Es ist gerade einmal zwei Jahre her, als Vince Staples mit Summertime 06 seinen Erstling auf den Markt warf. Im vergangenen Jahr folgte die stilistisch doch sehr andere EP Prima Donna die jetzt von Big Fish Theory abgelöst wurde.
Für Leute die dem 23-jährigen Kalifornier seit seinem wohl bekanntesten Hit Norf Norf nicht mehr folgten, dürfte das aktuelle Album einen mittelgroßen Schock ausgelöst haben: von den bekannten Sound aus Summertime 06 ist nicht mehr viel übrig, die damals noch dezenten Beats wurden von vielen experimentellen und für Hip-Hop doch eher untypischen rein elektronischen Beats abgelöst. Staples eigentlicher Rap wird dadurch nicht geschwächt, seine Leistung bleibt immer noch auf absolutem Topniveau, wenn auch den instrumentellen Teilen der einzelnen Lieder mehr Raum gegeben wird.
Die Bedeutung des Albumtitels überlässt der Künstler dem Hörer – jeder soll für sich selbst entscheiden, was Big Fish Theory zu bedeuten habe. Inhaltlich nimmt uns Staples auf eine Reise mit: durch die eigene Depression, den Schein der Rap-Welt, die ewige Suche nach der großen Liebe, die wahllose Gewalt an Afroamerikanern. Anders als Kendrick Lamar oder Joey Bada$$ widmet Staples sein Album also nicht ausschließlich einem Thema, im Gegenteil, er versucht seinen Alltag so detailgetreu wie möglich zu skizzieren. Das funktioniert fantastisch, wenn auch nicht beim erstmaligen Hören.
Die Beats drängen sich in den Vordergrund, der eigentliche Sprechgesang in den Schatten, es wird laut und lauter und derber und derber. Staples wählt diesen Weg bewusst, er bildet quasi das Gegenstück zu Kendricks To Pimp A Butterfly, keine „echten“ Instrumente, je elektronischer desto besser. Produziert wurde das 36 Minuten lange Album hauptsächlich von Zack Sekoff (zwölf Tracks) und dem britischen DJ SOPHIE, der auch für ein Highlight des Albums – „Yeah Right“ – zuständig ist.
Staples hat sich für seinen zweiten Longplayer tatkräftige Unterstützung geholt: die amerikanische Allekönnerin Kilo Kish unterstütz ihn in gleich vier Liedern. Ray J, Damon Albarn, A$AP Rocky, Ty Dolla Sign und Amy Winehouse (!) lassen sich ebenso hören wie Everybodys Darling Kendrick Lamar. Nicht nur deshalb, aber auch darum ist „Yeah Right“ eine der stärksten Nummern der Platte. Es ist alles durchdacht, Staples nimmt all jene Künstler mit auf, zu denen er aufschaut oder die er gar verehrt (wie es mit Amy Winehouse der Fall ist).
Big Fish Theory ist Abrechnung und Hoffnungssuche zugleich. Der abstinente Staples gibt mit „Party People“ eine vermeintliche Hymne auf das Nachtleben ab, erzählt uns aber bei aktivem Zuhören seine Geschichte durch Depressionen und Panikattacken. Schon im nächsten Song „BagBak“ erklärt er uns, dass er auf sämtliche falschen Freunde lieb und gerne verzichtet und man sich nicht so benehmen solle als würde man ihn kennen.
Und das kann man wirklich wörtlich nehmen. Diesen Vince Staples kannten wir bisher noch nicht. Auch wenn Prima Donna diese musikalische Entwicklung einleitete, die Stufe auf die Staples seine Musik weiterentwickelte ist definitiv größer und höher als gedacht.
Am Ende lässt einen das Album nicht mehr los, vor allem mit guten Kopfhörern/einer guten Anlage offenbart sich Big Fish Theory als Meisterwerk. Viele sprechen von Staples persönlichem Yeezus, ein Vergleich der auf den ersten Blick passt. Es ist pure avanat-garde, eine Weiterentwicklung eines Genres, die dieses so wohl selbst nicht erwartet hat.
Deshalb steht diese Platte im Rennen um das beste Hip-Hop-Album des Jahres definitiv auf einer Stufe mit Kendrick Lamars Damn. Und das soll schon was heißen.
Zum reinhören:
Titelbild: Pressefoto Universal/James Mataitis