Ausdruck
Gerne wird die Musik von Igorrr, hinter der vor allem der Franzose Gautier Serre mit wechselnden Mitmusikern steckt, als verrückt abgekanzelt. Wahlweise ergänzt man diesen Vorwurf mit den Attributen „beliebig“ und „unhörbar“. Evident ist aber lediglich, dass er von den ausgesprochenen Gesetzmäßigkeiten einer Musikrichtung abweicht, die man ganz grob als Metal bezeichnen kann. Er verrückt die Grenzen dessen, was in dieser Spielart möglich ist beträchtlich. Gautier Serre werkelt so lange an den Grenzen herum und lehnt sich so weit aus dem vorgegebenen Rahmen, dass man stellenweise nicht weiß, ob man sich nicht statt beim Hören einer Metal-Platte viel eher in einem Werk mit „Alter Musik“, Balkan-Einflüssen oder einer dadaistischen Performance befindet.
Es spricht für das Talent von Serre, dass er beim Aus-dem-Rahmen-Lehnen nicht komplett aus dem Rahmen fällt. Der Rahmen ist immer noch da. Es liegt nur an den offenen Ohren des Hörers diesen wahrzunehmen. Seine Musik ist alles andere als beliebig. Sie ist zwingend, konsequent, abgedreht aber in sich absolut logisch und kompromisslos zu Ende gedacht. Wer sich soweit rauslehnt und Gewissheiten und Sicherheiten hinter sich lässt, der muss mit den Konsequenzen leben.
Serre nimmt all das auf seine Kappe und beweist seine absolute Furchtlosigkeit. Der erste Eindruck seiner Musik trügt. Er ist kein Bastler, der sich aus der puren Lust an der Bastelei aus einer Vielzahl von Musikmaterial, Genres und Einflüssen bedient. Es geht nicht darum zu zeigen, was so alles möglich wäre. Serre ist kein virtuoser Bastel-Selbstdarsteller, obwohl er allen Grund dazu hätte seine Fertigkeiten als Musiker und Produzent selbstherrlich auszustellen. Ihm liegt nicht an der Grenzüberschreitung um der Grenzüberschreitung Willen, sondern am Ausdruck und an der Emotion.
Gerade diese emotionale Komponente ist auf seinem aktuellen Album, an dem der Franzose jahrelang herumschraubte, enorm stark. Der Ausdruck steht über dem Inhalt. Es ist in mancher Passage mehr als deutlich, dass es nicht um Texte geht. Nicht alles muss Sinn machen. Aber es muss anrühren und berühren. Lässt man das Album so nah an sich heran und hat man sich todesmutig durch Sounds, wilde Vokal-Ausritte und unfassbare Gitarren-Läufe gehört, dann rührt das Album womöglich gar zu Tränen. Wann hat man zuletzt schon gleichzeitig getanzt, geheadbangt und dabei geweint? Igorrr schafft das.
Das gelingt, weil man aufs Ganze geht. Selbst wenn gegrowlt, gekreischt oder opernhafter Gesang gepflegt wird, klingt das alles anders als gewohnt. Der klare Grenze-Bezugspunkt fehlt stets. Hier growlt man nicht, weil im Metal eben gegrowlt wird, sondern weil es die Musik verlangt und nackte Panik und Raserei zum Ausdruck gebracht werden sollen. Wenn „Operngesang“ eine Rolle spielt, dann deshalb um pure Schönheit und deren Abgründe darzustellen.
Nicht zuletzt halten der Aberwitz und der Humor die Platte zusammen. Womöglich mischt sich also zum ekstatischen Tanz, zum Kopfschütteln und zum Weinen auch noch der eine oder andere laute Lacher.
Fazit
„Savage Sinusoid“ ist geradezu schmerzhaft lebendig. Das Album erinnert eindrucksvoll daran wie sehr sich so manch andere Band in Schubladen stecken lässt und wie leblos dadurch ihre Kunst wird. Dieses Album lebt radikal, schlägt Haken, lässt sich nicht einsperren. Dabei bleibt es jedoch nicht. Weit über die Kunst hinaus wirkt diese Platte nach. Man möchte ausbrechen, seine eigenen Käfige und Beschränkungen kaputtschlagen. Diese Platte pulsiert und lässt den eigenen Puls und den eigenen Tatendrang ins Unermessliche steigen.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Idea canal, flickr.com