programm kommen die „Münchner Philharmoniker“ diese Woche nach Innsbruck. Doch neben Béla Bartók und Felix Mendelssohn Bartholdy findet sich mit Alfredo Casella auch ein Komponist im Programm, der sich zwar nicht allzu weit von der tonalen Sprache der Klassiker entfernt hat aber dennoch der sogenannten „Neuen Musik“ nicht ablehnend gegenüber gestanden ist.
Diese Art von Musik kommt diesem Ausnahme-Orchester ebenso entgegen die wie „Klassiker“. Das Klangvolumen und klanglichen Differenzierungsvermögen dieses Orchester ist außergewöhnlich. Vor allem auch in den leisen Passagen zeigt es seine Brillanz.
Münchner Philharmoniker | Congress/Saal Tirol, Rennweg 3, Innsbruck | Freitag 03.06.2016 um 20:00
Maja Osojnik (Details)
Es wäre zu einfach Maja Osojnik dem Jazz-Kontext zuzuordnen. Unbestritten ist aber, dass sie eine brillante Komponistin und Musikerin ist, die in diesem Umfeld eine sehr gute Figur macht. Den Auftrag, das Jazzfestival-Saalfelden mit einer Auftrags-Komposition zu eröffnen meisterte sie mit Bravour. Eine Herausforderung, an der wohl sehr viele österreichische Musikerinnen und Musiker scheitern würden.
Dennoch mag sich die gute Dame nicht auf diese Rolle als Komponistin und Irgendwie-Doch-Jazzerin festlegen lassen. Locker-lässig flirtet sie mit „Neuer Volksmusik“ und vor allem auch heftigst mit elektronischer Musik.
Dieser Flirt erreicht auf ihrem Album „Let Them Grow“ seinen Höhepunkt. Auf kryptische und leicht vertrackte Art und Weise geht es dort gar tanzbar zu. Osojnik fragt sich, was Popmusik ist und wann ein Song so zerfahren und zerschossen ist, dass er gar nicht mehr wie ein Song wirkt und klingt. Sie findet überzeugend argumentierte Klang-Antworten, wie man mit der Struktur von Popmusik noch umgehen kann, ohne Hörerinnen und Hörer zu langweilen.
Maja Osojnik | P.M.K, Viaduktbogen 18-19, Innsbruck | Freitag 17.06.2016 um 21:00
Markus Geiselhart Orchestra (Details)
Bitte nicht. Eine Big-Band. Und das in den heutigen und unübersichtlichen Zeiten! Altmodisches Zeugs, das der guten alten Ära des Swing huldigt.
Ich möchte euch hier nicht enttäuschen. Der Bigband-Sound lebt. Und klingt gänzlich anders als ihr es euch erwartet. Hört euch dazu einfach mal Maria Schneider an. Oder die Jazz Bigband Graz. Oder eben das famose Markus Geiselhart Orchestra aus Wien.
Da flirren die Gitarren, werden Zitate und Referenzen an die gute alte Zeit ironisiert, werden ganz neue Töne angeschlagen. Da geht es auch mal in Richtung Rock und musikalisch treibend ist das Ganze auch noch wie Sau.
Der Orchester-Leiter Markus Geiselhart spielt sein Orchester wie ein Instrument. Und wie virtuos und geschickt er das tut! Er stellt das Orchester manchmal in den Dienst seiner eigenen Erinnerungen und Erlebnisse und schmückt diese in den allerschönsten Farben aus. Dann wiederum ist das hier alles reine Musik, die sich nur schwer festlegen lässt.
Jedenfalls ein Konzert, das ihr euch geben müsst. Euer Blick auf diese vermeintlich veraltete Form des Musizierens wird danach ein gänzlich anderer sein.
Markus Geiselhart Orchestra | MUKU , Ledergasse 5, St. Johann in Tirol | Freitag 24.06.2016 um 20:00
Barocker Orchesterglanz (Details)
Ja doch. Innsbruck ist Weltstadt und macht sich hin und wieder auch lächerlich, wenn sie das allzu ostentativ zur Schau stellt. In Sachen Kultur ist hier längst nicht alles Gold, das glänzt. Mittelmäßigkeit lässt sich an allen Ecken und Enden finden.
