Eine Replik auf Markus Stegmayrs Beitrag: Der linksradikale Pöbel machte in Wien mobil.
Neulich, an meinem Arbeitsplatz: Meine Wiener Arbeitskollegin und ich führen eine unserer wenigen Diskussionen über das Thema Politik, die damit begann, dass sie sich über die Demonstrationen gegen den WKR – Ball beschwerte. Natürlich, versicherte sie mir, sie finde den WKR Ball nicht gut. Sie sei natürlich nicht rechts. Aber die Gegendemonstrationen seien genauso schlimm: Man kann, so ein fast wörtliches Zitat, an dem Tag gar nicht durch Wien gehen, und, nun ganz wörtlich, die da draußen sind genauso schlimm wie die drin.
Erst nachdem ich heute Markus Stegmayrs Beitrag gelesen habe, weiß ich, was mich an dieser Deutungsweise besonders stört, denn Markus hat das, was meine Arbeitskollegin gemeint hat, dann verbal auf den Punkt gebracht. Es ist diese Gleichsetzung von Rechten und Linken, die ja in der Politik Gegensätze wie Feuer und Eis bedeuten. Diese Gleichsetzung funktioniert nur dann, wenn man ihnen jede Vernunft, jede Ernsthaftigkeit, jede Berechtigung der Teilnahme am politischen Diskurs abspricht; man meint dann – wie Markus das tut, sie wären nicht gleich in ihren Ansichten, sondern gleich dumm, beinahe wahnhaft; und wir – die Normalen – diskutieren, ganz klar, nicht mit den Verrückten. Hinter dieser Äußerung verbirgt sich, wenn ich es etwas geschwollen ausdrücken darf, ein Ausschließungsmechanismus, der beide Parteien in das Reich des Abnormalen, des Auffälligen, kurz: des nicht Ernstzunehmenden verbannt – doch nicht nur die Botschaften, sondern auch die Beteiligten selbst.
Wie komme ich zu dieser Behauptung? Betrachten wir einmal nicht so sehr, was Markus schreibt, sondern wie er es formuliert: „Was sich da gerade in dieser Szene bewegt kann nur mit absoluter, unreflektierter Dummheit beschrieben werden. Oder auch mit Mitläufertum. […]“ Über die politischen Äußerungen des von ihm kritisierten Teils der Szene schreib er, dass „das Mitglied des linken Pöbels gebetsmühlenartig hohle Phrasen und Thesen nachplappert[…]“.
Die Denkfigur hinter der Ausschließung I: Das Demokratieverständnis
Der linke Pöbel – diese Semantik schlägt ein, denn sie bedeutet, ich stehe auf einer anderen, höheren Stufe. Welche andere Intention als die Ausschließung, die Delegitimerung von Interessen sollte wohl sonst hinter der Verwendung eines solchen Begriffes stecken? Warum sollte jemand so eine widerwärtige, abstoßende Bezeichnung für eine ganze Gruppe von Menschen wählen, die er noch dazu nicht einmal kennt, und das in einer Zeit, in der ein unhinterfragbarer gesellschaftlicher Konsens über Gleichheit aller Menschen besteht? Warum riskiert man dann die öffentliche Bloßstellung als derjenige, der den Konsens nicht anerkennt? Und warum muss man zugleich behaupten, überdurchschnittlich kulturell gebildet zu sein, wenn nicht, um die Ausschließung aus dem Diskurs intellektuell zu rechtfertigen?
Der Punkt ist: Die Wortwahl kann man schlimm finden, aber sie ist mehr Mittel zum Zweck, damit in der Öffentlichkeit eine Denkfigur zu einer anerkannten (Deutungs-)wahrheiten werden sollen. Und um die geht es. Die erste lautet, dass in einer Demokratie eben nicht mehr jede Person unter jeden Bedingungen seine Meinung kundtun könnte, sondern nur die, die sich an die Regeln hält. Bedeutet konkret: Ich, als gebildeter, zivilisierter und steuerzahlender Bürger habe das Recht, meine Meinung zu äußern – aber nicht, weil mir dieses Recht in einer Demokratie zugesprochen wird, sondern weil es mir von meinen MitbürgerInnen zugesprochen wird, weil ich zur Norm, zum Normalen gehöre. Sobald ich diese Norm verlasse – weil ich zum Beispiel zu Gewalt greife –, könnte mir dieses Recht auch wieder abgesprochen werden; nicht formal, aber indem meiner Aussage keine Beachtung geschenkt werden muss – denn ich bin ja „der Randalierer“ oder „der Pöbel“.
