Im Hintergrund
Thundercat, mit bürgerlichem Namen eigentlich Stephen Bruner, kennt nicht jeder. Sehr viele kennen aber seine Bass-Lines auf wegweisenden Alben von Kendrick Lamar, Erykah Badu oder Flying Lotus. Seine Rolle auf diesen Platten lässt sich aber keinesfalls auf die eines Studio-Bassisten beschränken. Man munkelt gar, dass Thundercat den guten Kendrick erst dazu brachte, sich verstärkt Jazz-Platten anzuhören. Der Schluss liegt nahe, dass sein Meisterwerk „To Pimp a Butterfly“ auch aufgrund von Bruner so klingt, wie es eben klingt.
Überhaupt steht der Jazz bei Thundercat und seinem Umfeld zur Debatte. In regelmäßigen Abständen wird auf dem Label „Brainfeeder“ von Steven Ellison, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Flying Lotus, jazziges veröffentlicht. Auch das charmant-größenwahnsinnige „The Epic“ von Kamasi Washington wurde auf ebendiesem Label herausgebracht. Und ja, auch dort ist Bruner als Bassist zu hören. Einigen konnten sich auf diese Platte sehr viele und sehr unterschiedliche Menschen. Eingefleischte Jazzer jubelten ebenso wie die versammelte internationale Pop-Intelligenzia.
Begleitend dazu hat sich Steven Ellison immer wieder einmal abfällig über den Zustand des heutigen Jazz geäußert. Er vertritt die These, dass Miles Davis mit dessen Ist-Zustand im Hier und Jetzt keine große Freude gehabt hätte. Egal ob man dieser These folgt oder nicht muss festgehalten werden, dass vor allem Flying Lotus selbst hartnäckig an einer Gegenwarts-Musik bastelt, die im Jazz fußt aber sich weit in andere Bereich hinein begibt.
Auf „You´re Dead“ inszeniert er den Jazz als hyperaktive Musik für Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne. Die Songs rasen vorbei, es gibt kaum bis keine Zeit für Solo-Eskapaden. In 38 Minuten und 15 Sekunden werden ganze 20 Songs gepresst. Womöglich klingt so der Jazz, wenn er für die Videospiel-Generation zugänglich gemacht werden soll. Die Songs sind, entgegen so mancher Vermutung, keine Skizzen, sondern komprimierter Wahnsinn bei dem in kürzester Zeit möglichst viel passiert. Die Bass-Lines von Thundercat sind Markenzeichen dieser Platte. Sie eilen mit den Songs mit und geraten niemals ins Stolpern.
Betrunken
Ja, Thundercat hat auch selbst schon Platten unter seinem Namen veröffentlicht. Bisher bekam aber keine die Aufmerksamkeit von „Drunk“. Das liegt womöglich zum Teil daran, dass nicht ganz unbekannte Menschen wie Kendrick Lamar oder Pharrell auf dieser Platte mit Gastauftritten zu hören sind. Das liegt aber zweifellos auch daran, dass „Drunk“ ein einziger großer Kommentar zum Zustand der Gegenwart geworden ist.
Dabei lässt sich der Titel „Drunk“ nicht ganz so einfach analysieren und mit der Musik in Verbindung bringen wie man zuerst annimmt. Nein, es ist keine Platte, zu der sich besonders gut dem Komasaufen nachgehen lässt. Vielmehr wird ein torkelnder Zustand und die damit einhergehende Orientierungslosigkeit thematisiert. Dazu bedient sich Bruner einer Art Chronologie. Die Platte beginnt mit euphorischen Zuständen, lässt später Paranoia zu und mündet in Schlaflosigkeit und Ratlosigkeit. Zwischendurch gibt es Augenblicke der Epiphanie und ganz viel schrägen Humor. Besungen werden auch seine liebste Stadt Tokyo und Computerspiele. Nicht zuletzt setzt er seiner Katze ein musikalisches Denkmal und kollaboriert mit Pop-Sängern der 80er Jahre.
Die Musik die er dafür findet ist erstaunlich. Stilistisch bedient er sich bei RnB, Soul, Jazz, Funk, Pop und Soft-Rock. Hochinteressant ist, dass die Musik bei aller Hektik und Abenteuerlichkeit stets Ruhe bewahrt. Im Auge des Orkans steht ein hochvirtuoser und selbstsicherer Bruner, der scheinbar alles bewältigen kann. Die Musik ist bei aller Komplexität hochgradig zugänglich, auch wenn sich die Melodien immer wieder entziehen und erst beim dritten oder vierten Mal wirklich hängen bleiben.
Fazit
Vorsicht, „Drunk“ ist nicht unschräg. Das weiß auch der Komponist dieser Lieder selbst. Bereits im zweiten Track verhandelt er mit sich selbst, dass er sich „weird“ fühlt und diese Weirdness mit ganz alltäglichen Handlungen austreiben möchte. Es gelingt ihm nicht. Diese Haltung ist paradigmatisch für die ganze Platte. Gerade wenn man glaubt, einen fast schon hitverdächtigen Song zu hören, wird dieser Eindruck mit wüsten Bassläufen und abgefahren harmonischen Einfällen konterkariert und wenig später völlig zunichte gemacht. „Drunk“ ist ein wilder Ritt, nach dem man sich tatsächlich ganz ohne Alkohol ein wenig betrunken und orientierungslos fühlen kann.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Bajej, flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek