Tausendsassa
Mit dem Cello gespielte Musik kann oft einen elitären Anstrich haben. Zumal wenn es als Solo-Instrument eingesetzt wird. Vornehmlich findet man es in der klassischen oder sogenannten „Neuen Musik“. Im ersten Fall spielt es, brav-singend und dezent-sägend, eine ausführende Rolle. Es gilt den interpretierten Werken gerecht zu werden. Bei der „Neuen Musik“ spielt das Cello zumeist eine ungestüme, wilde und zum Teil perkussive Rolle. Oftmals verordnet man dem allzu-schön klingenden Instrument, manchmal auch mittels Präparation, eine Kratz- und Unschönkling-Kur. Nicht zuletzt trifft man das Cello auch in der frei improvisierten Musik. Die Übergange zwischen „Neuer Musik“ und „freier Musik“ sind, von den unterschiedlichen Verfahren abgesehen, oftmals fließend.
All diesen Kontexten ist gemeinsam, dass es um eine Auslotung der Möglichkeiten des Instruments geht. Vieles an klassischer Musik und Barockmusik stellt den Cellisten vor nicht unwesentliche spielerisch-technische Herausforderungen. Bei den experimentelleren Spielarten und Umgangsweisen mit dem Instrument gilt es oft die klanglichen Möglichkeiten zu erweitern, die allerneusten Spieltechniken zu beherrschen und bestenfalls auch selbst welche hinzuzufügen.
Weit weg von diesen Ansprüchen ist das Cello in der Popmusik. Dort hat es die Aufgabe für Atmosphäre zu sorgen, die Songs „aufzufetten“, Melodien zu unterstreichen und Gefühle zu evozieren. Von all den Möglichkeiten des Instruments handelt es sich hier um die songdienlichste Variante.
So fein säuberlich ließen sich also die Einsatzgebiete des Cellos beschreiben und unterscheiden. Durchmischungen und Überschreitungen sind dabei natürlich nicht ausgeschlossen. Etwa dann, wenn sich klassische Interpreten, soweit möglich, improvisatorische Freiheiten nehmen oder komponierte Teile in freie Improvisation übergehen. Tatsächlich gibt es aber nicht viele Cellisten, die in gleich mehreren „Welten“ leben. Der klassische Interpret hat zumeist nie wirklich zu improvisieren gelernt und der improvisatorisch agierende Musiker fühlt sich von zu vielen Vorschriften und Vorgaben eingeengt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Noch weniger Beispiele gibt es für Musiker, die sich gekonnt sowohl im Pop-Bereich als auch in der klassischen Musik als auch in der freien Improvisation bewegen. Lukas Lauermann ist ein solcher Musiker.
Vor Jahren ist er mir im Rahmen von „Jeunesse“ in Innsbruck aufgefallen. Dort brachte er Kleinkindern das Cello und „Alte Musik“ näher. In diesem Bereich brillierte er. Doch auch in ganz anderen Musikwelten agiert er souverän. Unter anderem spielte Lauermann mit so unterschiedlichen Musikern wie „Donauwellenreiter“, „Soap & Skin“, Nino aus Wien oder im Duo mit Mira Lu Kovacs von „Schmieds Puls“. Wollte man ihn also verorten, dann müsste man schreiben, dass er sich in einem Klassik-Barock-Jazz-Pop-Songwriter-Avantgarde-Nirgendwo aufhält. Grenzen und Genre-Schubladen meidet Lauermann jedenfalls wie der Teufel das Weihwasser. Diese Haltung macht überaus neugierig auf seine erste Solo-Platte mit dem etwas sperrigen Titel „How I Remember Now I Remember How“. Sie erscheint diesen Freitag.
Solo-Debüt
Wer sich sein bisheriges Schaffen ansieht ist verwundert ob des Alters von Lauermann. Erst 1985 erblickte er das Licht der Welt. Für sein Solo-Debüt kann er dennoch aus dem Vollen seiner bisherigen Musikerfahrungen schöpfen.
Allzu verlockend wäre es mit dem Anspruch an sein Album heranzugehen Musik vorzufinden, die sich zwischen allen Stühlen bewegt und Mischformen forciert. Man würde dann nach einer Form von unmittelbarer Pop-Sensibilität suchen, die sich mit dem ernsteren Anspruch der Klassik vermengt.
Doch die Platte von Lauermann ist anders. Er etabliert gleich mehrere, gegensätzliche Verfahren und Spielweisen. Zum einen finden sich hier mehrstimmige Kompositionen, welche er im Overdub-Verfahren aufnahm. Damit ermöglicht er sich im Alleingang die Aufnahme von polyphonen Stücken. Weiters sind Improvisationen zu hören. Für diese legt er Spieltechniken, Klangmaterialien und Effektgeräte fest. Außerdem bringt er komponierte Klang-Miniaturen zu Gehör, die mit Samples arbeiten. Gar ein live aufgenommenes, dreiteiliges Cello-Stück gibt es auch, das er live einspielte. Und dann wäre da noch die Poesie, die ihn in der Klangfindung für sein Cello inspiriert hat. Nicht zuletzt spielen die verschiedenen Räume bei der Aufnahme eine Rolle.
Das hört sich so an, als habe sich Lukas Lauermann gnadenlos in höchst prätentiöse Konzepte verstiegen und sich konzeptionell übernommen. Doch das Album gelingt. Er meistert den selbstauferlegten hohen Anspruch mit Auszeichnung. Lauermann macht nicht den Fehler seine zweifellos vorhandene „Pop-Sensibilität“ zur Vereinfachung und Verflachung der sonstigen Verfahren und Techniken einzusetzen. Er nimmt die jeweiligen Spielweisen ernst, lotet sie aus, vertief sich hochmusikalisch in ihnen.
Seine vielseitigen Musikerfahrungen kommen ihm dabei zur Hilfe. Und nicht zuletzt seine Erfahrung mit dem Song in einem Pop- und Indie-Sinne. Motive kehren wieder, Avantgarde-Techniken und Klangspiele verkommen nicht zum Selbstzweck, sondern kontrastieren elegisch-schönklingendes. Die stellenweise etablierte rhythmische Einfachheit erweist sich als harmonisch herausfordernd, das rhythmisch Herausfordernde wird mit der nötigen Klarheit und inbrünstigen Leidenschaft vorgetragen.
Fazit
Lukas Lauermann glückt hier nicht nur ein überzeugendes, sondern ein beeindruckendes Debüt. Es wird von FM4 ebenso gefeiert werden wie von der aufgeschlossenen Klassik-Welt oder von Impro-Liebhabern. All diesen verschiedenen Hörern legt Lauermann Brücken und Fährten, die den Einstieg erleichtern. Niemand von ihnen wird vor den Kopf gestoßen, sondern alle sind generös eingeladen. Diese Generosität meint hier aber nicht Anpassung oder Banalisierung, sondern das ernsthafte und präzise Verbinden von unterschiedlichen Musik-Welten. Lauermann argumentiert so überzeugend, dass diese Welten zusammengehören und sich etwas zu sagen haben, dass man sich diesen Argumenten nicht entziehen kann. Und einfach nur hören wird. Immer und immer wieder.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Georg Cizek-Graf