Solange und ihre große Schwester
Solange ist die kleine Schwester von Beyoncé. Sie ist auch die Person, die vor einigen Jahren deren Ehemann Jay Z in einem Aufzug verprügelte. Sie ist nicht zuletzt schwarz und hat eine nicht immer ganz leichte Kindheit hinter sich. Ihre Eltern haben hart gearbeitet. Vor allem dafür, dass ihre Töchter jetzt dort stehen können, wo sie sich gerade befinden. Im Jahr 2016 haben sowohl Beyoncé als auch Solange Alben veröffentlicht, die sich mit der schwarzen Geschichts- und Gegengeschichtsschreibung und generell ihrem Schwarz-Sein befassen.
Sie tun es jedoch auf grundlegend verschiedene Arten. Beyoncé, ganz die Queen of R´n´B, tut es pop-affin mit vielen Zeichen und Codes, die sich auch in der Spielpause des Super-Bowls gut und kontrovers in Szene setzen lassen. Im Kern erzählt „Lemonade“ aber von einer verletzten, schwarzen Frau, die höchstwahrscheinlich bereits mehrfach von ihrem Ehemann betrogen wurde. Das lässt sich gerne und gut auf die konkrete Biographie von Beyoncé und ihren Ehemann Jay-Z beziehen. Die besondere Qualität dieses Albums besteht aber darin, dass die Identifikation weit weiter reicht. Auch weiße, glücklich verheiratete Männer ließen sich von diesem Album anrühren und verführen.
Solange erzählt anders. Sie benutzt andere Musik. Sie schreibt ihr Songs durchgehend selbst. Sie braucht keine ganz handfeste brüchige Liebesbeziehung um ihr Dasein als schwarze Frau zu thematisieren. Im Gegensatz zu ihrer Schwester erhebt sich nicht den Anspruch, Teile der schwarzen Geschichte neu und anders zu erzählen. Die Behauptung, dass sich eine zerrüttete Ehe voller Demütigungen dazu eignet die Demütigung und Unterdrückung von schwarzen Frauen in Amerika an sich auszudrücken bleibt bei „A Seat at the Table“ von Solange weitestgehend aus. Ihr Ansatz geht also, je nach Perspektive, weniger weit oder weiter.
Solange und der Körper der schwarzen Frau
„Lemonade“ verfügt selbstverständlich über Momente der Innerlichkeit. Im Grunde handelt es sich dabei aber um ein manifest gewordenes Statements einer schwarzen Frau, die letzen Endes ihre Wut kämpferisch nach außen trägt und kanalisiert. Die Selbstzweifel überwindet, die sich mit anderen Frau formiert um für Rechte von schwarzen Frauen zu kämpfen. Einen solchen Ausweg gibt es auf „A Seat at the Table“ nicht.
An diesem Album hat Solange jahrelang gearbeitet. Ihr letztes Album wurde im Jahr 2008 veröffentlicht. Während des Schreib- und Aufnahmeprozesses des vorliegenden Albums erlitt Solange einen Zusammenbruch. Die lange Produktionszeit erklärt die unfassbare Qualität der Songs. Ihr emotionaler Zustand die Dünnhäutigkeit und emotionale Intensität dieser Lieder. Sie findet kaum eine Meta-Ebene. Sie spielt nicht mit Zeichen und Codes. Sie verortet sich nicht in der schwarzen Geschichte. Sie findet keine Erzählung, die es ihr in gewisser Weise ermögliche würde, Abstand zu ihrer eigenen Geschichte zu finden und besser zu erkennen, in welcher Situation sie sich befindet.
Sie lässt sich den Zustand der amerikanischen Gegenwart und die Marginalisierung der schwarzen Frau unter die Haut gehen. Sie ist mit Haut und Haaren daran beteiligt. Kein Ausweg, nirgends. Keine Ironie, keine popkulturell geschulte Besserwisserei. Einfach nur fantastische Soul-Songs mit geschickten Arrangements und ungewohnten und zum teil avantgardistischen Harmonien. „I´m gonna look for my body yeah,“ singt Solange in ihrem Song „Weary“. Das geschieht während der ganzen Platte. Sie, als schwarze Frau, ist mit ihrem ganzen Körper involviert. Das Leiden und die Unterdrückung äußern sich unmittelbar und unvermittelt. Der Druck unter dem diese Lieder entstanden ist stellenweise emotional fordernd und überfordernd.
In „Cranes In The Sky“ formuliert sie es so: „I tried to drink it away/ I tried to dance it away/ I tried to change it whith my hair“. Später merkt sie an: „Don´t touch my hair/ When it´s the feelings I wear“. Es geht um die pure Selbstbehauptung des weiblichen, schwarzen Subjektes in einer Gesellschaft, die dieses lieber marginalisiert sähe. „Walk in your ways so you will wake up and rise“ heißt es an anderer Stelle.
Es ist nicht das zentrale Anliegen, eine weitere „schwarze Platte“ zu veröffentlichen, die den schwarzen Frauen in Amerika und darüber hinaus eine lautere Stimme geben könnte. Es geht um alles. Darum, ob man in der früh überhaupt aufsteht. Darum, ob man sich und seine Körper überhaupt lieben kann. Darum, ob es sich lohnt dieses Leben überhaupt zu leben. Darum, ob man überhaupt leben und lieben kann.
Das ließe sich alles insgesamt verkürzt als eine Form der Innerlichkeit beschreiben. Auch die Idee, dass das Politische eben immer auch ins Private hineinreicht könnte angeführt werden. Damit hätte man das Konzept womöglich zureichend beschrieben. Doch damit wäre die Platte auch auf bequeme Distanz gehalten.
Sie erzählt eben nicht nur die Geschichte einer schwarzen Frau, die am Leben und an den Umständen fast zerbricht, sondern vom Leiden generell. Ungeschönt mit betörend-schmerzhaft-schöner Musik. Wer sich diese Platte nicht vom Leib halten will, lässt sie ganz wirken. Mit Haut und Haaren. Mit Höhen und Tiefen. Der Höreindruck ist überwältigend. Dass sie dann wiederum konzeptionell ebenso gut funktioniert lässt sie auf einer zweiten Ebene spannend bleiben und die Zeit überdauern.
Fazit
Mit Superlativen sollte man ja bekanntlich sparsam umgehen. Doch hier sind die gerechtfertigt. Solange reiht sich mit diesem monumental-stillen und sanft-revolutionären Werk in eine Reihe mit wegweisenden Alben von Prince oder Erykah Badu ein. Ausfälle oder gar Füller finden sich auf diesem Album nicht. Ein zukünftiger Klassiker, zweifellos. Zu diesem Album ist ganz sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Columbia Records, Bearbeitung: Felix Kozubek