Plattenzeit #82: Neurosis – Given to the Rising

3 Minuten Lesedauer

Endzeit


Mit der Endzeit und der Post-Apokalypse ist an sich nicht zu spaßen. Spätestens seit ein Mann wie Donald Trump an der Spitze der mächtigsten Nation der Welt sitzt rücken endzeitliche Szenarien näher als je zuvor. Wenn Mister President den roten Knopf drückt, dann steht es eher schlecht um uns. Da wir aber ohnehin nichts dagegen machen können wäre es ratsam hin und wieder eine Endzeit-Platte aus dem Archiv zu holen. Um sich sozusagen schon einmal präventiv in die richtige Stimmung zu bringen.
Keine Platte ist mehr Endzeit und Post-Apokalypse als „Given to the Rising“ von den Stimmungskanonen Neurosis. Seit Jahrzehnten hauen die Dunkelmusik-Meister Meisterwerke raus, die man sich nur in abgedunkelten Zimmern anhören kann. Diese Rezeptionsmethode hat die Band selbst schon vorgegeben, als sie eines ihrer Alben „Enemy of the Sun“ nannte.
Auch auf dem hier vorgestellten Album geht es kaum sonniger zu. Im Gegenteil. Gitarren dröhnen und mäandern, Stimmen klingen verzweifelt und die Texte sind schön düster. Ganz wie es sich für Neurosis gehört. Allem voran steht der Übersong „Fear and Sickness“, bei dem man glaubt knietief durch den Sumpf der Traurigkeit zu waten. Nach spätestens drei Minuten ist man überzeugt, dass das Leben absolut keinen Sinn mehr hat und liegt zugleich beglückt und geplättet nach dem Hörgenuss auf seiner Couch.
Allein das Album-Cover macht einem schon Angst. Ein post-apokalyptisches Pferd steht erstarrt mit einer Art Geweih vor einem. Ein mutiertes Wesen, das lange nachdem wir uns aus der Welt gebombt haben existiert? Man weißt es nicht. Die Landschaften im Booklet sind jedenfalls kahl, menschenleer. Schöne Natur gibt es kaum zu sehen, dafür ganz viel Tod und Düsternis. In der Welt von Neurosis existieren weder Menschen noch die Sonne. Ein optimaler Platz für Misanthropen und Sonnenverweigerer gleichermaßen.
Die Musik klingt dann auch genau so wie es die exzellente visuelle Umsetzung nahe legt. Zur Ruhe kommt man als Hörer kaum. Selbst die leisen Passagen sind unheilvoll und künden von dem, was noch kommt. Die Gitarren schlagen dann gnadenlos zu, der Sänger hält außerdem seine Wut und seinen Weltekel nicht zurück. Die Songs sind präzise, nicht überlang, auf den Punkt gespielt. „Given to the Rising“ ist so ein Album, bei dem jeder Ton sitzt. Ein kompaktes Album, das einen einfach überrumpelt und gnadenlos verstört.


Fazit


„Given to the Rising“ ist mein Lieblingsalbum im Neurosis-Katalog. Auch weil es mich damals beim Erscheinen 2007 richtig getroffen hat. Dem Metal hatte ich abgeschworen. Dann kam dieses Album und zeigte wieder wie gut, dunkel, wütend und relevant metalnahe Musik klingen kann. Und anhören sollte man sich das Album in Zeiten wie diesen ohnehin baldigst.


Zum Reinhören




Titelbild: (c) Jonathan Martin, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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