Glück und Glücks-Konzepte
Die europäische Kulturgeschichte ließe sich ohne weiteres mit dem Begriff des Glücks im Gepäck durchqueren. Dem Erlangen oder der Abwesenheit dieses Zustands wurden zahlreiche Lieder, Gemälde und Kunstwerke gewidmet.
Das ist umso bemerkenswerter, da der Zustand des Glücklich-Seins ja bekanntlich transitorischer Natur ist. Einmal mühsam und mit großer Geduld erreicht ist das Glück flüchtig, entzieht sich und ist schneller wieder weg als man es greifen und festhalten kann. „Das Glück is a Vogerl“ lässt sich von einem bekannten Wienerlied lernen.
Die Konstruktion des Glücklich-Seins ist eine Schimäre. Es gibt ihn schlichtweg nicht, den Augenblick, in dem man das Glück in sein „Sein“ integrieren kann. Es gibt keinen Endzustand, den man nach langen Strapazen und Monaten und Jahren des Unglücklich-Seins erreichen könnte. Der teleologische und ontologische Charakter des Glücks im „westlichen“ Denken ist mehr als fragwürdig.
Der französische Philosoph und Sinologe Francois Jullien öffnet in seinem Text „Sein Leben nähren – Abseits vom Glück“ eine unerhörte, andersartige Position. Er entzaubert die angenommene Universalität des Glück-Strebens als etwas, das nicht notwendigerweise in dieser Form zum Mensch-Sein an sich gehört. Er merkt an: „Nun scheint mir, daß das Denken des Glücks von einem Phänomen der Fixierung herrührt […]“. Er führt weiter aus: „Denn das eine (das Glück) abzutrennen und zu privilegieren, bedeutet zugleich sein anderes, das Unglück, hervortreten zu lassen und es dadurch zu implizieren.“
Trennen wir „Glück“ und „Unglück“ nicht, dann gelangen wir zu einer außergewöhnlichen Gelassenheit und sind offen für Dinge und Situation, die sich ereignen. Wir ordnen sie nicht mehr ein und kategorisieren sie nicht mehr. Wir fragen uns nicht mehr, ob wir dieses oder jenes Ereignis der Seite des „Glücks“ oder des „Unglücks“ zuschlagen sollen. Die Teleologie des Glücks-Strebens wird suspendiert. Der Zustand des Glücklich-Seins wird nicht mehr glorifiziert. Man findet zu anderen Haltungen und Konzepten, um mit Schicksalsschlägen und Rückschlagen umzugehen.
Glück auf Schloss Ambras
Mit diesem theoretischen Rüstzeug lässt es sich federleicht zum 3. Ambraser Schlosskonzert schreiten. Der Sommer ist zurück, der Abend lau, die Erwartungshaltung hoch. Julian Prégardien ist schließlich nicht irgendwer, sondern ein Tenor, der weitum für seine Sangeskünste in Sachen Schumann oder Schubert gefeiert wird. Zu Recht wird so gut wie jeder sagen, der seine Aufnahmen schon einmal gehört hat oder ihn gar schon leibhaftig bei einem Konzert erleben durfte.
Glück war das Leitmotiv dieses außergewöhnlichen Abends. Es befanden sich gleich fünf Stücke im Programm, die das Glück sogar schon im Titel trugen. Die Formulierung im Programmbuch „Dem Glück auf der Spur“ legt eine interessante Fährte. Dem Glück lässt sich nämlich nicht monokausal und monoperspektivisch auf die Schliche kommen.
Zum Glück haben Prégeradien und die Hamburger Ratsmusik Gefährten wie Georg Philipp Telemann, Gabriel Voigtländer oder Johann Ulich an ihrer Seite. Damit lässt sich aus dem Vollen schöpfen und ernsthaft, tiefgründig und scherzhaft mit diesem Themenkomplex spielen.
Lieder und Passagen, bei denen man zu Tode betrübt gerade noch, um seinen Sitznachbarn nicht allzu sehr zu irritieren, die Tränen zurückhalten konnte wechselten sich mit Passagen ab, bei denen lauthals gelacht werden konnte und auch durfte. Kein Wunder, wenn Prégardien vollmundig und mit Telemann als Gewährsmann rezitiert, was denn nun „seltenes Glück“ sei: „Ein Essen, das fein gahr ist/ ein Trunk, der frisch und klar ist/ ein Weib, das guten Haar ist und unter zwanzig Jahr ist: Wenn dies zusammen dar ist, dann heißt ein Glück, das rahr ist.“
Im Verlauf des Konzertes wird das Glück unter anderem als „faul“ tituliert, es wird erörtert, dass es selten per „Posta“ oder gar „zu Pferde“ komme. Das Glück „es geht zu Fuße, Schritt vor Schritt“. Es wird sich in Genügsamkeit geübt, der Hoffnung als Ursprung des Glücks gehuldigt und dem Glück geraten sich zu beeilen, weil man ja morgen möglicherweise schon tot sein könnte.
Zum besonderen Glücksfall gerät bei alldem Julian Prégardien. Er ist der Prototyp eines intelligenten, informierten Musikers, den es nicht immer nur um Werktreue und um das Einhalten der akademischen Vorschriften geht. Seine Interpretation dieser frühen Kunstlieder ist von seinem Umgang mit Liedern von Schumann und Schubert beeinflusst.
Prégardien lässt sich somit als Künstler beschreiben, der sich diesen Liedern von vielen Seiten und nicht aus nur einer Perspektive annähert. Sein breites Interesse und sein Beheimatet-Sein in verschiedensten Epochen und Stilen ist ihm dabei behilflich, die Essenz und die feinen Unter- und Zwischentöne dieser erstaunlich zeitgemäßen und aktuellen Lieder heraus zu destillieren.
Fazit
Man kann zum Glück stehen wie auch immer man mag. Fakt ist, dass dieser Abend aufgrund seines Konzeptes und der durchwegs brillanten Umsetzung glücklich machte.
Nach diesem Abend wollte man dem Glücks-Streben nicht mehr voll und ganz abschwören. Aber der strategische Blick von „Außen“, der sich mit Jullien einnehmen lässt, zeigte an diesem Abend vor allem eines: Man kann sich über die Fixierung auf den kommenden Zustand des Glücklich-Seins vortrefflich lustig machen. Man kann das glorifizierte Glück klug verspotten und wortreich und eloquent anrufen.
Angesichts der Überfülle der sich an diesem Abend um das Glück rankenden Narrative ist die Hoffnung berechtigt, dass uns das Glück als Thema noch lange begleiten wird. So witzig, geistreich und lohnend sich mit diesem zu beschäftigen war es bisher jedenfalls selten.
Impressionen
Zur weiteren Beschäftigung
Titelbild und sämtliche Bilder: (c) Flatz, Innsbrucker Festwochen der Alten Musik