Die aktuelle Platte von Fountainhead aka Tom Geldschläger (oder war es umgekehrt?) hat mich fasziniert wie lange keine Platte zuvor. Vor allem deshalb, weil sich Tom Geldschläger gut hörbar nicht von Erwartungshaltungen und Genre-Grenzen beirren oder gar einschränken lässt. Seine Musik ist hochgradig individuell und etabliert, wenn notwendig und dem Ausdruck dienlich, auch sehr unübliche Spiel-Strategien oder gar „nicht-westliche“ Skalen und Einflüsse.
Für das AFEU sprach ich (via Skype) mit dem Berliner Ausnahmemusiker. Der Fokus lag dabei, ganz dem Gedanken der Kolumne verpflichtet, auf dem aktuellen Album, dessen Entstehungsgeschichte und dessen Hintergründe.
Der Entstehungsprozess von „Reverse Engineering“
AFEU: Kannst du mir bitte kurz beschreiben, was der Titel „Reverse Engineering“ bedeutet?
Tom Geldschläger: Grundsätzlich ist es so, dass ich viele Sachen, gerade musikalisch, mache, bevor ich sie verstehe. Alles was ich tue ist darauf aufgebaut Sachen zu erfühlen, damit zu experimentieren und zu eigenen Ergebnissen zu kommen. Dann gehe ich oftmals den umgekehrten Weg. Ich arbeite mich und verfolge zurück, was mir da eigentlich passiert ist. Ich frage mich, was für Zusammenhänge eigentlich bestehen.
AFEU: Wie ist der Produktionsprozess des aktuellen Albums abgelaufen?
Geldschläger: Gefühlt hat der Prozess ewig gedauert. Fountainhead-Platten sind immer mit ziemlichen Strapazen, Unwegbarkeiten und Katastrophen verbunden. Meine erste Platte „Fear is the enemy“ habe ich 2013 veröffentlicht. Die Songs gehen aber zurück zu einer Zeit, als ich 17 oder 18 Jahre alt war. Bei „Reverse Engineering“ sind es Songs, die ich in den Jahren 2006/2007 geschrieben habe.
Bei den Fountainhead-Platten ist meist eine Verarbeitung von persönlichen Themen und Erlebnissen zentral. Wenn sich genug an Material angesammelt hat, fische ich Sachen heraus und überlege mir, was zueinander passen könnte. Dann arbeite ich gezielt dran und schaue, dass alles Sinn macht und einen schönen Bogen ergibt. Es ist möglich, dass es Jahre dauert, bis die passenden Teile zusammenkommen. Die Platten entstehen grundsätzlich ohne Druck. Druck entsteht bei mir nur dadurch, dass sich Dinge in meinem Leben ereignen, die ich musikalisch verarbeiten muss.
Ich muss ein fertiges Ergebnis im Kopf haben und ganz spezifisch wissen, was ich ausdrücken möchte. Meistens stelle ich fest, dass ich weiß, was ich machen möchte. Ich habe das von irgendwoher „bekommen“. Danach brauche ich nur noch die passenden Noten dazu, die passenden Instrumente und alles was sonst noch notwendig ist. Bis diese Liste abgearbeitet ist, sowohl was Inspiration als auch Umsetzung betrifft, kann es sehr lange dauern.
Grundsätzlich ist es so, dass ich viele Sachen, gerade musikalisch, mache, bevor ich sie verstehe.
AFEU: Auffällig ist für mich die wahnsinnig große (musikalische) Bandbreite des Albums. Ist dir das ein Anliegen? Ergibt sich das oder ist das quasi natürlich?
Geldschläger: Es steckt kein Kalkül dahinter. Es ist ein Ausdruck dessen wie ich Musik mache und Musik höre. Es war schon immer so, dass ich sehr viele Sachen gleichzeitig und gleich gerne gemochte habe. Das setzt sich im Musikmachen klarerweise fort.
AFEU: Wo und wie entstehen deine Kompositionen? Alleine in deinem Studio? Mit einer Band beim Spielen?
Geldschläger: Weder noch. Sie entstehen in meinem Kopf. Bei Foutainhead muss das Stück fertig in meinem Kopf sein. Es muss von irgendwoher kommen. Wenn man es esoterisch sagen möchte: Es wird „gechannelt“. Darauf muss man warten, die Stimmung muss passen. Dann ist es denkbar, dass man schon das gesamte Stück hat. Es gilt anschließend diese Eingebung in der Welt zu manifestieren. Das ist ein langer Weg.
Einflüsse und Haltungen
AFEU: Das klingt so, als ob es philosophische Theoreme, Theorien und Haltungen hinter deiner Art des Musikmachens gäbe.
Geldschläger: Ja, auf alle Fälle. Aber das ist ständig im Fluss. Man ist ja tagtäglich von Dingen und Phänomenen umgeben. Damit ändert und bewegt sich alles ständig.
AFEU: Ich habe aber zumindest gelesen, dass du dich mit Kenny Werner beschäftigt hast.
