Das Ende der Ironie
Wir haben uns alle genug mit der Ironisierung von musikalischen Mitteln und musikalischem Material herumgeärgert.
Im theoretischen Umfeld der sogenannten Postmoderne sind Bands, die uns das Ende der Musikgeschichte verkaufen wollten, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Kein Wunder. Denn wer nichts mehr hat, was er sich mittels Talent und Arbeit an den eigenen Fertigkeiten erarbeiten kann, muss zwangsläufig in die Vergangenheit blicken. Dies tut er dabei notwendigerweise mit einem sehr eingeschränkten Blick. Vieles an Möglichkeiten fällt flach, zumal die eigenen spieltechnischen Fertigkeiten, das eigene Verständnis und die eigene Musikalität nicht ausreichen, um aus dem Vollen zu schöpfen.
Das alles führt zu diesem widerlich-tänzelnden und ironiebewussten Umgang mit dem musikalischen Möglichkeitsraum. Unter der Hand von Dilettanten schrumpft dieser gehörig zusammen. Dem Hörer hingegen wird eine gehörige Rezeptionsleistung aufgebürdet. Sein Fokus soll sich weg von der Musik selbst bewegen und den Kontext ins Visier nehmen. Er muss sich durch sämtliche Bedeutungsebenen vor allem der textlichen Beschaffenheit dieser Bands quälen. Er befindet sich mittendrin im intertextuellen Sinn-Geflecht. Texte verweisen auf andere Texte. Den Ursprung einer Aussage zu finden ist schier unmöglich.
Dieses Spiel ist legitim. Der Umgang mit Sinn-Ebenen ist hin und wieder sogar interessant. Damit geht allerdings ein nicht zu unterschätzendes Problem einher: Im Umfeld der postmodernen Sprachspiele hat die Musikalität stark gelitten. Kaum eine Band hat auf der Musik-Ebene eine ähnlich komplexe Zitat- und Verweis-Kultur anzubieten. Wenn dann geschieht das über Samples. Die Bearbeitung des verwendeten Materials mittels der eigenen Musikalität bleibt dabei aber weitestgehend aus.
Dieser Zustand von Teilen der gegenwärtigen Musikszene wird, zum Glück, zunehmend kritischer gesehen. Und wenn es ein Gegengift zu diesem nach wie vor grassierenden Ironie- und Postmodernität-Gehabe gibt, dann muss dieses Devin Townsend heißen. Er meint es nämlich ernst. Aber sowas von.
„Transcendence“ und die Gegenwart
Die Musik von Devin Townsend wird überwiegend dem „Progressive-Rock“ zugesprochen. Er arbeitet aber nicht mit Genre-Klischees. Es geht ihm nicht darum, möglichst viele Spiel-Strategien aus diesem Umfeld in seine Musik zu integrieren, um nur ja nicht einem andere Genre zugeschlagen zu werden. Er nimmt den Begriff beim Namen und bewegt sich in alle Richtungen, die ihm seine enorme Musikalität erlaubt.
Dabei kann schon einmal eine Platte entstehen, die durchaus poppig ist. Es kann aber auch eine brachiale Prog-Metal-Platte sein, die aufgrund ihrer Komplexität dem Prog-Rocker von nebenan die Kinnlade hinunter klappen lässt. Sein Weg ist aber nicht teleologisch. Es geht ihm nicht um das Erreichen eines Endzustandes, der möglichst vielschichtig und unfassbar komplex ist. All seine Schritte garniert Townsend darüber hinaus mit seinem ureigenen Humor.
Nicht umsonst wird Townsend gerne als der Frank Zappa des Metals bezeichnet. Ganz egal ob ihm diese Zuschreibung nützt oder schadet, sie beschreibt seinen Umgang mit Musik und Virtuosität bestens. Auch Zappa ließ sich nicht festlegen. Und seine aus musikalischer Sicht schwierigsten Passagen strotzten nur so von Humor und Spielfreude. Keine Ironie, nirgends. Zappa meinte es ernst und benutzte seinen archaischen Humor, um Hörgewohnheiten in Frage zu stellen und Hörer weit aus ihrer Komfort-Zone herauszulocken.
Townsend ist ebenfalls nie virtuos im der Virtuosität Willen. Er ist nie klar und einfach, weil er nicht zu mehr fähig wäre. Er wählt seine Mittel nach den Erfordernissen seiner jeweiligen Songs und Aussagen aus. Limits und Einschränkungen gibt es dabei in keine dieser beiden Richtungen.
Wie Townsend auf „Transcendence“ mit seiner fabelhaften Band Soundschicht auf Soundschicht türmt, ist einzigartig. Man erkennt dieses Projekt nach den ersten Tönen wieder. Bei dieser Aufnahme hat er seiner Band jedoch besonders viel Spielraum für eigene Kreativität gegeben. Der Kontroll-Freak hat erstaunlich viel Kontrolle abgegeben, was den Prozess der Einspielung dieser Songs betraf. Beim Endergebnis hat er aber, wie für ihn so üblich, nichts dem Zufall überlassen. In vielerlei Hinsicht ist diese Platte die ultimative und womöglich auch beste Platte dieses Projektes. Vieles ist zuspitzt, perfektioniert, letzten Endes hier zu Ende gedacht.
Textlich ist, bei allem Humor, eine seltene Klarheit eingekehrt. Sowohl Musik als auch Texte sollen erhebend sein. Licht anbieten in einer immer dunkler werdenden Welt. Townsend leistet Widerstand gegen den Zeitgeist und fordert seine Hörer auf, das ebenfalls zu tun. Spätestens mit „Offer Your Light“ wird das deutlich. „Transcendence“ legt Ironie und Negativität ab, um zur vollen Entfaltung zu gelangen. Wenn es sein muss um ihre „Mission“ zu untermalen, benutzt die Band auch Soundeffekte, die eine vermeintlich intellektuelle und postmoderne Band links liegen lassen würde. Hier geht es nicht um Geschmäcklertum, sondern um ein wichtiges Anliegen, das sich im Hier und Jetzt beim besten Wille nicht mehr aufschieben lässt.
Fazit
Diese Platte wirkt. Nach dem Anhören fühlt man sich, bei so viel aufrichtiger Emotion und existenzieller Dringlichkeit, absolut erschöpft. Das Album will jedoch keinen Erschöpfungszustand hervorrufen, sondern die Hörer provozieren und herausfordern. Neben dem Licht, das Devin Townsend der Welt in musikalischer und menschlicher Hinsicht schenkt, wirkt so mancher wie ein fast erloschenes, sehr kleines Lichtlein.
Die Fragen nach dem Anhören dieser Aufnahmen sind drängend und dringlich: Wie kann man ebenso viel Licht in die Welt bringen? Wie gelangt man zu einer solch positiven Intensität wie der gute Herr Townsend? Keine einfachen Fragen. Aber notwendig. Die Flucht in die Ironie gilt und funktioniert nicht mehr. Wir müssen andere Wege finden. Diese Platte ist in dieser Sache ein guter Weggefährte.
Hier geht es zu der vorherigen Folge von "Plattenzeit".
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Rebecca Blissett, Bearbeitung: Felix Kozubek