Leichtigkeit
Grenzenlosigkeit ist der Begriff, der im Zusammenhang mit der Band Bent Knee aus Boston am häufigsten verwendet wird. Die Band vermenge Art-Rock, Prog, Avantgarde, Jazz, Pop und ein bisschen Hip-Hop zu einem eigenständigen, neuartigen Musik-Gebräu. Das trifft zwar zu, doch das tun auch andere gegenwärtige Bands.
Die Zuschreibung „Crossover“, die vor allem in den 90ern für fast alles herhalten musste das sich nicht nur aus einem Genre-Pool bediente, darf aber zum Glück getrost in der fest verschlossene Schublade der nutzlosen Begrifflichkeiten gelassen werden. Denn bei Bent Knee ist die musikalische Grenzenlosigkeit und Grenzüberschreitung kein Selbstzweck. Es geht nicht um eine Beweisführung, dass sich verschiedene Stile miteinander kombinieren, gegenlesen und konterkarieren lassen.
Bent Knee ist eine informierte Band, die weißt was sie tut. 2009 lernte man sich am renommierten „Berklee College of Music“ kennen. Die Sängerin und Keyboarderin Courtney Swain und der Gitarrist Ben Levin begannen miteinander Musik zu komponieren. Die Band ist aktuell ein Sextett bestehend aus einem Gitarristen, einer Keyboarderin und Sängerin, einem Schlagzeuger, einem Geiger, einer Bassistin und einem Musiker, der für die Synths, das Sound-Design und die Produktion zuständig ist.
Nun wäre es nahe liegend, dass Virtuosität auf der Tagesordnung steht. Wer Musik studiert hat und sein Instrument bestens beherrscht will oft auch zeigen, dass er studiert hat und das Instrument in- und auswendig kennt. Dann wird oft der Weg eingeschlagen, das Komplizierte möglichst kompliziert zu präsentieren.
Dem Zuhörer wird in diesem Fall stundenlange Hörarbeit abverlangt. Kein Wunder, denn schließlich haben die hinter der Musik stehenden Musikerinnen und Musiker ebenfalls eine lange Zeit beim Studium, im Proberaum und beim Instrument üben verbracht. Die Last dieser leidvollen, intensiven und herausfordernden Virtuosen-Werdung muss somit auf den Hörer übertragen werden. Schließlich bekommt man im Leben nie etwas geschenkt.
Auf „Say So“, dem bereits dritten Album der Band, wird die Sache anders angegangen. Das Komplizierte wird federleicht gemacht. Begrüßt wird der interessierte Hörer, womöglich vom wunderschönen Cover angezogen, nicht mit wüster Avantgarde-Kakophonie, sondern von zarten Keyboard-Akkorden und der Stimme von Courtney Swain, die zurückhaltend und gefühlig mit einer leichten Björk-Schlagseite in in die wunderbar-abgedrehte Welt von Bent Knee einführt. Bald schraubt sich die Stimme von Swain in unerwartete Höhen. Elemente, bekannt aus gutem Prog-Rock, mische sich in den Song, der eigentlich ein Pop-Song sein möchte. Das bleibt er auch, trotz aller Umwege.
Mit „Leak Water“ geht es etwas angeschrägter weiter. Rhythmische Vertracktheit nimmt eine dominante Rolle ein. Trotzdem möchte man dazu mit dem Kopf nicken – und schafft es mit ein bisschen Mühe auch recht problemlos. Die Melodie entzieht sich beim ersten Mal hören. Beim mehrmaligen Hören jedoch verfolgt sie einen bis in den Schlaf. Die ganze Platte ist voll von solchen Hooks, die sich schon beim ersten Mal einhaken, fast schon unbemerkt, und beim zweiten Mal hören richtig zünden. Die Details in Sound und Komposition sorgen dann dafür, dass die Musik sich nicht abnutzt. Hat man erst die Song-Strukturen ein wenig begriffen bleibt Zeit sich in die Arrangements einzuhören.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigt sich, dass die in Reviews der Platte beschworene Grenzenlosigkeit im Dienste des Ausdrucks und der Songs steht. Das, was ausgedrückt werden soll, wird in sämtlichen Farben ausgeleuchtet und ohne musikalische Beschränkungen und Einschränkungen auf Platte gebannt und zu Songs geformt. Die von Prog-Rock-Magazinen hochverehrte Band macht damit etwas, das so manche Prog-Rock-Band verlernt hat: Sie ist tatsächlich progressiv und experimentierfreudig. Man schämt sich nicht einmal manchmal unverschämt eingängig zu werden, scheut sich aber auch nicht davor dem „normalen“ Pop-Hörer völlig absurde und unerwartete Wendungen und Harmonien zuzumuten.
Das alles führt zu einer wunderbaren Verwirrung der Rezeption. Metal-Fans schwärmen von „Say So“, Jazz-Journalisten brechen in Begeisterungsstürme aus und Melodien-Liebhaber haben „Say So“ in Endlosschleife auf ihren MP3-Playern laufen. Das ist kein Wunder, denn „Say So“ lässt Anweisungen und klare Codes, wie die Platte „richtig“ rezipiert werden könnte und sollte völlig außen vor. Der Metal-Fan wird so manches Prog-Metal-Riff mit Sludge- und Djent-Affinität entdecken. Der Jazz-Hörer wird sich an den vielseitigen, abenteuerlichen Akkorden und Harmonien erfreuen. Der Pop-Hörer wird in fast allen Songs Hit-Potential erkennen.
Was ist „Say So“ jetzt nun? Die logische und zeitgenössische Weiterführung und Neuformulierung des Progressive-Rock? Pop-Musik für eine bessere Welt? Definitiv beides. Das Schöne daraus ist, dass sich letzen Endes beide Seiten die Zähne an dieser Platte ausbeißen und sie dennoch heiß lieben werden. Vor allem deshalb, weil sie die jeweiligen Genre-Jünger aus ihrer Komfort-Zone herausholt und ihnen tatsächlich grenzenlose, abenteuerliche Musik zumutet, die völlig ohne Genre-Klischees und -Konventionen auskommt. Die Musikalität von Bent Knee reißt diese ungeschriebenen Vorschriften nieder und vergisst dabei nicht, grandiose Songs zu ermöglichen.
Fazit
„Say So“ ist eine Platte, auf der das Komplizierte leicht und eingängig wird. Dazu braucht es Mut, Können, Entdeckergeist und höchste Songwriting-Kunst. Man darf so weit gehen zu sagen, dass es derzeit kaum eine Band gibt, die diese Eigenschaften so gut vereint und solch meisterhafte Platten veröffentlicht wie Bent Knee. „Say So“ ist dabei nicht das letzte Wort der Band gewesen, denn das neue Album „Land Animal“ lauert schon und wird im Juni diesen Jahres veröffentlicht. Auch den Sprung zu einem Major-Vertrieb hat man mit diesem Album schon geschafft. Von dieser Band wird man somit noch viel hören, demnächst hoffentlich auch eine Reihe von Live-Konzerten in Europa.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Bent Knee, Bearbeitung: Felix Kozubek