Sommer letzten Jahres sagte Spotify-CEO Daniel Ek das Unsagbare. Er meinte, dass es für Musiker nicht mehr ausreiche, alle drei bis vier Jahre Musik zu veröffentlichen. Eine Aussage, die bei Musikern sauer aufstieß. Ek hat damit vermeintlich die Quantität über die Qualität gestellt.
Als Subtext klang mit, dass man noch mehr Musik produziert werden müsse, damit die eher mickrigen Auszahlungen über die Streaming-Plattform „Spotify“ dann doch noch einiges in die Tasche der gebeutelten Musikszene spülen würde. Die absolute Entwertung und Produktwerdung von Musik standen zudem im Raum.
Damit war auch das vermeintliche Genie aus seinem stillen Kämmerchen vertrieben. Dieses saß in Lockdown-Zeiten ebendort und erdachte und komponierte das nächste große Musik-Kunstwerk, das es dann zur angemessenen Zeit, nach ausgiebiger Betrachtung und noch längerer Reifung, mit der fachkundigen Hörerschaft teilen würde.
Dass dieses wertvolle, substanzielle Werk dann natürlich nicht auf Spotify landet, liegt auf der Hand. Zu wertvoll ist die darin enthaltene Musik, als dass sie für ein paar Cent dem ignoranten Streaming-Publikum vorgesetzt wird. Perlen vor die Säue werfen quasi.
Bemerkenswerterweise führt dieses Denken in letzter Konsequenz an einen ähnlichen ästhetischen Ort, zu dem der Denkanstoß von Daniel Ek hinführt. Bands und Musiker, die ihre Werke tendenziell als zu wertvoll für Streaming-Plattformen erachten, weichen nämlich interessanterweise auf die Schiene der künstlerischen „Nebenprodukte“ aus.
In diesem Fall sind es aber Produkte, die noch der reinen Musik-Kunst dienen und sich von dieser ableiten lassen. Man denke diesbezüglich nur an die zahllosen farbigen Vinyls, die sich der geneigte Anhänger einer Band vorab bestellen kann. Das führt dazu, dass sich echte Fans natürlich sowohl die gelbe als auch die blaue als auch die goldene Platte (um Beispiele zu nennen) zulegen müssen. Auch aufwändige Booklets bewegen sich auf der gleichen Ebene.
Lässt man den Gedanken von Daniel Ek wirklich zu und sieht davon ab, dass Spotify tatsächlich zu geringe Beträge für Musik-Streaming auszahlt (es gibt aber immerhin gute Alternativen wie Bandcamp oder ähnliches), dann ergeben sich bedenkenswerte Folgegedanken. Musiker, die verschiedene Vinyl-Ausgaben auf den Markt bringen und aufwändige Booklets produzieren, handeln nämlich eigentlich schon in Ansätzen nach der Ek-Maxime, denke diese aber nicht zu Ende.
Auch sie wissen schließlich, dass Streaming und Musikproduktion allein nicht genügen. Fraglich ist aber, ob das als Problem begriffen werden muss oder ob man diese Situation zu einer künstlerischen Entscheidung führen sollte, die Weg von dem Gedanken an die „reine“ Kunst führen sollte.
Es ist nämlich an sie problematisch, sich nur mit der Immanenz der Musik zu beschäftigten und von dieser Ausschmückungen der Essenz zu generieren. Die Essenz kann dabei zwar unterstrichen werden, eben etwa mit farbigen Vinyls oder Booklets, niemals aber darf Nebenprodukte generiert werden, die einer gewissen Marktlogik folgen.
Was Ek nämlich letzten Endes meinte: Macht nicht nur Musik und erwartet, dass mit Streaming das große Geld verdient werden kann. Schafft vielmehr „Nebenprodukte“ und begreift euch als Marke in einem Musikmarkt. Das hat das Genre Metal schon immer besser begriffe als beispielsweise der Jazz. Eine gute Metal-Band ist eine Marke, die man gerne trägt und zu mehr folgerichtig auch gerne steht, indem man T-Shirts und Merchandise von ebendieser kauft.
Begibt man sich in Pop-Gefilde, ist ein ähnliches Bild sichtbar. Ariana Grande wirft in regelmäßigen Abständen Parfüme auf den Markt, Rihanna hat mittlerweile eine eigene Frauenunterwäsche-Linie und Beyoncé kooperiert für ihre Sportmarke Ivy Park mit Adidas.
Konterkariert das deren Musikschaffen? Nicht wirklich. Aber das Denken von Rihanna & Co. ist ein anderes als bei denen mit „Kunstessenz-Denken“. Sie denken ihr Schaffen nicht von der Kunst als unantastbares und wichtigsten Gut her, sondern von sich selbst als Marke in einem komplexen und umkämpften Markt.
Jedes Produkt, jede Fotografie von ihnen und jedes Album ist Teil dieser Marke. Wer glaubt, dass die Produkte und das Auftreten der hier genannten Frauen willkürlich ist letzten Endes billig ist, dem sei ein Blick auf deren Instagram-Profile und Homepages empfohlen. Die Kleidung sitzt, die Parfüms sind schön und markengetreu aufgemacht und jeder Blick und jede Inszenierung zeigt die harte Arbeit, die dahintersteckt.
Die Geringschätzung der „reinen“ Künstler und Musiker für solche Tätigkeiten und Produkte zeigt, dass sie auf dem Holzweg sind. Sie träumen von einer Zeit, in der mit Musikverkäufen und genialen Meistwerken ein Auskommen und Leben zu bestreiten war. Eine Zeit, die nicht mehr wiederkommt. Und das ist eigentlich gut so.