Frau Spaldings Gespür für Rockmusik
Als der Song „Good Lava“ auf die Anhängerinnen und Anhänger von Frau Spalding losgelassen wurde rissen die Diskussionen nicht ab. Die gute Frau mache jetzt plötzlich keinen Soul-Jazz-Pop mehr, sondern Prog-Jazz-Rock-Irgendwas.
Die Gitarren waren in den Vordergrund gerückt, das Schlagzeug abgedreht, der Bass plötzlich nicht mehr akustisch. Spalding hatte mit ihrem Wechsel zum Fretless-E-Bass vermeintlich nicht nur das Instrument gewechselt, sondern auch das Gerne. Während man zum Beispiel den Song „Black Gold“ noch gut und gerne Anhängerinnen und Anhängern von Norah Jones zumuten könnte braucht es für „Good Lava“ schon eine Affinität zu den frühen King Crimson oder vergleichbaren Bands. So könnte man meinen.
Dabei lässt sie in besagtem Song nicht nur ihr Alter-Ego Emily so richtig von der Leine, sondern hat auch für etwaige erschrockene und verschreckte Alt-Fans einen Botschaft im Angebot: „So let loose“. Damit meint sie wohl nicht nur sich selbst und ihr entfesseltes „Ich“, sondern auch Menschen, die ihr diese Art von künstlerischer Freiheit nicht und nicht zugestehen möchten. Leute, lasst los. Entspannt euch. Ich bin´s immer noch, eure Esperanza. Nur dass halt dieses Mal Emily zum Vorschein kommt, die sich um Zuschreibungen und Erwartungshaltungen einen Scheiß kümmert.
Hochgradig talentiert war Esperanza Spalding nämlich immer schon. Aber ihre zum Teil zum Wohlklang neigende Musik produzierte auch Rezeptions-Missverständnisse. Ihre Musik ließ sich auch für Schäferstündchen der zärtlichen Art verwenden und manche Lieder ließen gar die Träume der versammelten Lounge-Soft-Jazz Gemeinde wahr werden. Das war Musik fürs bürgerliche Leben im Eigenheim mit einer kleinen Familie mit allerhöchstens zwei Kindern.
Der Befreiungsschlag
Nun kann man sich ja seine Fans bekanntlich nicht wirklich aussuchen. Als Musikerin mit dem enormen Talent einer Esperanza Spalding kann man sich aber zumindest wünschen, dass die Käuferinnen und Käufer ihrer Platten genau hinhören und tatsächlich zuhören. Zumal wir es hier ja doch irgendwie mit dem Genre Jazz zu tun haben. Die Oberfläche mag schön und teilweise poliert und zugänglich sein, aber auch auf ihren früheren Alben brodelte es unter der Oberfläche. Nicht im Sinne einer wie auch immer gearteten Aggressivität, aber in Hinsicht auf überbordende Musikalität. Die Bassläufe waren verzwickt, die Rhythmen nicht immer gerade, die Harmonien tief im Jazz verwurzelt. Das Songwriter-Talent von Spalding ließ das aber alles so leichtfüßig erscheinen, dass man bald nur noch auf die schönen Melodien hörte und all die kleinen Details kaum mehr wahrnahm.
Gäbe es einen besseren Kommentar auf diese schwierige Ausgangslage als „see this pretty girl/ watch this pretty girl flow…“. So eröffnet sie ihr aktuelles Album. Ihre Kreativität wird in diesem Stück zur „Good Lava“, die sich ihren Weg bahnt. Nach dem Stück ist man, das sollte schon gesagt werden, erst einmal geplättet. Auch als ausgesprochener Modern-Jazz-Hörer und Prog-Rock-Möger. Zumal auch deswegen, weil sich da eine gehörige Dosis Feuer und Funk mit hineinmischen. Ein Gebräu das sich, auf diesem Niveau, sonst nur schwer finden lässt. Prince hat hier ebenso Pate gestanden wie Art-Rock-Bands der 70er Jahre. Der tendenzielle Aufgeblasenheit dieser Spielarten wird mit einer Extra-Portion Soul und Melodie entgegen gewirkt.
