Weiblich
Die Singer-Songwriterin Laura Marling hat sich auf ihrer aktuellen Platte dazu entschlossen weiblich zu sein. Das war nicht immer so. Sie selbst sagt nämlich, dass ihr Umfeld sehr „gender-fluid“ sei. Der Titel ihrer neuen Platte „Semper Femina“ wirkt in diesem Kontext wie eine Erinnerung oder eine Beschwörung der eigenen Weiblichkeit. „Semper“ bedeutet nicht nur immer und stets, sondern kann auch „beständig“ meinen. Ihr Geschlecht ist beständig. Trotz aller Gender-Debatten und aller sozialer und kultureller Kontexte bleibt sie eine Frau.
„Essentialismus“ hört man da die Postfeministin von nebenan schon schreien. Da werden weibliche Eigenschaften beschworen und Gender wird wieder mit Sex in Verbindung gebracht. Die Frau ist notwendigerweise dieses oder jenes, dabei ist alles nur Konstrukt.
Der theoretische Überbau von „Semper Femina“ ist dann tatsächlich doch ein wenig komplexer. Der Titel zitiert den römischen Dichter Virgil, der einst meinte: „Varium et mutabile semper femina“. Die Frau ist damit nicht einfach nur Frau. „Die Frau ist immer anders und wechselhaft“ wäre eine adäquate Übersetzung. Ist damit gar gesagt, dass es DIE Weiblichkeit und DIE Frau gar nicht gibt? Oder begibt man sich damit in das tiefe Klischee, dass Frauen so wandelbar und wankelmütig sind, dass man als Mann oft gar nicht mehr weiß, was sie wirklich wollen und wer sie wirklich sind? Beides sind zulässige Leseweisen.
Davon ausgehend lässt sich jedenfalls sagen, dass es unbeschreiblich schwierig wird Weiblichkeit und Frau-Sein zu beschreiben. Dennoch tut es Marling. Die anfängliche Idee, die auf dem Album zu findenden Frauen aus männlicher Sicht zu beschreiben, hat sie dabei verworfen. Sie gesteht sich ein, eine von ihnen zu sein. Damit schwindet die Distanz. Damit erhöht sich die emotionale Anteilnahme.
Nähe
„Semper Femina“ beginnt mit dem Lied „Soothing“. Der Video-Clip dazu, von Marling selbst in Szene gesetzt, zeigt zwei Frauen auf einem Bett. Die Szene könnte erotisch sind. Wenn man aber nicht gerade auf Latex steht wird die eigentliche Bedeutung des Clips sehr schnell deutlich.
„I need soothing“, ich brauche Besänftigung, singt Marling im Refrain. Später dann „I banish you with love“. Der Liebhaber oder die Liebhaberin ist vertrieben, Besänftigung unmöglich geworden. Auch die beiden Frauen im Video berühren sich nicht wirklich. Sie sind sich nahe, ihre Kleidung hält sie aber davon ab, wirkliche Nähe zu verspüren. Zum Schluss des Videos wird klar, dass sie beobachtet werden. Wirkliche Intimität sieht definitiv anders aus.
„The Valley“ hingegen suggeriert Liebe zwischen zwei Frauen. „She can´t face seeing us“ merkt Marling an. Mit wem ist die Protagonisten des Songs jetzt liiert? Man erfährt es nicht.
Neben Liebe ist es vor allem auch die Freiheit, welche ihre Frauen interessiert. In „Nouel“ klagt Marling: „She´d like to be / The kind of free / Women still can´t be alone//“. Allein mit dieser Zeile wird ein uralter Topos aufgerufen, der die Frau in Abhängigkeiten zeigt – sei es in ihrer Rolle als Geliebte oder in ihrer Rolle als Mutter. Der Mann macht sich auf zum Abenteuer, der Mann wächst durch sein Alleinsein. Der Frau bleibt beides oft verwehrt.
Kunst
Neben der textlichen und konzeptionellen Brillanz von „Semper Femina“ ist dieses Album vor allem ein grandioses Songwriter-Kunstwerk. Kein Song fällt ab, jeder Refrain sitzt, die emotionale Nähe und die abwechselnde Kühle und Wärme der Stimme Marlings berühren tief. Wer Gefühle (als Mann?) wirklich zulässt kann zu dieser Platte hervorragend weinen.
In Sachen Instrumentierung kramt die Platte alle Kunstgriffe hervor, die man sich nur vorstellen kann: Bemerkenswerte Gitarrenakkorde, avancierte Zupftechniken und die richtige Balance von Einfachheit und Interessantheit. Untermalt wird alles, mal dezent mal üppiger, mit herrlichen Streichern.
Fazit
„Semper Femina“ ist ein großes Album. Man geht nicht zu weit zu behaupten, dass Marling in ihren besten Songs gar das Genie von Joni Mitchell erreichen kann. Letztlich verstummt man vor dieser Platte. Worte sind Kontext. Lese- und Hörhinweise. Die Platte selbst sollte gehört werden. Immer und immer wieder. Dann kann sie ihre volle Wirkung entfalten.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Jo Cox, flickr.com, Bearbeitung: Felix Kozubek