Plattenzeit #87: Grace Jones – Nightclubbing

4 Minuten Lesedauer

Reggae?


Rein formell ist „Nightclubbing“ ein Dub-Reggae-Album. Für das im „Compass Point Studio“ auf den Bahamas aufgenommen Werk arbeitete Grace Jones, die man nicht zuletzt als Model und durch ihre Rolle in einem James Bond Film kennt, immerhin mit Sly & Robbie zusammen. Doch für „Nightclubbing“ wird diese Spielart nur als „Unterlage“ für ein Album benutzt, das sich graziös durch eine Vielzahl von Genres bewegt.
Mit „Nightclubbing“ war Jones gerade erst ihrer Disco-Phase entkommen. Doch auch diese Phase hallt noch nach, vornehmlich auf „Pull up to the Bumper“. Ansonsten findet man auf „Nightclubbing“ New- oder No-Wave Gitarren, die an David Bowie zur selben Zeit, also Anfang der 80er, erinnern. Daneben gibt es elektronische Spielereien, bei denen man augenblicklich an die Elektronik-Pioniere Kraftwerk denkt. Nicht zuletzt ist das Album dann auch noch eine absolut überzeugende Pop-Platte mit grandiosen Melodien, die von Sprechgesang-Passagen konterkariert werden.
Das Konzept ist einfach. Man „covert“ größtenteils Songs von anderen Künstlern. Nur ein Lied, Feel Up, stammt gänzlich von Graces Jones. Doch sie und ihre Band „covern“ nicht nur, sie eignen sich an, dekonstruieren Songs, legen Basslinien frei oder ersinnen kurzerhand neue Elemente. Über allem thront die wandelbare Stimme von Grace Jones, die hier so selbstbewusst klingt wie selten zuvor und selten danach.
Schnell wird deutlich, in welcher Funktion der angedunkelte Reggae hier steht. Er ist Kitt für die Songs, die ansonsten aufgrund ihre Tollkühnheit einfach in Einzelteile zerfallen würden. Darüber hinaus ist er der Puls, der diese experimentierfreudigen Tracks tanzbar und fast schon discotauglich macht. Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie man zu sich zu diesen Songs auf der Tanzfläche bewegt um dann von der einen oder anderen unerwarteten Passage aufgeschreckt zu werden. Man tanzt dann aber doch weiter, weil der Rhythmus suggeriert, dass eh wenig bis nichts Aufregendes passiert ist.
Bei dieser aufregenden Platte ist es nicht zuletzt die Unmittelbarkeit, die überzeugt. Man erzählt sich, dass Grace Jones, angesichts der Perfektion des Gesangs nur schwer vorstellbar, ihre Gesangs-Spuren in nur wenigen Takes „eingespielt“ hat. Sly & Robbie spielten „ihre“ Musik dabei stets mit Blick auf Grace Jones und ihrer übermächtigen Präsenz ein. Sie war nicht nur Sängerin und fabulöse Interpretin, sie war das dunkel-faszinierende und teils gender-fluide Wesen, das selbst bei den kleinsten Overdub-Arbeiten im Studio anwesend war.


Fazit


„Nightclubbing“ ist hervorragend gealtert. Man muss keine Affinität zu 80er-Sounds vorweisen, um das Album in vollen Zügen genießen zu können. Es ist ein meisterliches, alterslosen und singuläres Werk, das sich kaum klar kategorisieren lässt.
So verwundert es nur wenig, dass damals sämtliche als Singles veröffentlichte Songs des Albums kaum oder gar nicht in den Charts punkten konnten. „Nightclubbing“ war seiner Zeit nicht voraus, es interessierte sich nur nicht für die Zeit oder gar für Zeitgeist. Es absorbierte Stile und Möglichkeiten der damaligen Zeit, transformierte sie aber zu etwas völlig Eigenständigem, das jetzt fast 40 Jahre später immer noch ein wenig futuristisch, jedenfalls aber hochgradig faszinierend klingt.


Zum Reinhören




 Titelbild: (c) flickr.com, Bruno Bollaert

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.