Innsbruck könnte so cool sein. Wenn nur nicht alles auf die Touristen und auf den Tourismus ausgerichtet wäre. Genug junge Leute wären ja da. Es würde zu einer richtig lässigen Stadt locker reichen, wenn man die jungen Leute nur mal machen ließe. Stattdessen: Ungerechtigkeit in Sachen Subventionen und Förderungen an allen Ecken und Enden. So wird Innsbruck garantiert nie Berlin werden. Noch nicht mal München.
Kein Wunder jedenfalls, dass sich jetzt sogar wegen ihrem Studium da gebliebene Studenten aus Deutschland anschicken, Innsbruck zu einem besseren, urbaneren Ort zu machen. Manch einer dachte beim gestrigen „Grand Motel Festival“ gar, sich temporär in Berlin zu befinden. Endlich!
Und genau das ist der Punkt: So etwas geht halt nur temporär, weil schlicht und einfach das Geld fehlt. Ja, es gibt schon Förderungen von Stadt und Land. Aber die reichen halt nicht um dauerhaft etwas auf die Beine zu stellen. So etwas funktioniert nur über Selbstausbeutung und durch Leute, die ihre ganze kreative Energie in etwas stecken, an das sie wirklich glauben. Ohne solche Leute würden wir uns nach wie vor im kulturellen Mittelalter und Niemandsland befinden. Wir müssen schlicht und einfach unendlich dankbar sein.
Leider ist das aber nicht überall so. An anderen Orten wird immer noch an der Vergangenheit festgehalten. Tags zuvor war jedenfalls so gar nichts zu spüren von urbaner Aufbruchsstimmung, unbedingter Gegenwartsbezogenheit und kreativem Chaos. Im Rahmen von „Musik +“ spielten „Scherzi Musicali“ Kompositionen von Moteverdi, Sances und Zanetti. Eben die „Alte Musik“ -Schiene, die sich im Heute ja nun wirklich niemand mehr anhören möchte. Die Stücke hätten Substanz und wären tatsächlich zeitlos. So stand es zumindest sinngemäß im dazugehörigen Programmbuch.
Aber was bringt uns das bitte schön alles, als junge Leute im Hier und Jetzt, wenn das alles kein musikalisches Neuland gutmacht und überhaupt keine neuen urbanen Räume erschließt? So ist es kein Wunder, dass primär Zuhörer über 40 einen lauschigen, gediegenen Abend mit veralteter Musik verbringen wollten.
Revolutionär sieht beim besten Willen anders aus! Zum Glück müssen wir uns nicht auf das Musikprogramm dort in Hall in Tirol verlassen. Gott sei Dank zeigen und ein paar ehemalige Studenten, wie Urbanität und Gegenwart funktionieren. Schöne historische Kulisse mit historischer Musik reicht einfach nicht.
Wer in Innsbruck aber glaubt, dass es schlimmer nicht mehr kommen kann, der täuscht sich in den allermeisten Fällen. Wer an einem Samstagvormittag gemütlich durch die Altstadt schlendert, vielleicht dann sitzend noch einen zweiten oder dritten Kaffee trinken möchte, der muss auf alles gefasst sein. Denn das musikalische Grauen könnte einem schneller widerfahren als einem lieb ist.
Gestern zum Beispiel wagte sich gar die „Stadtmusikkapelle Wilten“ in die Altstadt und spielte vor Vergangenheit und reaktionärem Mief nur so strotzende Blasmusik. Den Zuhörerenden schien es dennoch zu gefallen. