Jugend und Metal
Es ist nicht immer angenehm seiner Vergangenheit zu begegnen. Etwa dann, wenn man einem alten Bekannten oder gar einem früheren guten Freund zufällig über den Weg läuft. Meist ereignet sich das in der Stadt, in der man aufgewachsen ist und seine Jugendjahre verbracht hat. Ein kurzes anfängliches „Hallo“ führt fast zwangsläufig dazu, dass man sich am nächsten Tag auf ein gemeinsames kaltes Hopfenschaumsüppchen in der altbekannten Bar verabredet, in der man sich seinen ersten Rausch antrank.
Die Gespräche kreisen dann um die gemeinsam verbrachte Jugend. Um Musik, die man damals gehört hat. Auch der Name Paradise Lost fällt häufig. Wie geil doch die „Icon“ damals gewesen sein. Und auch die „Draconian Times“ habe man stundenlange gehört. Danach kam die „One Second“, auf die wir uns schon nicht mehr einigen konnte. Ich genoss damals die elektronischen Einflüsse und die Depeche-Mode-Verweise, mein früherer guter Freund schon nicht mehr. Zu „poppig“ war ihm die Platte schon damals.
Das Gespräch kommt nicht so Recht in Gang. Es stockt von Zeit zu Zeit. Man packt, um das peinliche Schweigen zu vermeiden, alte Geschichten aus. Man redet über Frauen. Über Sauferlebnisse. Gemeinsame Konzertbesuche. Dann verabschiedet man sich und weiß, dass man sich so schnell nicht Wiedersehen wird. Was beide Seiten nicht unbedingt bedauern.
Besagtem ehemals guten Freund bin ich seit Jahren nicht mehr begegnet. Auch in meine Heimatstadt fahre ich immer seltener. Paradise Lost sind mir aber erst vor wenigen Wochen wieder begegnet. Über einen Facebook-Freund, dessen Musikgeschmack ich schätze. Er schwärmte von der neuen Platte „Medusa“. Ich selbst zögerte mir das Album wirklich anzuhören.Trotz des Zutrauens in seine Expertise.
Wenige Tage später sah ich in einer Trafik den „Metal-Hammer“. Dieses Magazin hatte mich in meiner Jugend begleitet wie kein anderes. Auch dort waren Paradise Lost Thema. Ich schlug das Heft auf und fand mich augenblicklich zurückerinnert. Die Bands waren noch zu einem großen Teil die gleichen geblieben. Metal ist, wie die Heimatstadt, der Ort an dem die Zeit stehen geblieben ist.
Medusa
Wenige Tage später fand „Medusa“ den Weg zu mir nach Hause. Besorgt hatte ich mir das Album wohl in einem Anfall von Nostalgie und temporärer Verklärung der alten Zeiten. Auch das Urteil meines Facebook-Freundes spielte sicherlich eine Rolle.
Auf den Gitarrensound war ich nicht gefasst. Auch dass der gute Nick Holmes nach Jahren des Clean-Gesangs wieder growlte war mir entgangen. Die Gitarren klangen ein wenig nach „Sludge“, die Stimme war tief, monströs, die Texte nihilistisch wie eh und je.
Paradise Lost bezeichnen ihre Platte selbst als „heavy“ und vielleicht das „heavieste“, das sie ja aufgenommen haben. Die Musik fließt zäh, jeder Akkord haut rein, jedes Riffs sitzt, trotz der zum Teil langen Spieldauer der Tracks wirken die Songs konzise und auf den Punkt gebracht. Füllmaterial findet sich nicht. Die Platte fühlt sich ausformuliert und zugespitzt, zugleich aber auch unmittelbar und wütend an.
Da war er also, der alte Freund mit dem Namen Paradise Lost. Er sprach zu mir. Und siehe da, er langweilte mich nicht. Wir hatten weitere Treffen. Ich erfreute mich an seiner Standhaftigkeit, die er geschickt mit subtiler Weiterentwicklung unterstrich. Insgeheim beneidete ich ihn für seine Jugendlichkeit und seinen ernsthaft und aufrichtig empfundenen Weltschmerz. Er hatte sich nicht gänzlich anderen Themen zugewandt, sondern den altbekannten Themengebieten neues Leben eingehaucht. Sie waren noch immer von einer Dringlichkeit, die mich vom Hocker riss.
Im Laufe der Platte bekommt man es mit langen Wintern zu tun, denen dennoch Leben abgetrotzt wird. Das Leben und Welt sind ein sinnloses Chaos und Religion kann uns dabei nicht helfen. Es braucht unsere Kraft, unsere Ausdauer und unsere Welt-Wut um darin dennoch zu überleben und in dieser Schönheit zu finden. Am Ende lauert natürlich der Tod. Aber bis dahin ist solche Musik der perfekte Wegbegleiter um ein paar interessante Jahre mit der richtigen und unbarmherzigen Einstellung zu verbringen.
Fazit
Das verlorene Paradies, einst Heimat für eine verlorene und verzweifelte jugendliche Seele, übt immer noch eine immense Faszination aus. Manchmal lohnt es sich doch einen Blick zurückzuwerfen. Und zu merken, dass damals nicht alles schlecht war.
Zum Reinhören
Titelbild: (c) Dimitrios Giortzis Photography, flickr.com