Wie Vice funktioniert

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Sprachstil

<Vice> hat seine Low-Budget-Unabhängigkeit schon lange zugunsten größerer Projekte und Möglichkeiten eingelöst. Von dem einstigen Independent-Status kann nicht mehr die Rede sein. Dennoch wird es noch unter diesem Namen verkauft und rechtfertigt damit auch seinen angestrebten „Laissez-faire Stil“ aus der Ich-Perspektive – wenn dabei überhaupt von einem bestimmten Stil gesprochen werden kann – der die Artikel durchzieht. Dabei drängen sich folgende Fragen auf: Warum sollte damit zwingend eine Sprache einhergehen, die über das Umgangssprachliche hinausgeht? Warum wird einer politisch korrekten Ausdrucksweise kaum Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl Politik zu einem der essentiellsten Themen des <Vice> stilisiert und worauf sich bei Kritik am meisten berufen wird, und wobei auch Verantwortlichkeit, die bei journalistischer Tätigkeit nicht wegzudenken ist, keine Rolle spielt? Angesichts des ökonomischen Einflusses, der vor allem durch breit angelegtes Marketing erreicht wird, kann von purem „Laissez-faire“ allerdings nicht mehr gesprochen werden. Es stellt de facto keinen unabhängigen Journalismus dar, der nicht zutiefst durch marktgerichtete Faktoren determiniert, limitiert- und auf diesen positiv rückgebunden wäre. Vor allem stellt es aber keinen linken Journalismus dar, denn dieser übt Kritik an den sozialen und ökonomischen Verhältnissen und macht sie nicht zu dessen Maxime. Das Konzept bzw. die Auslegung beruht also auf einem inhaltlichen Widerspruch. Das führt zum zweiten bedeutenden Faktor, der von Bedeutungsaufladung nur so strahlt.

<Lifestyle>

Was bedeutet das? <Lifestyle> ist eine Form der Einstellung, die – und das ist von Bedeutung – einhergeht mit ökonomischer Verfügbarkeit. Sich für oder gegen eine bestimmte Lebensweise entscheiden zu können, setzt vor allem ökonomische Ressourcen voraus. Viele Personen(-gruppen) haben diese Entscheidungsmacht nicht. Und da liegt auch das Grundproblem: <Lifestyle< geht einher mit Exklusion und somit mit Diskriminierung. Die, und das ist gerade heute der Fall, vermeintlich autonome und unabhängige Organisation <Vice> gibt vor, was gesollt oder nicht-gesollt ist, welche Lokalitäten besucht werden sollten, welche Mode getragen werden sollte und vor allem was als egal erachtet werden sollte. Man lebe nur einmal. Es ginge um nichts. Und dass es um nichts ginge als das richtige Outfit für die richtige Party mit den richtigen Drogen und sich als Frau mit unter nicht zu ernst zu nehmen, sollte zu denken geben. Das ist ein Habitus, der eine gesellschaftliche und ökonomische Überlegenheit anzuzeigen versucht, der als solcher aber unthematisiert bleibt, denn das rebellische Ideal haftet ihm (zu seinem Gunsten) immer noch an. Aber wogegen wird genau rebelliert? Gegen existenzielle Zwänge? Gegen soziale Ungleichheit? Vielmehr werden bestimmten Mythen und Ungleichheiten subtil reproduziert.
Natürlich stellt das Medium <Vice> ein äußerst vielschichtiges dar, was eine Kritik schwierig macht, die nicht Pauschalisierungen zu verfallen droht. Diese Tatsache scheint aber auch das Erfolgsrezept auszumachen: Von allem ein wenig, nicht zu viel, moderat vom Inhalt, derb im Stil. Immerhin, es geht ja um nichts!

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