Charli XCX hat die Selbstisolation der Corona-Krise genützt und in weniger als sechs Wochen gemeinsam mit ihren Fans ein Album geschrieben, produziert und schlussendlich auch veröffentlicht.
Der Puls der Musik im Streaming-Zeitalter schlägt schneller als je zuvor. Musikschaffende können zu jeder Uhrzeit ihre Werke online stellen und sie mit der Welt teilen. Wie die Produktion in einer Quarantäne-Phase aussieht, hat Charli XCX mit ihrem neuen Album „How I’m Feeling Now“ gezeigt.
Ein Dreivierteljahr nach ihrem von Kritikern und Fans gelobten Album „Charli“ präsentierte die 27-jährige Britin schon das Nachfolge-Werk. Aufgenommen in ihrem Haus in Los Angeles entstand ein 37-minütiges, elf Lieder umfassendes Feuerwerk, das an die Zeit vor und auch nach der Corona-Krise erinnern soll. Party, Liebe, Freunde, Leben, Tanzen – was man halt so macht.
Wenn wer weiß wie man Popmusik in den 2000ern macht, dann Charli XCX. Als eine der umtriebigsten Songschreiberinnen unserer Zeit, hat sie sich bei der Entstehung des neuen Albums aber nicht von der Außenwelt abgeschottet – was bekanntlich nicht schwer gewesen wäre – sondern ihre Fans und Anhänger aktiv mitarbeiten lassen. In Zoom-Meetings, Instagram Livesessions wurden gemeinsam Texte geschrieben, über eine eigens eingerichtete Mail-Adresse konnten Interessierte Beats schicken, die schlussendlich auch auf dem Album verwendet wurden. Das Musikvideo zur ersten Single „forever“ besteht aus vielen eingesendeten Homevideos der Fans, die Artworks zu den Singles „claws“ und „i finally understand“ stammen ebenfalls aus den Federn der Anhänger. Auch bei der Songauswahl hat Charli auf die Meinung der Fans zurückgegriffen.
Und diese scheinen auf Experimente zu stehen. Dass sich Charli spätestens seit ihrem letzten Album keine Grenzen in der Durchmischung verschiedenster Genres setzt, wird auch hier deutlich. Den Opener „pink diamond“ als schlichte Electro-Pop-Nummer zu bezeichnen wäre eine echte Untertreibung. Eher dürften sich so Raves in den 90ern angefühlt und angehört haben. Generell kann es nicht genug Synthesizer geben, je dreckiger desto besser. Das mag den ein oder anderen Hörer zunächst abschrecken, einige Songs erinnern zunächst an diese von Eltern verhasste Gameboy-Musik der frühen Generationen. Aber wie damals bekommt man diese Melodien dann einfach nicht mehr aus dem Kopf.
„Charli, wie viel Autotune darf es denn sein?“ – „Ja“
Die Stimmverzerrung darf auch nicht zu kurz kommen. Aber sie weiß wie man dieses, für sämtliche Instagram-Nachwuchsrapper überlebensnotwendige, Hilfsmittel einsetzt. Langweilig wird das aber nie. Es gibt auf dem gesamten Album keine Nummer die aus der Reihe tanzt. 37 Minuten wird einem liebevoll in die Fresse geschlagen, sodass genug Zeit zum rhythmischen Taumeln bleibt. Andere würden es vermutlich tanzen nennen.
Die Geschwindigkeit in der dieses Album produziert wurde ist atemberaubend, vor allem unter diesen Bedingungen. Man hört die Wehmut, wenn Charli es vermisst, dass sie ihre Freunde nicht sehen kann. Man hört wenn der Lagerkoller mit dem Lebensgefährten einsetzt aber auch wenn die Zweisamkeit doch auch wieder schöne Zeiten mit sich bringt. Und natürlich werden auch Hymnen geschrieben, um die Post-Corona-Zeit auch ordentlich abfeiern zu können.
Das wird natürlich noch einige Zeit dauern. Dazwischen werden Selbstzweifel kommen, die Charli auch in den vergangenen sechs Wochen begegneten. Und auch diese schwierigeren Momente hat sie mit den Anhängern geteilt. Gemeinsam fand man dann einen Weg raus aus den Tagen wo sich alles schwer und langsam anfühlte.
„how I’m feeling now“ ist mehr als eine einfache Pop-Platte. Es ist Zeitdokument einer verrückten Periode, das sowohl in der Vergangenheit, der Gegenwart und auch der Zeit nach der Pandemie seinen Platz gefunden hat.
Deshalb müssen wir gar nicht großartig auf die einzelnen Songs eingehen (man darf geneigt sein, sie als Volltreffer zu bezeichnen). Die Texte? Gemeinschaftliche Katharsis. Der Sound? Charli schloss die endgültige Transformierung in die Prime-Version von Kanye West ab. Jetzt gilt es den Moment zu genießen und zu hoffen, dass die anschließenden Kanye-Phasen ignoriert werden.
Man sollte „how I’m feeling now“ hören und feiern. Chali XCX ist aus der Liga der Pop-Queens nicht mehr wegzudenken. Mit diesem Album wurde ein ewiges Andenken an eine der verrücktesten Zeitperioden geschaffen.