Text von Thomas Sojer
Im Zentrum
Gäbe es eine fiktive Stadt der Künste und würde man das „Heart of Noise“ Festival um seine Postadresse darin fragen, lautete diese selbst gewählt und selbstbewusst wohl „Zentrum 1“. Wer ob der Zentren-Vielzahl einer derartigen Stadt nicht viel damit anfangen kann und oder nach einer gescheiterten Suche von Straßenschildern um eine mehr oder weniger die unmittelbarere Umgebung beschreibende Anfahrtsanweisung bittet, wird wahrscheinlich folgende Antwort bekommen: „Im Zentrum der Töne, Klänge und Geräusche“, bei nochmaliger Präzisionsaufforderung „im Zentrum der momentanen Avantgarde“. So diktiert es zumindest die Homepage des Festivals.
Mit diesem imaginativen Lageplan im Hintergrund stellt sich die Frage, wohin man dann überhaupt das Warm-Up des Festivals platzieren könnte, das gestern, am Donnerstag, den 27.4.2017, in der P.M.K. seinen Vollzug erfahren durfte. Vielleicht ins Vorstadtgeflüster? Wohl kaum, denn Stille ist kein Attribut von Heart of Noise. Selbst alle Pausen zusammen blieben wohl unter einer Gesamtlänge von vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden, die Vibrationen der Holzverschalung kennen dabei keine Ruhe.
Zumal nennt es sich ja eine Aufwärmaktion, die „knallt, kracht, dröhnt, singt, tönt, kratzt und herzschlägt“ und in eine Anderswelt führt. Das lässt sich schon damit beweisen, dass, obwohl im Bogen der mobilen Kulturinitiative die akustischen Heizstrahler glühten, vor dem Notfallausgang am Gehsteig reges Schneetreiben losbrach. Unabhängiges Naturschauspiel zu allegorisieren überschreitet zwar leicht den Wirklichkeitsbezug, entlockt der einen oder dem anderen doch ein Schmunzeln. Die Zuschreibung der „Anderswelt“ trifft aber nicht nur auf den massiven Temperaturabfall zu, der sich zeitgleich zum Warm-Up in ganz Mitteleuropa ereignet hat.
Die Konzerte
Der erste Streich des Abends in zwei Akten geleitete die schon so pfingstig ums nahende Festival Gewordenen ins Postmortale. Toni Quiroga kamen nämlich seine markanten Gesichtszüge und sein schwarzes, glattes, langes Haar sehr zu Gute, als ihn das vom klanglichen Rhythmus seines Dark Industrial Techno losgelöste Blitzlicht in ein Wesen verwandelte, das nicht mehr sehr lebendig wirkte, beziehungsweise mindestens einmal seine eigene Beerdigung miterlebt haben musste.
Das verlieh den akustischen Ausprägungen des Crushing Electronic Noise, meistens zwischen dem Innenraum eines an Coitus Interruptus leidenden 55er Steyr Traktormotors und dem zarten Pizzicato einer Minigun orientiert, eine Visualität, die beeindruckte. Im Ganzen erweckte die Performance obgleich ihrer Einmaligkeit etwas hochgradig Rituelles.
Gebannt starrte das Publikum regungslos, beinahe in Reih und Glied, auf den optisch die Weltengrenzen überschreitenden Avantgardisten, der am Altar seiner Schaltknöpfe eine Liturgie des Vorschlaghammers zelebrierte. Er schaffte es kurzzeitig immer wieder, in den Bann seiner Schläge zu versetzen, verlor seine Kinder jedoch am Hamler Stadttor, was einer gewissen Monotonie der Wiederholungen geschuldet blieb.
Der zweite Akt des Abends orientierte sich, wie es sich für einen zünftigen Totenschmaus gehört, am Vertraut-Geselligen. Die Independent-Rock-Band Xiu Xiu befriedigte gemäß dem diesjährigen Thema des Festivals „Pop Life“ alle Erwartungshaltungen und toppte gleich einem sonntäglichen Pfarrkaffee die Steife der vorausgehenden Liturgie mit etwas lässigem Shaken des mittlerweile aus der Totenstarre erwachten Publikums. Jamie Stewart überzeugte wiederum mit seiner Stimmgewalt und ließ so die eine oder den anderen Musikästheten zufrieden ins winterliche Treiben ausziehen.
Fazit
Ob die Erwärmung bis zum Festival, das seine Klangwolke am verlängerten Pfingstwochenende zwischen Treibhaus, Adlers, Stadtarchiv und Hofgarten aufspannen wird, anhält, sei dahingestellt, Neugierde hat es auf jeden Fall geweckt.
Titelbild: (c), Heart of Noise