Allerdings sieht die Welt in diesem November eigentlich schon finster genug aus – und dann soll man sich auch noch von Metalmusik und ihren deprimierenden Botschaften runter ziehen lassen?
Für Opeths Sänger und Gitarrist Mikael Åkerfeldt gilt offensichtlich, dass das Schreiben recht kathartisch wirkt. Wenn man die eigene Einsamkeit und Schwermut, die eigenen Ängste in so kluge Texte und so vielschichtige Musik zu verwandeln vermag, kann man ruhig ein richtig netter Kerl sein. Man kann auch offen sagen, dass man gerne Folk und Blues hört, dass man sich im Songwriting auch mal von John Coltrane inspirieren lässt.
Åkerfeldt ist ein höflicher und immer etwas sarkastischer Metaller. Live zeigt sich, dass der Mann immer noch growlen kann wie in den guten alten 90ern, auch wenn er auf den letzten Alben fast nur mehr clean singt. Zur großen Freude ihrer treuesten Fans spielen sie auch ganz altes Zeug, das sich dann zum Beispiel „Demon of the Fall“ nennt. Es zeigt sich aber auch, dass Åkerfeldt eine Stimme hat, und eine richtig ausdrucksstarke noch dazu. Das musikalische Ergebnis ist so gut, dass auch eingefleischte Headbanger sich nicht dagegen wehren können.
Verrat an den Prinzipien des Metal?
Viele haben sich von Opeth verraten gefüllt, nachdem sie sich vom Death Metal ab- und dem Prog Metal zugewandt hatten – weshalb Åkerfeldt gerne sagt, sie wären den umgekehrten Bob-Dylan-Weg gegangen, vom Harten zum Sanften.
Mit Damnation kam 2003 ein ganz zurückhaltendes, cleanes Album heraus, das der Mentalität nach Metal ist, dem Sound nach aber etwas ganz anderes. Damit war eine Grenze überschritten – und die musikalische Landschaft dahinter kundschaftet Opeth immer noch aus.
Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte haben sie aber eine ganz eigene, raffinierte Ästhetik entwickelt und sie nicht einfach, wie so viele andere, von Walhalla oder Mordor abgekupfert. Das heißt auch, dass sie sich immer noch verändern und weiterentwickeln. Der (Death) Metal ist eine todernste Angelegenheit, aber er ist auch ein Spiel. Er hat seine Regeln, aber wenn die gebrochen werden, entstehen erst die richtig interessanten Dinge. Damit der künstlerische Anspruch nicht flöten geht, muss man sich auf das Spiel einlassen und dabei laufend über sich selbst hinauswachsen. Das gelingt Opeth seit mindestens 20 Jahren
Besonders ihr neuestes Album Sorceress, das sie derzeit in einer umfassenden Europa-Tour präsentieren, ist nicht mehr so reduziert wie manche vorhergehende, sondern stark narrativ und einen Hauch romantisch. In erster Linie geht es um die zerstörerischen, abgründigen Seiten der Liebe.
Und da ist es auch sehr passend, dass ein Song „Persephone“ heißt, und ein anderer „The Wilde Flowers“, auch wenn der Metal eher in der Nacht zu Hause ist und Blumen lieber mit seinen Doc Martens zertrampelt. Opeth ist Avantgarde und down-to-earth in einem. Das bedeutet Grenzüberschreitung, aber eher retrograd. Der Sound geht zunehmend in Richtung 80er-Rock und auch Blues und Jazz.
Kunst braucht Veränderung
Als Songwriter ist vor allem Mikael Åkerfeldt für die Inhalte zuständig – er ist auch das älteste Mitglied, und das einzige, das bei allen Alben mitgewirkt hat. Aber mit Martín Méndez hat er seit fast 20 Jahren einen Bassisten an seiner Seite – und was für einen Bassisten! Einen, der im Titelsong Sorceress mit beeindruckender Nonchalance vom Death-Rhythmus zum Blues wechseln kann. Auch Drummer Axenrot und Lead-Gitarrist Åkesson, der von Arch Enemy abgeworben wurde, sind herausragende und vielseitige Musiker – und dass ein Keyboarder live eine so tragende Rolle spielt wie Joakim Svalberg, ist ohnehin eine große Ausnahme. Die fünf sind eine Fusion, kein zusammengewürfelter Haufen. Da ist es umso schöner, dass sie einfach eine gute Show spielen, ohne Special Effects oder anderen Firlefanz.
„It’s pretty old school. So thanks for not needing eye candy all the time“, sagt Åkerfeldt einmal zwischen zwei Songs. Es geht, ganz old school, einfach um gute Musik, ohne Metakonzept, ohne performative Ansprüche. Das ist nicht nur erholsam, sondern auch schön. Man kann sich, maßlos altmodisch, einfach in Åkerfeldts Texten wiederfinden, leiden und sich verstanden fühlen und deshalb weniger leiden. „I am just another ripple in the current of an age / Another crossed out name on another wrinkled page“, heißt es auf dem aktuellen Album. Wenn das nicht das Lebensgefühl der Realisten im frühen 21. Jahrhundert trifft, trifft es gar nichts.
Aber viel mehr als anderen mit der Düsterkeit der Welt auf die Nerven zu fallen, hat der aufrechte Metaller mit der Musik ein Ventil für die eigenen düsteren Anwandlungen. Die kann man natürlich auch überbewerten, was wiederum recht ungesunde Folgen haben kann; das vor allem in Verbindung mit entsprechenden Ideologien und einem Feuerzeug. Das ist dann aber der Metal, der mehr mit Lifestyle als mit Kunst zu tun hat; und womöglich auch mehr mit Langeweile als mit echtem Weltschmerz. Denn dazu braucht es immer ein gerüttelt’ Maß an existentieller Verzweiflung.
Und wenn Musik – egal ob Metal oder nicht – Ausdruck von etwas Echtem bleiben soll, in dem wir uns als Zuhörer wiederfinden können, muss sie auch organisch bleiben. Dann müssen wir ihr erlauben, dass sie sich wandelt und weiterentwickelt, weil auch der Mensch, der sie schreibt, nicht gleich bleibt. Wenn der Death Metal seine kathartische Wirkung zur Gänze entfaltet halt, dann muss man andere Ausdrucksmöglichkeiten finden. Dann darf es auch mal Pfauen als Albumcovers geben, und Songs mit Blumen im Titel.
Bei der Show in Zürich zeigt sich: Auch die ältesten Fans, auch die, die so aussehen, als würden sie nicht vor Sonnenuntergang aufstehen, sind sehr glücklich damit. Weil es auch im Metal nicht nur um Haltung oder Ideologie geht. Sondern einfach um richtig gute Musik, die richtig viel zu sagen hat. Das haben wir unter anderem Opeth zu verdanken.
Das neueste Album „Sorceress“ ist mit dem vorhergehenden „Pale Communion“ musikalisch am vielschichtigsten und komplexesten.
Für die milden Metalfans ist „Damnation“ sicher der schönste Einstieg in das Opeth-Universum. Mit „Deliverance“, das fast zeitgleich erschienen ist, kann man sich aus der anderen Richtung nähern – es gilt mit als eines ihrer härtesten Alben. „Ghost Reveries“ dagegen ist eine wirklich schöne, vielseitige Platte, auf der für alle etwas dabei ist.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Christer Lorichs