Im Dubstep in die grüne Hölle

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Konzept


Seit 2011 ist das Heart of Noise ein establishment-kritischer Teil von Innsbrucks Musik-Establishment; jung, cool, abgedreht und mit Treibhaus und p.m.k. im Rücken – so etwas kann nur funktionieren.
Seit 2013 gehört außerdem das möglichst kryptische Festivalmotto unweigerlich zum Programm. Das letztjährige – „From Ontology to Hedonism with no Breaks“ – bleibt jedenfalls bislang unübertroffen. Ist das Kunst oder heißt das auch was?
Wenn ein Festival aber primär „außerhalb des Kulturmainstreams“ sein will, muss man sich auch einfach berechtigterweise fragen, was dem für ein Konzept zugrunde liegt – wenn da überhaupt eines ist! Abseits des Mainstreams gibt es nämlich, so viel wird aus dem Programm deutlich, verdammt viel. Die Zeiten, in denen man sich unter „alternativen Gegenwartskulturen“ noch etwas vorstellen konnte, sind jedenfalls endgültig vorbei.
Zwei Leitfäden gibt es aber im diesjährigen Heart of Noise: Die Karibik mit ihrem vieldimensionalen Ruf zum einen, ein besonders ästhetisch aufbereiteter Nihilismus zum anderen – mit des großen Conrad „Heart of Darkness“ als inhaltlichem Herzstück. Entsprechend das Motto: Dub and The Heart of Darkness. Darunter kann man sich dann ja schon wieder etwas vorstellen.
Wir bewegen uns also zwischen zwei Polen, die beide von der Auseinandersetzung mit dem Hässlichen und Finsteren leben, nur mit völlig anderen Ergebnissen.
Das könnte also gemeinsam schon ein stimmiges Bild abgeben – „Heart of Darkness“ spielt zwar im Kongo, also auf der anderen Seite des Atlantik, aber, meine Güte, so genau wollen wir es nicht nehmen, und wenn in der Wildnis einmal die Zivilisation zugrunde geht, ist das eh überall die gleiche Hölle.


Line-Up


Eingeleitet wird dieses zweifellos spektakuläre Kulturereignis am Donnerstag Abend vom Traurigen Tropenorchester mit einem „ethnokybernetischen Ritual“ – man will eigentlich nicht wissen, was das ist, wird es sich aber wohl trotzdem anhören.
Dieses Jahr wird ja außerdem der Dub in seinen zahllosen Varianten (–step, –rock und –pop) im Zentrum stehen. Hier ist vor allem eine große Zahl an jungen, aufstrebenden Talenten zu sehen, von Roly Porter aus London (Freitag, 02:00), über die Kings of Dub Rock aus Hamburg (Donnerstag, 20:00) und das Urgestein Stefan Betke alias Pole aus Düsseldorf (Donnerstag, 23:00) bis hin zur spirituell angehauchten Aïsha Devi aus der Schweiz (Freitag, 22:00).
Künstlerisch Hochqualitatives darf man sich wohl vom Samstagsprogramm im Musikpavillon erwartenund auch Thomas Ankersmits experimentelles Projekt Otolith, das mit akustischen Halluzinationen, aber ganz ohne gesetzeswidrige Substanzen arbeitet, dürfte zumindest hörenswert sein.
Ein zumindest interessantes und potentiell geniales Projekt ist mit Sicherheit Fuckheads Vertonung von Joseph Conrad: „The Heart of Darkness Pt. 3 Das Grauen“, den Hardcore-Performance gewordenen Nihilismus, kann man sich am Freitag um Mitternacht zu Gemüte führen – das allerdings auf eigene Verantwortung!
Zwischen diesen vielen Extremen gibt es aber auch Programmpunkte, die zwar nicht mehrheitstauglich sind, aber auch in einem mehr oder weniger normalen Gemütszustand genießbar sind. Dazu gehört als zurückhaltendes Highlight sicher die Show von Colin Stetson und Sarah Neufeld – er Tom Waits ehemaliger Saxophonist, sie Violinistin bei Arcade Fire. Ja, das ist ohne Frage eine Wahnsinnsmischung – sollte man nicht verpassen (Donnerstag, 22:00 im Treibhaus).
Und dann sind in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen in den verschiedensten Formaten Lee „Scratch“ Perry gewidmet, dem Reggae und Dub-Pionier aus Jamaika, der mit seiner Musik das auszudrücken versucht, was vielleicht die einzige Alternative zum „Heart of Darkness“ ist – der Geist einer Zeit, „in which men and animals lived in peace, a time without greed and jealousy, before the original sin was committed.“
Am Samstag um 00:00 tritt der Master, nunmehr im 81. Lebensjahr, höchstselbst mit seinem Wiener Support Dubblestandart im Treibhaus auf – der Hauptact kommt diesmal also ganz zum Schluss! Für alle, die es gerne intermedial haben, gibt es aber schon Freitagnachmittag Scratch-Programm im Cinematograph. Gezeigt wird Volker Schaners Dokumentation A Vision of Paradise, die die vergangenen 15 Jahre aus Lee „Scratch“ Perrys Leben zum Thema hat – sowohl Scratch als auch der Film dürfen als Kunstwerke für sich gelten. Auch der israelische Künstler Dani Gal hat Scratch einen Film (oder eher eine Installation?) gewidmet; beides ist zwischen 14:00 und 18:00 im Cinematograph zu sehen.
Was dann letzten Endes herauskommt, wenn man sich in den nächsten Tagen in diesen surrealen Dschungel begibt, kann niemand vorhersagen – nicht einmal die New Yorker Schamanin Eartheater (Samstag, 22:00), die in ihrem Folk gekonnt mit der Polarität von Natur und Technik spielt. Und vielleicht ist genau das Unvorhersagbare das Konzept, nachdem wir die ganze Zeit gesucht haben.

Titelbild: http://www.heartofnoise.at/2016/de/home/

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