Was liegt damit näher als sich auf die große Vergangenheit der Alpenmetropole zu konzentrieren? Was liegt näher als zu zeigen, dass damals auch Kompositionen geschaffen wurden, die sich mit den Kompositionen aus Venedig und Rom durchaus messen konnten?
Die „Innsbrucker Abendmusik“ hat es sich in dieser Spielsaison ganz grundsätzlich zur Aufgabe gemacht, Raritäten aus Tirol zu bergen und zur Aufführung zu bringen. Unter dem Titel „Barocker Orchesterglanz – Klingende Raritäten aus Tirol und Venedig“ wird hier etwas gegenüber gestellt, das zumindest nicht auf den ersten Blick zusammengehört. Man täuscht sich. Tirols Vergangenheit in Sachen Barockmusik wird immer noch unter den Scheffel gestellt und hat weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient.
Jetzt gibt es nur ein Problem. Ihr mögt keine Barockmusik. Glaubt ihr zumindest. Ihr solltet es aber ausprobieren. Denn selten wird diese so lebendig, gegenwärtig und zugleich historisch korrekt auf die Bühne gebracht wie bei der „Innsbrucker Abendmusik“. Falls ihr danach dennoch nicht überzeugt seid, habt ihr zumindest eine kleine Geschichtsstunde in Sachen Musikvergangenheit Tirols erlebt. Das ist ja auch was.
Barocker Orchesterglanz – Innsbrucker Abendmusik | Vier und Einzig, Hallerstraße 41, Innsbruck | Montag 27.06.2016 um 20:00
Tiroler Symphonieorchester Innsbruck (Details)
Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck kennt ja nun wirklich jeder. Dass sich dieses in die vermeintlichen Niederungen der „Innsbrucker Promenadenkonzerte“ begibt ist dennoch eine Überraschung. Überhaupt ist es in Innsbruck und Tirol recht selten, dass sich die sogenannte „Hochkultur“ der Popular-Kultur annähert. Blasmusik und Klassik scheinen sich ja auch den ersten Blick nun wirklich nicht gut zu verstehen.
Doch es ist, wieder einmal, alles anders und zweitens als man denkt. Die „Blasmusik“ ist bei den „Innsbrucker Promenadenkonzerten“ nämlich gerne auch mal orchestral. Und Werke der klassischen Musik werden virtuos in Transkriptionen für Blasorchester auf die Bühne gebracht. Das TSOI ist also nicht deplatziert, sondern genau am richtigen Ort.
In der herrlichen Kulisse der Hofburg wird deutlich werden, dass sich „Hochkultur“ gerne auch mal den Konzertsälen dieser Welt hinausbewegen sollte und das ihr das überaus gut tut. Wer offene Ohren hat, der staune. Vor allem auch darüber, dass in einem vermeintlichen Blasmusik-Kontext anspruchsvolle Musik geboten wird, die so manches Kultur-Angebot in Innsbrucker Kultursommer altbacken und konventionell aussehen und klingen lässt.t
TSOI – Innsbrucker Promenadenkonzerte | Innenhof der Kaiserlichen Hofburg, Innsbruck | Montag 04.07.2016 um 19:30
Six Feet Under (Details)
Nach all der Barockmusik und nachdem ihr euch sogar in die „Blasmusik-Hölle“ begeben habt, habt ihr euch dieses Konzert verdient. Auf zu „Six Feet Under“!
Death-Metal, der abgeht wie Sau. Der groovt. Dazu die ehemalige Stimme von Cannibal Corpse, Chris Barnes, der, wenn er mag, so tief „singen“ kann, dass seine Stimme kaum mehr von den tiefergelegten Gitarren zu unterscheiden ist.
Ein Konzert, über das man eigentlich gar nicht viel schreiben kann. Es wird laut, hart, amüsant. Ihr werdet deutlich weniger grauhaarigen Menschen begegnen wie bei den anderen hier vorgestellten Konzerten. Dafür umso mehr Langhaar-Trägern, die ihre prächtigen Matten im Kreis schütteln und damit den Leibhaftigen höchstpersönlich beschwören.
Ein Spaß. Vorgetragen von exzellenten Musikern. Und somit ein Pflichttermin.
Six Feet Under | P.M.K, Viaduktbogen 18-19, Innsbruck | Mittwoch 06.07.2016 um 21:00
Teil II des Konzert-Guides folgt Mitte Juni 2016
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Jonas Schneider