Plattenzeit #38: Markus Reuter – Todmorden 513

8 Minuten Lesedauer

Neuland


Vor einigen Jahren habe ich Markus Reuter in Innsbruck kennen gelernt. An einem Ort somit, den er nie wirklich gemocht hat. An einem Ort, an dem er aber, familiär bedingt, jahrelang gelebt hat. So richtig hat Markus nie nach Innsbruck gepasst. Oftmals beklagte er sich darüber, dass sich zu wenig Kollaborationen mit Musikern vor Ort ergeben. Zum Glück hatte er damals schon seine internationalen Netzwerke. Mittlerweile lebt er schon mehrere Jahre in Berlin.
Markus Reuter denkt nicht in Szenen, er denkt in Kreisen. Weltweit bilden sich Kreise um ihn und er schließt sich Kreisen an. Die Akteure in diesen Kreisen pushen sich gegenseitig. Diese Kreise dienen aber nicht dazu, wie etwa eine Szene, sich selbst zu bestätigen und sich wohlwollend auf die Schulter zu klopfen, sondern sie haben die Funktion Verfahren und Ideen zu erarbeiten um Musik-Neuland zu betreten.
In einem Gespräch erzählte mir Markus einmal, dass er von der Motivation getrieben sei, den „holy grail“ zu finden. Später habe er bemerkt, dass er diesen Gral nicht finden, sondern sich selbst erarbeiten müsse. Sein Streben als Musiker lässt sich so auf den Punkt bringen. Neuland betreten. Musik schaffen, die neuartig ist. Dem ordnet er alles unter. Sein Ego, seine Virtuosität, sein spieltechnisches Können.
In diesem Kontext ist es bemerkenswert, dass ihm in Innsbruck, manchmal implizit und zum Teil explizit, Arroganz und ein zu großes Ego vorgeworfen wurde. Ich habe aber selten einen Musiker getroffen, der so wenig von Ego und von egoistischen Gründen bewegt und angetrieben wurde wie Markus. Es handelt sich bei seinem Verhalten nicht um Arroganz oder Ego-Gehabe, sondern um Ernsthaftigkeit und Fokussierung auf die Musik.
Das interpretieren so mancher als Überheblichkeit und eben Arroganz. Musikern, die mit weniger Ernsthaftigkeit und weniger Fokussierung musizieren und produzieren begegnet er abweisend und desinteressiert. Auf der Suche nach Musik-Neuland hält er sich nicht mit Szene-Hörigen und Mittelmäßigen auf. Er will nicht nur einen weiteren unbedeutenden Mosaikstein produzieren, der nur in bestimmten Szenen wahrgenommen wird. Es geht ihm um das große Ganze.
In seiner Innsbruck-Zeit war „Todmorden 513“ sein „holy grail“. Die Komposition geht auf das Jahr 2010 zurück. 2012 wurde sie aber zusammen mit dem amerikanischen Dirigenten und Komponisten Thomas A. Blomster aufwendig arrangiert und schließlich 2013 in Denver in den USA mit einem Orchester zur Aufführung gebracht. Das Stück ist, wenn man so will, ohne Ego. Markus Reuter bedient sich eines algorithmischen Verfahrens, mit dessen Hilfe sich 513 Harmonien und Dreiklänge ergeben.


In alle Richtungen


Mittlerweile hat Markus schon weitere Kompositionen zur Aufführung gebracht. Unter anderem ein Solo-Stück für Klavier. Ein wichtiges Feld für ihn sind auch seine seine Touch-Gitarren, die er selbst designt und baut. An diesen Gitarren interessiert ihn vor allem, dass sowohl durch die Spieltechnik als auch durch den Tonumfang dieser Instrumente die sonstige Limitierung der Gitarre aufgehoben wird. Abermals geht es um Neuland.
Mit diesen Gitarren tourt er ausgiebig mit „Stick Men“ und dem „The Crimson ProjeKCT“. Er macht kein großes Aufsehen darum, dass er bei diesen Projekten und Bands mit Weltklasse-Musikern auf der Bühne steht, die aus dem Umfeld von King Crimson oder Peter Gabriel stammen. In ihren Kreisen fühlt er sich aber wohl. Sie bringen die gleiche Fokussierung auf Musik und die selbe Ernsthaftigkeit mit. Ihr Antrieb ähnelt seinem.  Das zählt.
Der Musiker, Gitarrist und Komponist Markus Reuter lässt sich nicht leicht fassen. Sein Schaffen lässt sich, zumindest musikalisch, nicht einfach auf den Punkt bringen. Ist er Komponist, der nur mehr komponieren und nicht mehr selbst auf der Bühne stehen will? Ist er der selbstlose und hochmusikalische Team-Player, der die tragende Säule in den bereits genannten Bands ist?
Wahrscheinlich ist, dass sich seine Haltung zur und sein Umgang mit Musik in all seinen Aktivitäten spiegelt. Bei der Band „Stick Men“ ist er nicht nur tragende Säule, sondern oftmals auch derjenige, der die  Band pusht und herausfordert. Sein Spiel ist ebenso sehr songdienlich und bescheiden wie es herausfordernd und provokant ist. Sein Musikverständnis tritt immer offen zu Tage, ist jedoch nie ostentativ oder gar aufdringlich eingeschrieben.


Fazit


Fakt ist, dass Markus in Innsbruck fehlt. Dass er auch mir fehlt. Berlin ist nicht aus der Welt. Aber zu weit, um einfach so auf einen schnellen Kaffee zu gehen und sich mit ihm über Musik zu unterhalten.
Er würde mit bedachter Stimme reden und sich darüber wundern, dass bei vielen Bands nicht die Musikalität im Zentrum stünde. Dass bei vielen lokalen Musikern die Sehnsucht Musiker zu sein größer sei als ihr tatsächliches Musiker-Sein. Er würde damit wohl wieder falsch verstanden werden. Als Ego-Musiker, der sich weit über die anderen stellt. Dabei würde er, zu Recht, nur bei vielen die Ernsthaftigkeit und die vollständige Hingabe vermissen.
Ich habe viel von ihm gelernt. Dass, wenn es um Musik geht, nur die Musik zählt, die Musikalität. Diese findet sich in so gut allen Genres und Spielarten. Egal ob im avantgardistischen Metal oder bei einem Singer-Songwriter. Lediglich die Qualität entscheidet, nicht das Genre und schon gar nicht die Szene-Zugehörigkeit. Ich habe immer noch ein schönes Kompliment von ihm im Ohr: „Du interessierst dich tatsächlich für Musik“.
Es wäre nicht vermessen zu behaupten, dass vieles davon, was ich tue oder schreibe versucht diesem Ausspruch und Anspruch gerecht zu werden. Ich will mich tatsächlich interessieren, mich tatsächlich mit Musik beschäftigen, genau hinhören und mit einem möglichst weiten Hör-Horizont urteilen und beschreiben. Das gelingt nicht immer. Aber es ist eine wichtige Antriebsfeder.
Während ich das versuche und während ich schreibe sucht Markus in Berlin und in der Welt schon weiter. Lotet Musik-Möglichkeiten aus. Ist ständig in Bewegung. Ich bin dankbar dafür, dass wir uns während seines Aufenthaltes in Innsbruck kennen gelernt haben und dass er auch mich in Bewegung gebracht hat.


Zum Reinhören





Titelbild: (c) Anya Roz, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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