Die Zeit ist reif. Nein, nicht um einen Kinderwunsch zu realisieren, hingegen reif für ein Umdenken. Der Druck seitens jener, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, steigt und findet nicht lediglich in einem begrenzten wissenschaftlichen Diskurs, sondern nun auch im öffentlichen, Gehör. Es geht dabei um die Frage, aus welchen Gründen sich hormonelle Verhütungsmittel für den Mann nicht durchsetzen. Anstatt, wie so oft, medizinische Überlegungen anzustellen, soll eine andere, grundlegende Perspektive auf die Thematik geworfen werden.
In Hinblick auf die Foucault’sche Theorie der „den Menschen bis in die kleinsten Kapillaren des Körpers durchdringenden Machtstrukturen“, stellt der Bereich der Sexualität keine Ausnahme dar. Vor allem in heterosexuellen Beziehungen beruht die Rollenverteilung keineswegs auf einem Moment der freien Entscheidungen. „Frei sein“ bedeutet im eigentlichen Wortsinn autonom, frei von Zwängen und äußerer Unterdrückung zu sein, eigene Entscheidungen treffen- und Pläne und Ziele verfolgen und realisieren zu können. Die Aufzählung ließe sich bestimmt um einige weitere Elemente ergänzen. Freiheit geht also über die Sphäre des Erlaubtseins hinaus. Freiheit, bzw. das, was als solches angesehen wird, unterliegt einer historischen und kulturellen Kontingenz. Was zu einem Zeitpunkt als freier Willensakt betrachtet wird, kann zu einem anderen als Zwang erscheinen, also den Modus ändern. Freiheit ist demnach nicht kontextunabhängig. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Was in den 70er Jahren als „sexuelle Revolution“ propagiert wurde, da Frauen (nun endlich?) selbstbestimmt über Familienplanung aufgrund der „Pille“ verfügen durften, kann in heutiger Zeit als Zwang und Unterwerfung des herrschenden Konsens seitens der Mädchen und Frauen wahrgenommen werden. Denn durch die Etablierung der Pille wurde die Einnahme derselben prozesshaft zur Normalität; und wo Normalität, ergo ein den Normen unterliegender Sachverhalt, auftaucht, erscheint zeitgleich das Phänomen der Anormalität. Es handelt sich hierbei um Ausgrenzungsmechanismen. Der gesellschaftliche Druck auf Seiten der Frauen steigt, es erfolgt eine Art Unterwerfung, da der Druck als seiend angesehen, akzeptiert und hingenommen wird. Hinzu kommt eine kollektive Amnesie, die das Vergangene vergessen lassen will. Die Praktik wird somit immer noch im Namen der Freiheit und Selbstbestimmung ausgeübt – falls es das jemals gewesen sein sollte. (Zur Erinnerung, der Leitspruch damals lautete: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“. Dass dieser aberwitzige Reim aus der Männerreihe gerufen wurde, sollte bedacht werden, wenn von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung die Rede ist.)
Somit wird der Zwang als solcher nicht wahrgenommen. Jener zeigt sich lediglich im Nicht-konform-Gehen, wenn demgegenüber mit Stigmatisierung begegnet wird. Die Arten der Stigmatisierung können variieren, die Motive können divergieren. Was der Logik der jeweilig herrschenden Sozialordnung, die ihrerseits wiederrum durch die Strukturen der Macht durchdrungen ist, widerspricht, wird im Keim erstickt.
Freiheit und Zwang, so antagonistisch sie sich auch gegenüberstehen mögen, stellen lediglich zwei Seiten ein und derselben Medaille dar – im Fachjargon als dialektisches Prinzip bezeichnet. Freiheit kann in Zwang überführt werden, Zwang kann in Freiheit münden.