Paul Simon und die Coolness
Paul Simon gilt in manchen Kreisen als absolut uncool. Ob es daran liegt, dass er einst mit dem Duo Simon & Garfunkel unsterbliche Schnulzen-Hits komponierte und sang, die auch im Heute noch dazu herhalten müssen, von jedem noch so untalentierten Gitarristen am Lagerfeuer gespielt zu werden? Vielleicht macht man ihn aber auch dafür verantwortlich, dass er damals für sein Album „Graceland“ einfach so nach Südafrika flog?
Das in einer Zeit, als dort Apartheid noch an der Tagesordnung war. Außerdem umranken diese Platte Gerüchte, dass er seine Studiomusiker nicht so bezahlte, wie er sie hätte bezahlen sollen. Schließlich verhalf ihm damals deren Energie und Musikalität zu einer Platte, die er so danach niemals mehr zustande brachte. Ein wenig war es zweifellos schon so, dass der große Paul Simon aus rein egoistischen und künstlerischen Gründen dort, zumindest in ästhetischer und konzeptioneller Hinsicht, die Beteiligten an „Graceland“ ausbeutete. Die „Zeit“ nannte das einmal „Paul Simons nett gemeinten Kolonialismus“.
Dass er aber damit so im Vorbeigehen und ohne direkte Absicht die „Weltmusik“ für die Popmusik etablierte und fruchtbar machte, kann man ihm gar nicht hoch genug anrechen. Bands wie Vampire Weekend zehrten von Anfang ihrer Karriere an von den musikalischen Möglichkeiten, die ein Paul Simon damals erst eröffnete.
Fakt ist jedenfalls, dass die Popmusik der 80er mit „Graceland“ deutlich weniger langweilig wurde. „Graceland“ soff, afrikanischer Polyrhythmik und exotischen Einflüssen sei Dank, nicht in der üblichen Beat- und Produktions-Hölle der 80er ab. Dass ausgerechnet der 80er-Mega-Hit „You can call me Al“ von diesem Album im Bewusstsein der breiten Masse ist, darf als Problem gewertet werden. Wer sich aber „Graceland“ unbefangen annähert, der entdeckt ein wahres Sammelsurium an bis dahin ungehörten Sounds, Beats und Chören. Dazu ein bestens gelaunter Paul Simon auf der Höhe seiner Songwriter-Kunst und voilá: Fertig ist eine Glücksdroge von einem Album.
„Stranger to Stranger“: Noch immer in der Gegenwart
Paul Simon und seiner Kunst kommt man aber vor allem durch positive Zuschreibungen auf die Schliche. Ob er jetzt cool ist oder nicht, ob er damals zumindest unbedacht und leichtfertig gehandelt hat oder nicht: Letzen Endes ist es seine immense Kunst als Songwriter, die auch im Heute noch Magie in Überdosis versprüht. Dass seine Stimme über die Jahre kaum gealtert zu sein scheint, ist außerdem ein Bonus. Diesen Mann erkannt man sofort wieder. Wie er damals mit „The boy in the bubble“ ebenso experimentierfreudig wie poppig wie glückstrunken wie genial sein Meisterwerk „Graceland“ eröffnet hat, werden auch auf seinem aktuellen Album „Stranger to Stranger“ keine Gefangenen gemacht.
Alles ist sofort da und scheint ihm aus dem Nichts heraus abrufbar. Dass er über die Zeit vor diesem Album von einer kreativen Krise berichtet hört man dieser Platte nicht an. Der dezent und still-zynisch-scharfe Humor äußert sich schon in der ersten Zeile des Albums: „Milwaukee man led a fairly decent life/ Made a fairly decent living/ Had a fairly decent wife/ She killed him – sushi knife//“.
