Zur Lage der Popstars im Heute
Die Zeiten haben sich geändert und nur noch ein paar Alt-Rocker mit ihren Plattenspielern im Keller haben es nicht bemerkt. Ziemlich sicher sind auch genau das die Leute, die gehässige Kommentare posten, wenn Beyoncé wieder mal einen Musikpreis gewinnt. Keine wirkliche Musik sei das. Sie schreibe ja ihre Songs nicht einmal selbst. Echtes Musik-Handwerk sei aber ohnehin im Rückzug begriffen und somit wundere man sich über diese Situation eigentlich eh gar nicht.
Dabei wird übersehen, dass Beyoncé im Studio der Boss ist. Renommierte Produzenten und Musiker berichten in regelmäßigen Abständen davon, wie begeistert sie davon waren was Beyoncé aus ihren Ideen und Songs gemacht hat. Passen die Ideen und die Inputs nicht, wird von Beyoncé solange daran herumgeschraubt und herumgenörgelt, bis es ihr passt und bis es insgesamt bestmöglich passt. Die Ergebnisse sprechen dann, siehe vor allem „Lemonade“, absolut für sich.
Beyoncé verkörpert in dieser Hinsicht den perfekten, gegenwärtigen Popstar. Sie weiß, was sie will. Damit ist der alte Typus des Popstars, der sich Songs ausschließlich auf den Leib schreiben ließ und dazu ein bisschen nett tanzte vertrieben. Der Popstar im Hier und Jetzt hat den Überblick zu bewahren und sich die Kontrolle über sein Zeichen- und Musiksystem zurückzuerobern. Selbstbestimmtheit und Emanzipation sind die Zauberwörter.
Ihre Schwester Solange geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie behält nicht „nur“ die Kontrolle über ihre Inszenierung und ihre Musik, sie schreibt ihre Songs sogar selbst. Damit ist es gar denkbar, dass sie ein klein wenig Respekt aus der Schicht der alten, weißen, Rockmusik hörenden Männer bekommt. In mühevoller Kleinarbeit hat sie sich jedenfalls auf „A Seat at the Table“ ein ganzes Universum an Bezügen, Akkorden und Melodien aufgebaut, die vor allem nach ihr selbst klingen. Sie bemüht dazu kein gänzlich neues Material, formt, dehnt und überdenkt dieses aber so intensiv, dass daraus tatsächlich neuartige, experimentierfreudige und nicht zuletzt hoch emotionale Popmusik entsteht.
Wenn man so will geht Sampha noch einen Schritt weiter. Sowohl Beyoncé als auch ihre Schwester Solange umgeben sich gerne mit angesagten und hochtalentierten Produzenten. Diese handverlesenen Menschen haben sie dabei unterstützt zwei der bemerkenswertesten Alben des vergangenen Jahres auf den Markt zu bringen. Überaus beliebt ist es auch, mit anderen Sängerinnen und Sängern zusammenzuarbeiten. So war Sampha unter anderem auf „Don´t touch my hair“ von Solange mit engelsgleicher und zugleich kräftiger Stimme zu hören. Lange Zeit sah es so aus, als würde er seine Stimme „nur“ anderen Musikern wie Kanye West, Drake und Beyoncé zur Verzierung und Veredelung leihen und selbst gar nicht so recht in die Gänge kommen.
Sampha uns seine hermetische Welt
Seit einigen Tagen liegt „Process“ von Sampha jetzt aber vor. Nach Features bei anderen Musikern, einer ersten EP und sonstigen Talentproben hat er nunmehr sein Debüt-Album veröffentlicht. Irgendwie verständlich, dass er auf Fremdhilfe und Unterstützung insgesamt verzichtet hat. Er hätte die Struktur gleich behalten und weiterführen und hätte sich wiederum mit Gastsängern und Produzenten umgeben können. Damit wäre es denkbar geworden, dass seine eigenen Ideen noch einen anderen Drive bekommen.
Er transzendiert aber diese Struktur. Das macht das Argument plausibel, dass sich Sampha in die Reihe von Beyoncé und Solange einreihen lässt, dabei aber einen Schritt weitergeht. Behält Beyoncé lediglich die Kontrolle und schreibt und komponiert wenig selbst, ist es ihre Schwester Solange, die sich die je passenden Produzenten und Musiker sucht, um ihre Ideen und ihre Songs möglichst gut umzusetzen. Sampha hat die Kontrolle über sich und seine Songs, produziert und schreibt selbst und hat auf „Process“ erst gar keine Lust sich von anderen Menschen helfen zu lassen. Er kann das schon ganz alleine. Und wie!
Der gute Mann kann Klavier spielen und der gute Mann kann komponieren und produzieren. Aber das können andere auch. Er macht mit diesen reichen Gaben etwas, das ihn zum Popstar ganz neuer Prägung macht. Seine Songs haben Hooklines, Melodien und scheuen auch nicht die große Geste. Aber ebenso sind die Kompositionen von einer merkwürdigen Innerlichkeit und Versponnenheit durchzogen. Sampha zeigt sich, seine Stimme ist weit nach vorne gemischt. Zugleich sind aber seine Sound-Spielereien und Elektro-Frickeleien die eigentlichen Stars dieser Platte. Es wirkt so als benutzte Sampha seine Fähigkeit großartige und eingängige Songs zu schreiben dazu um seine Hörerinnen und Hörer anzulocken und sie dann ganz in seine Sound-Welt zu verstricken.
In dieser wird nicht nur geschmachtet und getrauert, sondern vor allem die Form „Pop-Song“ aufs Äußerste hin getrieben. Harfen-Klänge, befremdliche und harmonisch im Kontext Pop irritierende Chorpassagen sind keine Seltenheit. Dazu gesellen sich Beats, die man noch nicht tausendmal gehört hat. Selbst die Refrains sind originell und ganz und gar nicht abgedroschen. Sampha ist ein meisterhafter Klischee-Vermeider und Sound-Betörer.
Fazit
Mit „Process“ wird es eindrucksvoll belegt: Hier beginnt die Zukunft der Popmusik. Ja der Musik insgesamt. Zumindest der Musik, die Anspruch darauf erhebt, mehr als 5.000 Einheiten verkaufen zu wollen. Im Heute sind Anspruch und Markttauglichkeit keine Widersprüche mehr. Das ist eine bemerkenswerte und wichtige Entwicklung, die endlich zur Kenntnis genommen werden sollte.
Wer sich lieber mit seinen alten Rock-Platten und seinem Plattenspieler im Keller verkriecht und weiterhin das „gute alte Handwerk“ verteidigt verpasst grandiose Platten wie ebendiese hier. Die Musik ist in den letzten Jahren nämlich keineswegs schlechter geworden, es haben sich nur die Mittel und Zugangsweisen geändert. Sampha vereint Musikalität, Können am Instrument und herausragende Fertigkeiten als Produzent. So muss man sich um die Zukunft der Musik wahrlich keine Sorgen machen.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Enjoy the show, Flickr.com