Das spannendste Hip-Hop-Projekt der vergangenen Jahre hört auf den Namen Brockhampton. Dass man hier von einem Projekt und nicht von einem einzelnen Künstler spricht, ist schnell erklärt: Brockhampton ist ein Hip-Hop-Kollektiv bestehend aus 16 Mitgliedern. Kevin Abstract, der Kopf hinter dem Zusammenschluss, betont immer wieder, dass man sich als Boyband versteht – man wolle die klischeehafte Bezeichnung auf ein neues Level heben. Am Ende des Jahres kann man feststellen: Das ist ihnen eindeutig gelungen.
The internet’s first boyband
Abstract formierte die Gruppe mit Hilfe Internets: Via Kanye West-Fan-Form KanyeToThe fand er 2015 in Form von Russell „JOBA“ Boring, Ameer Vann, Matt Champion, Dom McLennon, Rodney Tenor und Merlyn Wood die Mitglieder seiner Gruppe. Was nach einem zum Scheitern verurteilten Projekt schreit, wurde zur hollywoodreifen Geschichte. Man schrieb erste Texte, definierte sich schnell als „all american boyband“ und verstand sich auf Anhieb so gut, dass man sich zusammenschloss und von Texas nach L.A. in ein Haus zog. Eine große Hip Hop-WG, die auch ausschließlich zu Hause aufnahm. Brockhampton ist deshalb schon anders, im Laufe der Jahre nahm die Gruppe auch alle anderen Teile (Produzenten, Fotographen, Manager) offiziell in die Band auf.
Unersättlich
Richtig Fahrt nahm die Reise im Mai diesen Jahres auf: Mit der Single „Face“ wurde die erste Auskopplung des im Juni erschienen Albums Saturation präsentiert. Im Internet für die Vielfalt der einzelnen Mitglieder gefeiert, bildete sich ein Hype um Brockhampton, der seitdem nicht abreist. Kevin Abstract versteht die sozialen Medien wie ein Profi, via Twitter und Youtube warf und wirft er der Community bis heute immer wieder neue Brocken hin, das Kollektiv scheint keine Pause zu kennen, man produziert Lieder und dazugehörige Videos am laufenden Band. Das künstlerische Talent von Abstract ist nicht zu leugnen, führt er doch bei nahezu jedem Video selbst Regie. In Anbetracht der Tatsache, dass wir hier von einem 21-jähriger Rapper sprechen, wird die Sache noch einmal spannender.
Saturation konnte Fans und Kritiker überzeugen, die 17 Titel hätten schon gereicht um am Ende des Jahres in den Hip-Hop-Bestenlisten Einzug zu finden. Durch den schier unersättlichen Hunger der Gruppe legte man aber schon im August nach und präsentierte der Welt den 16 Titel umfassenden Nachfolger Saturation II. Das Internet explodierte förmlich, das Vorhaben Brockhamptons etwas noch nie dagewesenes zu schaffen, schien in der Tat umsetzbar zu sein.
Vor allem erkannte man schon am zweiten Album, trotz der kurzen Zeit zwischen erster und darauf folgender Veröffentlichung, eine Entwicklung. Die verschiedenen Charaktere harmonierten noch besser zusammen, die Platte konnte den Vorgänger noch einmal toppen. Und während man weiterhin fleißig Videos für die Promotion des Zweitlings veröffentlichte, wurde schon Teil drei angekündigt: Im Dezember sollte der Abschluss der Saturation-Trilogie folgen.
Der Abschluss
Knapp zwei Wochen vor Release von Saturation III verkündete Abstract via Twitter, dass der Abschluss der Trilogie auch gleichzeitig das letzte Studioalbum der Band sein würde. Der Aufschrei der Fans war groß, man freute sich zwar auf die neue Platte, hatte aber auch mit Wehmut zu kämpfen. Es wurden wieder Videos veröffentlicht, Kurzfilme und weitere Auskopplungen. Einen Tag vor Erscheinen des Abschlussteils schlug die Social Media-Keule wieder zu: Man kündigte für 2018 das vierte Album Team Effort an. Schon wieder spricht man also vor der eigentlichen Veröffentlichung des nächsten Albums über die darauf folgende Scheibe.
we’re a boyband. no solo albums. we’re gonna make as many group albums as we can, thanks if you support. love u guys a lot. see ya on tour
— ian (@kevinabstract) December 14, 2017
Worum geht’s hier, warum funktioniert das?
In den 48 Liedern die man in diesem Jahr von Brockhampton erhalten durfte, bleibt am Ende nur Einzigartiges zurück. Sieben Rapper harmonieren unglaublich gut zusammen, besprechen ihr Leben, kreieren Headbanger, melodiöse Momente, sprechen ernste Themen an, feiern das Leben und die Freundschaft. Zum running gag wurde Abstracts Umgang mit seiner Homosexualität, den er in fast jedem Text irgendwie anspricht (seine Mutter war bzw. ist mit seiner Sexualität nicht einverstanden).
anyways new album tonight and i say i'm gay on every song and talk about how my mom won't accept me poor kevin 😔
— ian (@kevinabstract) August 24, 2017
Es sind einzelne Elemente die sich immer wieder wiederholen: Roberto, der jedes Video auf spanisch eröffnen darf, soll nicht unerwähnt bleiben. Brockhampton hat nicht nur Boybands revolutioniert, sondern auch Hip-Hop auf eine neue Ebene gehoben. Es ist Kunst auf hohem Niveau, Party und Ernsthaftigkeit zugleich. Dass viele Charaktere so gut zusammen funktionieren können, weiß man seit Wu-Tang und Cypress Hill. Dass man aber so unermüdlich hochwertige Musik produziert ist neu und im Grunde genommen unglaublich.
Kevin Abstract liebt es seine Fans an der Nase herum zu führen und sie aber auch immer zum gezielten Hören aufzufordern. So wundert es nicht, dass der letzte Song „TEAM“ von Saturation III nahtlos in den allersten Song „HEAT“ von Saturation I übergeht. Ein nie enden wollendes Tripple Feature. Vielen Dank dafür!
Titelbild: Brockhampton/Youtube/Heat