Die ist sie, die stille Meisterschaft des Paul Simon. Der Kerl von nebenan, einer von uns, der zufälligerweise halt einer der größten lebenden Songwriter überhaupt ist. Er inszeniert sich als der nette Kerl von nebenan. Und die Protagonisten seiner Songs sind es meist auch. Im nächsten Song macht er sich über sich selbst lustig. Er berichtet davon, dass er vor einem Konzert ins Freie musste, um zu rauchen. Da er aber vom Türsteher nicht erkannt wurde, gab es Probleme wieder in die Konzert-Location zu kommen.
Paul Simon ist der Star als Nicht-Star, der Liederschreiber der vermeintlich einfache Songs schreibt, die auch uns hätten einfallen können.
„Stranger to Stranger“ zeigt, dass wir es uns in diesen Fragen zu einfach machen. Der Mann ist nicht der nette Typ von nebenan, der eben mal so ins Studio schlendert und mit ein paar Freunden in ein paar Tagen ein Album einspielt. Simon gilt im Studio nicht als netter Kerl, sondern als Perfektionist mit Hang zum Kontroll-Freak. Der Mann ist ein Profi und ein mit allen Wassern gewaschener Musiker, der mit dem Jazz ebenso flirtet wie mit Weltmusik wie mit der Musik von Harry Patch. Und ja, Simon mag auch Flamenco. Das alles webt er ein in feingliedrige, einfache wirkende Songs, denen Zugänglichkeit stets ein Hauptanliegen bleibt.
„Stranger to Stranger“, das, so wie es im Moment aussieht, wohl das letzte Paul Simon Album sein wird, ist deshalb so großartig, weil er sich seine Wachheit, seine Liebe zum musikalischen Abenteuer und seine Offenheit für die Musik-Gegenwart bewahrt hat. Während so manch anderer amerikanische Songwriter sein eigenes Erbe auf zum Teil hohem Niveau verwaltet, erweitert Paul Simon stets unbekümmert sein eigenes Erbe. Seine Sounds sind nicht rückbezüglich, sondern aus dem Hier und Jetzt gespeist. Er bezieht sich auch auf dem aktuellen Album kaum auf seine eigene Vergangenheit, sondern geht mit seinen erspielten und etablierten Möglichkeiten auf Themen, Konzepte und Ideen zu.
Er umgarnt seine Themen somit nicht mit der üblichen 3-Akkord G-D-C-Grütze, sondern lehnt sich, wenn notwendig, schon mal in Sachen Harmonien, Akkorden und Grooves weiter aus dem Fenster. Seine Musik hat nicht den ansonsten verbreiteten Anstrich von Limitierung und Unter-Komplexität. Dennoch findet Simon an den richtigen und entscheidenden Stellen zu einer solch kristallinen und konzisen Klarheit und Einfachheit, dass es einem fast schon den Atem raubt.
Fazit
„Stranger to Stranger“ ist nicht „Graceland“ die Zweite. Wie auch. Simon scheint Wiederholungen nicht zu mögen. Also bemüht er sich erst gar nicht, alte Klassiker und deren Zugänge im Selbst-Plagiat unters Volk zu bringen. Stattdessen findet man auf diesem Album einen Musiker vor, der einfach nur verdammt gute Songs schreibt und das übliche Rüstzeug für dieses Unterfangen mit allerlei schrägen und erwarteten Sounds und Einfällen erweitert. Diese sind so geschickt integriert, dass die Platte auf mindestens zwei Ebenen funktioniert. Sie ist eine Perle für Menschen, die einfach grandiose und grandios einfache Songs mögen. Sie aber auch eine Platte für Menschen, die es schätzen, wenn diese Oberfläche mit allerlei Spielereien unterfüttert und manchmal auch konterkariert wird. Es lohnt sich genau hinzuhören. Eine Kopfhörer-Platte quasi. Eine eine verdammt gute noch dazu.
Hier geht es zu der vorhergegangenen Folge von "Plattenzeit".
Zum Reinhören
Schöne Zeitreihe, freue mich noch mehr auf dieses Album als nach dem ersten Hören von Wristband!