Politik und Popmusik
Ein Bekannter von mir meinte einst, dass die Musik so ziemlich das Unwichtigste im Kontext Pop sei. Gut so, denn Popmusik ist schließlich vor allem bekannt dafür, Diskurse anzufeuern. An den Inszenierungs-Strategien der jeweiligen Popstars lassen sich unter anderem Geschlechterrollen ablesen. Popmusik ist darüber hinaus vorne mit dabei, wenn es um Subversion im kapitalistischen Umfeld geht. Ein bisserl richtiges Leben im Falschen quasi. Überaffirmation ist eine Strategie, die Ausstellung und somit die Künstlichmachung von Natürlichem eine weitere.
Wer als Pop-Subjekt und somit als Hülle für diverse Zuschreibungen und Verhandlungen verschwindet, der macht sich irgendwie schuldig. Der ist zumindest in Verdacht, eigentlich zuzustimmen. Einverstanden zu sein. Der ist Eskapist und dem ist es egal, wenn sich zum Beispiel in Sachen progressiverem Frauenbild rein gar nichts tut. Der kümmert sich um die reine Kunst und hängt einer romantischen Vorstellung ebendieser an.
Doch das ist eben nur eine Erzählung in Bezug auf die Popmusik. Neben all den Musikerinnen und Musikern, denen es weniger um die Musik, sondern um den Diskurs rings um die Popmusik ging, gab es auch noch Pop-Bands wie die „Beatles“ und die „Beach Boys“, die in musikalischer Hinsicht ihre Hausaufgaben gemacht hatten. Nicht dass deren Musik, vor allem in ihrem Spätwerk, unmenschlich und unhörbar komplex geworden wäre. Aber es war deutlich zu hören, dass man daran interessiert war, das harmonische Repertoire und Vokabular der Popmusik mit dem einen oder anderen ungewöhnlichen Akkord oder schräg arrangierten Chorgesängen zu erweitern.
Welcher Zugang ist „politischer“? Bei welchem wird mehr auf Veränderung gezielt? Darf sich Popmusik gar nicht um ihre eigenen musikalischen Mittel kümmern ohne dass sie unter den Verdacht geriete einer veralteten Kunst-Ästhetik anzuhängen, die uns direkt in Zeiten des Rückzugs ins Private geführt haben?
Die Kunst das Verschwindens
Einen besonders schweren Fall der verdächtigen Schöngeisterei findet man bei Mark Hollis. Das ist der Mark Hollis, dessen Stimme eigentlich schon so gut wie jeder Radiohörer gehört hat. Mit „Such a Shame“ hatte seine damalige Band Talk Talk einen veritablen Hit. Mit der Hit-Tauglichkeit der Band war es aber spätestens mit „Spirit Of Eden“ und „Laughing Stock“ vorbei. Das waren zwei kryptische, aus verschiedensten Musik-Quellen gespeiste Alben, die so gar nicht in die Popwelt von damals passten und auch heute noch Rätsel aufgeben. Die Band bezahlte dieses Wagnis mit dem Erfolg, der sich fortan nicht mehr einstellen wollte. Jahre später wurde die Alben zwar als Meisterwerke kanonisiert. Was jedoch nicht zum rasanten Anstieg der Verkaufszahlen führte. Talk Talk sind dadurch zum Liebhaber- und Kenner-Projekt geworden.
Als ob es noch nicht gereicht hätte diese Schöngeister-Platten unter das nach Hits gierende Volk zu werfen legte der Frontmann Mark Hollis siebe Jahre später noch einen drauf. Er veröffentliche kurzerhand ein Solo-Album. Mit schwarz-weiß Cover. Ganze ohne Single-Veröffentlichungen. Ganz ohne Video-Clips. Ganz ohne sein Gesicht irgendwie auf dem Cover oder im Booklet abzubilden. Die Musik sollte für sich sprechen. Er selbst, als ehemaliger Pop-Star, war mittlerweile als Mittelpunkt von popkulturellen Diskursen und Diskussionen vollständig verschwunden.
Die Stimme war zaghaft. Der Musik jede Tendenz sich selbst zur Schau zustellen ausgetrieben. Von selbst erregt diese Musik keine Aufmerksamkeit. Man muss Zeit investierte und aktiv zuhören. Manchmal flüstert Hollis gar, die Text sind kaum zu hören. Dazu instrumentale Begleitung, die dem Minimalismus den Vorzug gibt. Bevor hier zwei Töne gespielt werden, wird lieber ein Ton gespielt.
Fazit
Nach dieser Platte sollte nichts mehr kommen. Sie war das finale Statement von Mark Hollis. Der Künstler ist nicht mehr anwesend, hinterlässt aber seine Kunst. Seine Solo-Platte ist nicht nur ein enigmatisches Werk, sowohl in musikalischer als auch in textlicher Hinsicht, sondern vor allem eines, an dem In-Kontext-Setzungen und diskursive Verortungen abprallen. Über diese Platte sollte man nicht allzu viel schreiben. Man sollte sie hören. In ihrer Direktheit, Klarheit und Reinheit ist sie eine Aufnahme, die man in dieser Art selten zu Ohren bekommt.
Politisch? Eher nicht. Aber das Statement eines Subjektes, das sich entzieht. Das nicht mehr teilnimmt. Das sich um die Schönheit kümmert. Womöglich wird Schönheit bald als ein hohes Gut gehandelt werden, das wir mehr und mehr verloren haben. Spätestens dann wird diese Platte im großen Stil wiederentdeckt werden.
Zum Reinhören
Titelbild: Leigh Johnson, Bearbeitung: Felix Kozubek
Ein schöner Artikel, der mir voll aus dem Herzen spricht. Schreiben sollte man aber schon über dieses aussergewöhnliche Album. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die schöne Rezension von A.Z. „Jenseits von allem“ auf Amazon.de hinweisen, die alle Details des Albums auf äusserst komplexe und differenzierte Weise beleuchtet. Laughing Stock höre ich bereits seit 25 Jahren rauf und runter, das Album von Mark Hollis hat mich nun so inspiriert, dass ich es seit einem halben Jahr fast täglich höre, um zu arbeiten. Ein Traum. Ich denke, auch hier habe ich mich in 25 Jahren noch nicht dran satt gehört.