Die Ränder und Grenzen der „harten Musik“
Die „Blues Pills“ und „Mantar“ haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Sie teilen sich zwar keine gemeinsame Sound-Ästhetik, doch beide sind auf dem deutschen Metal-Label „Nuclear Blast“ zu finden. In letzter Zeit hat dieses nämlich seine Vorliebe für „Retro-Rock“ entdeckt – was wiederum diese ungleiche Label-Verwandtschaft ermöglicht.
Somit ist es derzeit nicht verwunderlich, wenn man dort neben „Blast-Beats“ auch nur dezent verzerrte und 70er-lastige Gitarren zu hören bekommt. Da dieses Label weltweit wohl derzeit der Big-Player schlechthin im Bereich der „harten Musik“ ist, ist es durchaus legitim die Ränder und Grenzen des Repertoires ebendieses als die Ränder und Grenzen der zeitgenössischen „harten Musik“ zu betrachten.
Mantar
Vergangenen Sonntag hatten sich nicht allzu viele Gäste und potentielle Zuhörer bei der deutschen Band „Mantar“ im „Weekender“ eingefunden. Von einer halbvollen Konzert-Location zu sprechen ist legitim. Kurz nach 22:00 erklomm das Duo die Bühne. Ansagen und verbale Kommunikation mit dem Publikum gab es so gut wie keine. Es schien als wolle die Band ihre Reduktion auf der Musikebene auch auf der Kommunikationsebene spiegeln. Kein Ton zu viel, kein Wort zu viel.
Es gab allerdings vereinzelte programmatische Worte, die der Sänger und Gitarrist des Duos an das Publikum richtete. Es wäre zwar Sonntag. Aber sie hätten dennoch einen ganz Sack voll Stress mitgebracht. Dieser „Sack voll Stress“ erwies sich als konzises, zum Kopfschütteln einladendes, höchst verstörendes Stil-Gebräu, dem man mehr als irgendwelche Begriffe und Zuschreibungen das Label „authentisch“ umhängen möchte.
Authentisch schon deshalb, weil das angegiftete Gekreische, die Shouts und die Growls des Frontmannes tatsächlich aus den Untiefen seines hasserfüllten Herzens zu kommen schienen. Keine Pose, keine Inszenierung, keine Nachahmung von irgendwelchen Vorbildern. Sondern ganz einfach pure Empfindung, pure Aggression, pures schwarzes Gift, das einem die sonntägliche Laune tatsächlich verderben konnte.
Gute sechzig Minuten knüppelte sich das Schlagzeug-Gitarre-Gesang Duo durch ihre Songs. Dabei klangen die Kompositionen nur bei ungenauem Hinhören wie Endlos-Variationen ein und derselben Idee.
Hier war aber tatsächlich keine Dilettanten-Band am Werk, die ihre limitierten musikalischen Mittel immer und immer wieder bis zur eigenen und der Erschöpfung des Publikums durchdeklinierte. Die Band wählte ihre Mittel bewusst. Könner übten sich in Reduktion und Fokussierung auf die einzig notwendigen Ausdrucksmittel um der eigenen, verdunkelten und angeschwärzten Gefühlswelt Klang, Ton, Akkord und Rhythmus zu verleihen.
Trotz obligatorischen Zugabe-Rufen gab es keine Zugabe. Nach dem letzten Song verließ die Band fast schon lautlos die Bühne, ließ nach dem Abgang noch ein paar Sekunden ein bisschen Soundscapes laufen. Dann Saal-Licht an. Konzert vorbei. Mantar hatten das Angebot eines durchdachten und geschliffenen Klang-Monoliths mitgebracht, der nichts anderes im Sinn hat als den eigenen Ausdruck. Keine Zugeständnisse, keine Kompromisse.
Blues Pills
Bereits zwei Tage darauf waren die derzeit gefeierten und in den Himmel gelobten „Blues Pills“ auf der Weekender-Bühne zu sehen. Eher selten, dass man dort eine Band zu sehen bekommt, die derzeit auf Platz eins der deutschen Album-Charts zu finden ist.
