Anfangen
Von jedem Anfang geht eine immense Faszination aus. Manchmal gilt es gar überhaupt erst anzufangen. Etwas zu tun, anstatt nur darüber nachzudenken. Der Beginn des Tuns ist oft der Versuch der Komplexität Herr zu werden. Es gäbe zahllose Möglichkeiten. Wer tut, entscheidet sich anfangs für eine Möglichkeit und schließt andere Möglichkeiten aus.
Im Rahmen eines Duo-Konzertes im „Audioversum“ begegneten sich Carolina Eyck und Martin Nitsch zum ersten Mal. Zumindest was ihr konzertantes Tun betraf. Vorab hatten sie sich darauf verständigt sich an einem Musik-Ort zu treffen, der beiden wohlbekannt war. Jazz-Standards standen am Programm. Gelingt auf solch sicherem Terrain der Zauber der ersten Begegnung? Die Entscheidung war jedenfalls getroffen. Andere Orte, an denen sich diese beiden Musiker auch noch hätte treffen können, versanken.
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Die Anfänge der Annäherung wirkten trotz des klaren Rahmens zurückhaltend und tastend. Eyck und Nitsch wirkten in die Notentexte vertieft. Nur zaghaft erspielte sich Nitsch erste improvisatorische Freiräume. Allzu große Freiräume und Abenteuer waren zu Beginn aber gar nicht vonnöten. Die „Stimmlichkeit“ und „Körperlichkeit“ des Theremins berührte ad hoc und füllte den Raum trotz nicht allzu hoher Lautstärke ab dem ersten Ton voll aus. Die Virtuosität von Eyck zeigte sich im gesamten Konzertverlauf nie in einem Imponiergehabe, sondern in der Tatsache, dass sie sich in den exakt richtigen Augenblicken zurücknahm.
Im Verlauf der Interpretation der Standards entwickelten sich ersten Interaktions-Momente und erste, noch nicht in Stein gemeißelte, Rollen der beiden Musiker. Nitsch verlegte sich, zusätzlich zur angestammten Rolle der Gitarre als Akkordinstrument, auf Klangflächen und Soundteppiche. Nicht umsonst hatte der Gitarrist unzählige Effektgeräte mitgebracht. Dass Nitsch auf diesen ein Meister seines Faches ist war unüberhörbar. Aus ebendiesen Flächen und Sounds erhoben sich immer wieder majestätisch, glockenhell und kristallin die Melodien von Eyck.
Der Grundstock für eine gemeinsame „Sprache“ abseits der Standards war damit gelegt. Was Eyck selbst als Improvisation ankündigte wollte Nitsch in einem Einwurf als „Konversation“ verstanden wissen. Das Duo trat in ein Zwiegespräch ein, ohne Notentext, ohne sicheren Boden, ohne Vorgaben.
Nitsch legte vor, Eyck zog nach. Die Rollen, erst vor wenigen Augenblicken etabliert, verwirrten und verwischten sich wieder. Das Theremin, bislang überwiegend lieblich und sanftmütig, konnte plötzlich auch kratzig, sphärisch und widerspenstig klingen. So sehr, dass Nitsch oftmals die Rolle des Melodieführers zugewiesen wurde und er die entschwebende „Konversation“ auf den Boden der Klang-Tatsachen zurückholen musste.
Weitere angenehme Irritationen folgten. Angesichts der unerwarteten Rock-Riffs von Nitsch stutzte Eyck an manchen Stellen. Doch Nitsch verfremdete mit Pedalen immer wieder seine Riffs, loopte und dachte weiter. Am Ende stand nach ersten Irritationen von Seiten der Theremin-Virtuosin stets das Lächeln der beiden Musiker, die sich über die gelungenen Experimente freuten.
Aufhören
Immer wieder kam man von weit draußen zurück zum Song. Der Weg zur klanglichen und strukturellen Auflösung und musikalischen Avanciertheit war keine Einbahnstraße. Ganz generell war das Konzert, trotz seiner im Konzertverlauf steigenden Abenteuerlust, auch von einer großen Unaufgeregtheit geprägt.
Wenn es um klangliches und musikalisches Neuland ging, dann wurde sich mit großer Könnerschaft und einer Entspanntheit angenähert, wie man sie nur von Musiker erwarten kann, die sich in vielen Musikkontexten wohlfühlen. Denn nicht zuletzt das eint Eyck und Nitsch: Die Vielzahl der Einflüsse und Vorlieben. Klassische Musik, Rockmusik, avantgardistische Popmusik, Neue Musik, Jazz und elektronische Musik vermischen sich. An diesem Abend fand diese Vermischung ungezwungen und spielerisch-leicht statt.
Das Konzert endete mit Unklarheit und Indifferenz. Das Theremin übernahm die sehr ungewohnte Rolle ein basslastiges Riffs zu spielen, während Nitsch klangmalte und Soundteppiche webte. Es endete nicht im Chaos oder in der Kakophonie, sondern in einem vielsagenden Rauschen, das Ende und Neuanfang zugleich bedeuten kann. Im Rauschen sind alle Möglichkeiten implizit vorhanden. Entscheidungen sind noch nicht getroffen, eine gemeinsame Klangsprache noch nicht etabliert.
Was folgt nun nach dem Konzert? Man weiß es nicht. Aber das erste Zusammentreffen von Eyck und Nitsch war vielversprechend. Es klang alles ganz so, als wäre es für die beiden lohnend, ihre musikalische Konversation noch zu vertiefen. Nicht nur für sich selbst und ihren künstlerischen Ausdruck, sondern auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Das Duo traf sich auf dem Gebiet des Sagbaren der Jazzstandards und erarbeitete sich im Laufe des Konzerte den Weg hin zum Unsagbaren und noch zu Formulierenden. Man hätte ihnen dabei noch stundenlang zuhören können.
Titelbild: (c) Markus Stegmayr