Die Denkfigur hinter der Ausschließung II: Zum Problem der Gewalt
Die zweite Denkfigur, der wir uns nähern wollen, sehen wir in der Begründung der Ausschließung: Es geht um die gewaltsame Dimension des Protests. Ich schicke vorweg, dass ich Gewalt auch nicht unterstützen würde und hier nicht rechtfertigen will. Aber Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Von Ulrike Meinhoff stammt das bekannte Zitat: „Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausend Steine geworfen, ist das eine politische Aktion. Zündet man ein Auto an, ist das eine strafbare Handlung, werden hunderte Autos angezündet, ist das eine politische Aktion.“ Die tiefere Wahrheit dieses Zitats ist: Im ureigensten Wesen der Politik und ihrer Exekutivorgane liegt eine Dimension von Gewalt, Politik bedeutet oftmals, in das Leben von Menschen einzugreifen, ob nun mit oder gegen ihren Willen. Die Frage ist nicht: Was ist Gewalt, sondern, was erkennen wir als Gewalt an, und was nicht, weil wir es als „legitime Gewalt“ erachten?
In einer Demokratie – so könnte man meinen – beantwortet sich diese Frage leicht: Weil sich die Demokratie ihre Gesetze selbst gibt, sind Verstöße gegen sie illegitim (anders als etwa die französische Revolution von 1789, in denen kein Rahmen zum zivilen Protest vorhanden war). Aber ist das tatsächlich so einfach? Nein, es gibt in unserer Gesellschaft Randgruppen (Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle), die in zu geringem Ausmaß vorhanden sind, um auf demokratischem Weg eine Verbesserung ihrer Situation erreichen zu können; oder Menschen, die ihre Interessen nicht artikulieren, kennen oder für sie eintreten können. Nun sind sie entweder so gering ausgeprägt, dass die demokratische Mehrheit auf sie keine Rücksicht nehmen müsste oder sie bringen sich ohnehin nicht ein; in jedem Fall, sie können „legal“ unterdrückt werden. Sind sie nun auch an eine Rechtsordnung gebunden, die ihnen kein Recht gibt? Slavoj Zizek gibt darauf eine interessante Antwort: Er meint, dass die Unterdrückung von Minderheiten nicht nur nicht akzeptiert werden müsse, weil sie unmenschlich ist, sondern auch, dass ihr möglicher illegitimer gewaltsamer Protest im Sinne der Demokratie funktional ist. In der Struktur der Demokratie liegt die Möglichkeit, dass eine Mehrheit eine Minderheit unterdrücken kann (aber auch umgekehrt), und so braucht es ein Korrektiv, das Zizek „göttliche Gewalt“ nennt: „Dieser obszöne Exzess ist ein notwendiger Bestandteil des Souveränitätsbegriffs, die Asymetrie ist dabei strukturell […]. Und die „göttliche Gewalt“ des Volkes korreliert mit diesem Machtexzess: Sie ist ihr Gegenstück, sie zielt auf diesen Exzess und unterminiert ihn.“ (Zizek 2012, in: Demokratie – eine Debatte, Suhrkamp Verlag, S. 129).
Unterm Strich
Worüber sich Markus beklagt, ist die Einfachheit oder Dummheit, die von Linken ausgeht. Markus macht – und das ist peinlich – leider dasselbe. Es ist zu einfach und entsprich nicht dem Wesen der Demokratie, Personen nicht mehr ernst zu nehmen, sobald sie sich nicht mehr nach einer „Norm“ – worin sie auch immer besteht – verhalten. Es ist auch zu einfach, die dieser Beurteilung zu Grunde liegende Verhaltensweise – in diesem Fall Gewalt – undifferenziert und losgelöst von historischen, oder auch konkreten gesellschaftlichen Situationen, zu betrachten. Und es ist, last but not least, sehr stark vereinfachend, die eigenen Annahmen – was ist die Norm, was ist „normales“ Verhalten und „legitimer“ Protest – als absolut zu betrachten und anhand dieser zu richten.
Ich selbst möchte aber auch nicht richten. Mit diesem Beitrag wollte ich vor allem darauf aufmerksam machen, wie oft wir selbst Opfer unseren unbewussten, gesellschaftlich produzierten Annahmen werden, aufgrund derer wir in Gut und Böse, Richtig und Falsch einteilen. Vielleicht besteht Bildung weniger im Konsum hochstehender Kulturgüter (dass das nichts bedeuten muss, wissen wir seit Hitlers Vorliebe für Wagner), sondern in der Bewusstmachung dieser gedanklichen Schemata und der Frage, wie sie in unsere Köpfe kommen.
P.S. Den Jazz hat übrigens der – aus der Sicht der damaligen bürgerlichen Mitte – schwarze Pöbel Amerikas groß gemacht hat. Das könnte die Selbstironie des Textes sein, auf die Markus in den Kommentaren auf seiner Facebookseite hingewiesen hat. Ob er sie so ganz bewusst in den Text gestreut hat, darauf würde ich nicht wetten.
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Auch ich würde links nicht mit rechts gleichsetzen. Die (auf)rechten WKR-Ballgäste machen sich einen schönen Abend und tanzen in der Hofburg, und die linken Chaoten („nie wieder Österreich“ – was ist denn das für ein politisches Programm??) demolieren inzwischen die halbe Stadt. Meine Sympathien haben klar die Rechten.