New York City ist keine homogene Stadt, sondern zerfällt in viele kleine Einzelteile und disparate Teilaspekte. Das lässt sich als Vielfalt, Heterogenität oder Überkomplexität beschreiben. Wenn es dazu so etwas wie einen Soundtrack gibt, dann ist es die Musik der in Brooklyn ansässigen Gitarristin und Komponistin Mary Halvorson.
Sie darf als Schlüsselfigur der „freien Musik“ in New York gelten. Ihre Musik ist eigensinnig, ihr Spiel frei und radikal, ihr Gitarrenspiel mit einem unverkennbaren Klang und Signature-Sound versehen, der zugleich hintergründig-stolpernd und doch konfrontativ-unmissverständlich daherkommt. Ihre Musik nimmt Umwege, macht den Weg zum Ziel und agiert und hantiert still-schmunzelnd mit den Trümmern des einst swingenden und groovenden Jazz.
„Code Girl“, mit der grandiosen Amirtha Kidambi am Gesang, macht das so deutlich wie kaum eines der zahlreichen Projekte von Halvorson. Sogar von New York nach Hall in Tirol ins „Stromboli“ verpflanzt wurde das am Montag hörbar, im gut gefüllten Raum fast plastisch greifbar. Halvorson musizierte stets konzentriert, in ihre Blätter mit geschriebener Musik vertieft. Fast unbemerkt schliff sie schließlich immer wieder zunehmend Abweichungen ein, nahm sich Freiheiten, ließ ihr labyrinthisches Gitarrenspiel noch zusätzlich vom Weg abkommen und erweiterte ihre Spiel- und Sound-Markenzeichen mit unerwarteten Klang- und Effekt-Momenten.
Ihre Musikerinnen und Musiker, unter anderem Tomas Fujiwara am Schlagzeug und Michael Formanek am Kontrabass, standen ihr dabei songdienlich zur Seite, in den passenden Augenblicke ließ aber auch Halvorson sie glänzen und fokussierte sich auf ihr eigentümliches Spiel mit ungewöhnlichen Akkorden, die sowohl dem zeitgenössischen Jazz als auch dem geräuschhaften Avant-Rock entlehnt waren. Fast schleichend und unbemerkt führte sie damit oftmals Wendungen herbei, deutete Musikabenteuer an und hielt die Lieder, so sehr sie auch in manchen Momenten bewusst ausfransten, im Innersten souverän und selbstbewusst zusammen.
Das Liedhafte war es dann auch, das bei „Code Girl“ eine so große Sogwirkung erzeugte. Man wartete regelrecht auf die Vocals von Amirtha Kidambi, die zugleich im traditionellen Jazz verhaftet blieben und sich doch immer wieder weit hinaus in die wilde Onomatopoesie wagten. Damit wurde sie zur manifesten und leitenden Stimme dessen, was Halvorson auf instrumentaler und kompositorischer Ebene seit Jahren tut: Den Jazz so weit an seine Ränder und Möglichkeiten treiben, dass ihm jegliche lineare Schönheit und verlogene Idylle ausgetrieben wird.
Das damit musikalisch beschriebene New York der Gegenwart ist damit nicht mehr das New York der grellen Lichter, der unendlichen Chancen und der fast bruchlosen Schönheit, die der Stadt von Jazz- und Swing-Legenden angedichtet wurde. New York City ist bei „Code Girl“ eine Stadt mit schönen und vor allem faszinierenden Seiten, aber auch mit einer zum Teil hässlichen Fratze, mit haltlosen Abgründen und himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Die Musik von „Code Girl“ ist letzten Endes nicht zuletzt ebendas: Zugleich anziehend, aber auch stellenweise abstoßend, hermetisch und überkomplex. Dass dahinter, wenn man ganz viel Hörarbeit investieren will, wiederum eine andere Form von Schönheit lauert, ist ein wunderbares Paradoxon dieser wundersamen Musik.