Die Sau ist tot, es lebe die Sau!
Kurz nach 10:00 am Samstag war es soweit. Das „Schlachtfest“ begann. Auserkoren wurde das Schwein, das sich als erstes herauswagte. Die andere zwei Schweine verharrten in ihrer Box. Vorher hatte der Hausherr, Georg Schweisfurth, angekündigt, dass es sich beim Tötungsvorgang um einen ruhigen, ja „sakralen“ Akt handle. Deshalb verzichte man auch in diesem Zeitraum auf Musik. Das Schwein starb ruhig, ohne quieken und ohne Todesangst. Dennoch war die Situation intensiv. Ein Tier starb vor den eigenen Augen. Was man sich zuvor als eine Art „Orgien-Mysterientheater“ vorgestellt hatte lief aber friedlich ab. Würdevoll. Nach der Tötung wurde von Alphorn-Bläser ein Trauermarsch gespielt. Das war der erste musikalische Ausdruck nach der bedächtigen Stille.
Begleitetet wurden der Prozess der Tötung, die anschließende Säuberung und Zerlegung der Sau von fachkundigen Erklärungen. Langsam kam auch Musik aus dem inneren des „Kochstall“ dazu. Ein Musiker-Duo aus Köln hatte die Geräusche gesampelt, etwa die Erklärungen der Metzger oder die Geräusche bei der Verarbeitung des getöteten Tieres. Auf Todesgeräusche, die es aber ohnehin nicht gegeben hatte, wurde verzichtet. Dafür ließ sich die Sängerin des Duos hin und wieder zu leicht ironisierten Grundgeräuschen hinreißen. Mehr und mehr verwandelte sich alles in ein Fest. Zuerst andächtig, dann ausgelassener. Erste Spezialitäten der Warmschlachtung wurden angeboten.
Epiloge
Währenddessen fand ein Workshop für Schweizer Jodler statt. Angesichts des zeitgleich stattfindenden Schlachtfestes und der Omnipräsenz dieses Vorganges fanden sich nur wenige Leute. Auch das Konzert von „Natur Pur“, denen der Workshopleiter Bernhard Betschaft vorstand, fand nur eine handvoll von Besuchern. Diese allerdings hörten eine faszinierende Hommage an die alten Muotathaler Jüzzli und Lieder. Die Gruppe aus Kennern und Könnern präsentierte das alte Handwerk, das mit Archaik, schrägen Tönen und ungewöhnlichen Taktarten nicht geizte. Das Ergebnis klang faszinierend und harmonisch überaus reichhaltig.
Die Kuratorin Stefanie Boltz hatte den um 18:30 spielenden Christoph Pepe Auer und seine Mitmusiker Christian Bakanic und Matthias Loibner dazu überredet, verstärkt den eigenen alpenländischen Wurzeln nachzuspüren. Das gelang herausragend gut. Das kreativ bearbeitete, alpenländische Liedgut fügte sich bestens in das auch ansonsten subtile und kluge Programm mit ein. In diese Feinheit mischte sich ein außergewöhnliches Gespür für Rhythmen und Harmonik. Die überschäumende Spielfreude der drei Ausnahme-Musiker tat ihr übriges. Besonders die Drehleier sorgte in den Händen von Matthias Loibner für Gänsehautmomente und machte deutlich, wie tief der Umgang mit Traditionen und Wurzeln gehen und wie sehr dieser berühren kann. Lederhosenträger mit Tränen in den Augen waren da nur die logische Konsequenz dieses mehr als außergewöhnlichen Konzertes.
Die anschließenden Kofelgschroa hatten es hingegen schwer. Viele Besucher waren durch das ruhige und ausgewogene Konzert von Pepe Auer & Co anders „gestimmt“. Kofelgschroa hatten die „Alpen-Party“ im Sinn, mit gänzlich anderen, weniger ausdifferenzierten und subtilen Mitten. Während Light-Show und Abmischung des Konzertes dem Hauptact durchaus angemessen waren, sprang der letzte Funke nicht bei jedem Gast über. Die Programmierung und die Kontrastierung dieser beiden Acts kann als mutig bezeichnet werden. Ob es indes für das Publikum möglich war diese beiden Musikwelten mit vergleichbaren Wurzeln so einfach innerhalb von kurzer Zeit zu betreten und sich in beiden gleich heimisch zu fühlen darf aber in Frage gestellt werden.
Rahmen
Draußen, im Innenhof von Gut Sonnenhausen, warteten den ganzen Tag über kulinarische Besonderheiten aus der Region auf einen. So mancher hat zu Mittag nach der Schlachtung Kasspätzle gegessen, kein Fleisch. Im Laufe des Tages allerdings gab es hervorragenden Schweinsbraten, Würste und vieles mehr, hergestellt natürlich aus der am Vormittag erst geschlachteten Sau.
Der Tag war gelungen. Indes blieb das „Spektakel“ ein wenig auf der Strecke. Am nähesten kam das Schlachtfest dem „Spektakel“, vor allem war es aber in der Zeit danach ein gemütliches Zusammensein mit netten, gleichgesinnten Menschen. Die musikalische Qualität der Darbietungen kann man außerdem keinesfalls in Frage stellen. Diese war durchwegs hoch, die Kuratierung mit feiner und sachkundiger Hand geführt.
Dennoch wünschte man sich oftmals die Auslotung und die Fortführung des intensiven Erlebens der Schlachtung. Bei dieser klopfte das Herz, ging der Atem schneller, wurde man an Grenzen geführt. Die Musik danach wirkte ein wenig wie ein schwächerer, zwar virtuoser aber versöhnlicher Epilog zu dieser Schlachtung. Womöglich könnte man noch mehr Abgründe ausreizen und ausleuchten, mit Intensitäten spielen, Grenzerfahrungen auch in musikalischer Hinsicht spiegeln. Solche Momente wären sicherlich auch in der Tradition der alpenländischen Musik zu finden.
Impressionen
Alle Bilder: (c) Vivi D'Angelo