Derjenige, der glaubt, sie würde jetzt plötzlich Rockmusik machen, hat die Idee hinter diesem Album nicht verstanden. Es geht ihr darum, die bisher eher implizite Experimentierlaune nach vorne zu rücken und deutlicher hörbar zu machen. Dass sie dabei ihre Rolle als Bass- und Stimm-Virtuosin nie zur Schau stellt muss ihr hoch angerechnet werden. Spalding hat über die Jahre absolute Meisterschaft über ihre Instrumente erlangt, weiß diese aber in den Dienst der Sache zu stellen. Die Songs fransen niemals aus, überflüssige Jam-Passagen oder sinn- und funktionslos Instrumental-Parts sind hier, entgegen der Eindrücke einiger enttäuschter Fans, überhaupt nicht vorhanden. Die Songs sind konzis, melodiendurchtränkt und ohrwurmtauglich.
Was sich aber neben fantastischen Songs auf dieser Platte abspielt ist die eigentliche Sensation: Der Zugewinn des Gitarristen Matthew Stevens kann nur als genialer Zug gewertet werden. Er unterstreicht mit seiner Gitarren-Arbeit die Durchgeknalltheit der Kompositionen von Spalding auf vortreffliche Art und Weise. Kein einziger gespielter Ton von ihm auf diesem Album ist banal, kein Akkord uninteressant oder schon tausendmal gehört.
Dennoch wird daraus kein Exklusiv-Jazz für Menschen mit gespitzten Ohren, die sich an Akkord-Variationen und an harmonischer Reichhaltigkeit erfreuen möchten. Die Gitarren sind drückend. Man möchte sagen: Rockig. Rock mit den Mittel des Jazz und umgekehrt. Dem Rock wird seine Simplizität nachhaltig ausgetrieben und er wird mit Hilfe eines erweiterten Akkord- und Harmonien-Repertoires ganz gehörig aufgewertet und musikalisch ausdrucksstärker. Dem Jazz wird zugleich seine Verkopftheit mit ordentlicher Verzerrung und angemessener Brachialität ausgeredet.
Fazit
Auf diesem Album wimmelt es geradezu was interessante Sounds und Einfälle betrifft. Dass die Platte ausgerechnet mit einer gelungenen Neu-Interpretation von „I want it now“ aus „Charlie und Schokoladenfabrik“ endet ist kein Zufall. Spalding will alles. Und am besten sofort. Sie hat auch die Fähigkeiten dazu, sich das alles sofort zu nehmen. Warum also sich zurückhalten? Warum nicht auch hier wieder Soul-Jazz-Nummer wie das großartige „Unconditional Love“ schreiben, die im Radio gespielt werden könnten? Warum nicht zugleich auch abgedrehte Jazz-Rock-Funk-Monster erschaffen, welche diese Nummern kontrastieren?
Warum nicht darauf hinweisen, dass auch die vermeintlich „einfachen“ und zugänglichen Nummern hier eigentlich ganz schön verrückt sind, wenn man nur einmal genauer hinhört? Warum nicht klar machen, dass alles mit allem zusammenhängt und Genre-Grenzen und Einschränkungen nun wirklich niemand braucht?
„Emily´s D+Evolution“ ist das Zeitdokument einer Musikerin, die sich vollständig frei gespielt hat und sich vor dieser Freiheit nicht fürchtet, sondern endlich aus dem Vollen schöpft. Die Platte ist nicht ekklektisch, sondern stellt sich der Komplexität der gegenwärtigen Musikwelt mit beeindruckender Konsequenz.
Fazit: Ein zeitgenössisches Meisterwerk einer Musikerin auf dem Zenit ihrer Möglichkeiten und Musikalität.
Hier geht es zu den vorhergegangenen Folgen von Plattenzeit.
Zum Reinhören
Titelbild: Holly Andres, Bearbeitung: Felix Kozubek