Geldschläger: Ja, ich kenne vor allem sein Buch „Effortless Mastery“. Das hat mich damals umgehauen. Werner macht Musik grundsätzlich aus der Meditation heraus. Meditation wird dazu genutzt, sich nicht nur in die richtige Stimmung zu bringen, sondern vor allem um zur richtigen Haltung zu gelangen. Egoismus, Unsicherheiten und Traumata, die man mit sich herumschleppt, sollen ausgeschaltet werden, da dadurch die Musik negativ beeinflusst wird. Es geht darum sich in eine Haltung zu versetzen, in der die Ideen von außen einfach kommen und man sie einfach passieren lässt.
Bis ich dieses Buch entdeckte war ich sehr unsicher, was meine Musik betraf. Ich litt außerdem unter ziemlich starker Bühnenangst. Dieses Buch hat mir eine ganz neue Welt erschlossen.
Bei Foutainhead muss das Stück fertig in meinem Kopf sein. Es muss von irgendwoher kommen. Wenn man es esoterisch sagen möchte: Es wird „gechannelt“.
AFEU: Kannst du das in einen genaueren Zusammenhang mit deiner Art des Musikmachens bringen?
Geldschläger: Ja. Man kann Inspiration nicht erzwingen und muss die Ideen einfach „kommen lassen“. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass es harte Arbeit ist, von der Idee zum fertigen Produkt zu gelangen. Ich habe eine sehr konkrete Idee, wie eine Fountainhead-Platte klingen und wie sie umgesetzt werden soll. Die Streicher auf dem Album sind zum Beispiel echt. Die Gitarren-Takes sind wenig geschnitten, sondern ich sitze so lange daran, bis es so klingt wie ich es mir vorstelle.
AFEU: Es finden sich in deiner Musik auch „nicht-westliche“ Einflüsse, etwa indische Musik.
Geldschläger: Grundsätzlich muss ich Musik schön finden. Musik muss was mit einem machen. An der Uni habe ich mit auch mit Avantgarde-Klassik beschäftigt und Sachen gehört wie zum Beispiel Stockhausen. Das ist natürlich faszinierende Musik, macht mit mir aber emotional oftmals nicht viel. Folkloristische Musik aus Indien schafft es aber in jedem Fall, mich emotional zu berühren.
Genre-Grenzen und Klischees
AFEU: Geht es dir auch darum, den (zu engen?) Metal-Kontext zu sprengen, indem du solche Einflüsse zulässt?
Geldschläger: Nicht wirklich. Es geht mir schlicht und einfach um einen grundlegenden Gefühlsausdruck. Es geht mir darum etwas Bestimmtes zu sagen. Dazu brauche ich zum Teil die Möglichkeiten dieser Spielarten. Musik ist grundlegend entweder gut oder schlecht. Entweder sie lässt dich etwas fühlen oder eben nicht. Ich denken nicht in Genres, sondern in solchen Kategorien.
AFEU: Gut. Aber wie ist die Blickweise von außen auf deine Musik? Eben von der „Metal-Szene“?
Geldschläger: Reaktionen sind ja grundsätzlich absurd. Ganz einfach schon mal deshalb weil diese nicht damit konform gehen was in deinem eigenen Kopf abläuft. Natürlich gibt es auch Unverständnis. Das ist einfach zu akzeptieren. Es gibt Hörer, die gewisse Erwartungshaltungen mitbringen, die ich mit meiner Musik nicht erfülle oder erfüllen möchte.
AFEU: Das korreliert ja auch mit der Tatsache, dass du als Gitarrist und Musiker gewillt bist, Klischees zu vermeiden.
Geldschläger: Ich versuche es. Das gilt sowohl für mein Gitarrenspiel als auch für meine Art zu komponieren. Ich denke es ist auch eine Frage, wie man zu Musik steht. Wenn jemanden Musik nicht so wichtig ist, wie sie es zum Beispiel für mich ist, dann gibt man sich damit zufrieden wenn ein Level erreicht wird, welches man von anderen Leuten gewohnt ist.
Ich bin hingegen schnell gelangweilt wenn ein Stück so klingt wie etwas, das schon dagewesen ist. Ich wollte immer mit dem Kopf durch die Wand und etwas machen, das noch nie jemand anderer gemacht hat. Meine Stücke sollen mir zuordenbar sein, nicht jemand anderem.
AFEU: Gibt es den sprichwörtlichen „roten Faden“ auf deiner aktuellen Platte?
Geldschläger: Bei „Fear is the enemy“ war es ja so, dass jeder Song für sich stand und es kaum zusammenhängende Punkte gab – außer der Art wie ich Gitarre spiele. Das war auch so intendiert. Im Gegenzug dazu wollte ich mit „Reverse Engineering“ versuchen, alle vorgestellten Elemente in jedem Song präsent zu haben. Natürlich aber auf je unterschiedliche Art und Weise umgesetzt.
Als ich die Songs für diese Platte schrieb war ich außerdem gelangweilt von der üblichen Rock- und Metal-Schlagzeug-Arbeit. Ich habe somit ganz bewusst darauf geachtet, dass das Schlagzeug immer unterschiedlich agiert.
Danke dir für das Gespräch!
Hier geht es der vorhergegangenen Folge von "Plattenzeit".
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Mirko Stanchev