Dem Anlass und der Musik entsprechend war der Weekender bestens gefüllt und das Publikum von einer hier selten gesehen Heterogenität. Barfuß laufenden Jung-Hippie-Mädchen reihten sich an mehr als nur angegraute Alt-Rocker. Man darf mutmaßen, dass für beide Gruppierungen die durchaus hübsche Sängerin Elin Larsson im Zentrum des Interesses stand. Für die jungen Mädchen als Role-Model, für die älteren Herren als ein dem Konzert folgender nächtlicher Traum mit womöglich sexueller Komponente.
Der Band wurde vorgeworfen, dass sie in der Vergangenheit lebe. Auch die gute Elin kann man sich eher mit Blumen in den Haaren durch San Francisco schlendernd als aktuelle Musik hörend vorstellen. Soll so sein. Ein bisschen Eskapismus kann ja in Zeiten wie diesen nun wirklich niemandem schaden.
Das Konzert selbst wurde zu einer Art Zeitreise. Einer Zeitreise aber, die befremdete. Zumal sich die Uhren der Musikgeschichte ja nur schwer zurückdrehen lassen. Größtenteils wirkten die Kompositionen so, als werfe sich da vor allem auch die wild gestikulierende und hüpfende Frau Larsson leidenschaftlich in Songs, die aber nicht so recht zünden wollten.
Es ähnelte einem maßlos euphorischen Hinweis, da ganz tolle Musik entdeckt zu haben. Versehen mit dem lauten Imperativ, dass man sich das unbedingt anhören müsse, weil das alles so toll und aufregend sei. Man hatte an mehr als nur einer Stelle das Gefühl, dass die euphorisierte Elin Larsson mit ihrem leidenschaftlichen und gesanglich durchaus ansprechenden Engagement über die eigentliche Mittelmäßigkeit der Songs hinwegtäuschen wollte.
Die matschige, wenig differenzierte und insgesamt wenig gelungene Abmischung des Konzertes stieß zusätzlich sauer auf. Die an sich druckvolle und mächtige Stimme von Elin Larsson drohte zu oft im Sound-Gewabere unterzugehen.
Die Musik war insgesamt nicht einmal halb so aufregend, wie es einem die Band weismachen und vorgaukeln wollte. Da half kein hüpfen, kein druckvoller Gesang und keine stellenweise tatsächlich bemerkenswerten bluesigen Soli.
Zweifellos wollten und wollen die „Blues Pills“ das Rad auch gar nicht neu erfinden. Was aber in der Tat nervte ist die Tatsache, dass hier alte Musik in alten Schläuche als etwas Neuartiges und Tolles verkauft wurde.
Fazit
Mantar überzeugten, die Blues Pills enttäuschten. Beide Konzerte sagen aber viel über den Zustand der heutigen „harte Musik“ aus. „Mantar“ stehen stellvertretend für den Trend hin zur Zuspitzung, zur Reduktion und zur Radikalisierung der eigenen Mittel. In der immer komplexer werdenden Flut an musikalischen Möglichkeiten gilt es seine eigene Nische zu besetzen, in dieser hart zu arbeiten und zu den besten der eigenen Nische zu werden.
Die Blues Pills stellen sich diesen gegenwärtigen und zeitgenössischen Herausforderungen hingegen erst gar nicht. Die bereits abgekarteten und klar abgesteckten Mittel der Vergangenheit werden auf mehr oder minder originell Weise neu verwurstet. Musik machen im Hier und Jetzt wird zur kreativen Vergangenheitsbewältigung.
Was sagt das nun aber alles über den Zustand der gegenwärtigen „harten Musik“ aus? Womöglich dass beide Ansätze wenig befriedigend sind. Unter Umständen, dass es gilt, sich auch außerhalb der gefundenen Nische und abseits der allzu einfachen Retrospektive zur Komplexität der Gegenwart zu verhalten. Zumindest würde ich mir das in Zukunft verstärkt wünschen.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Blues Pills, Promo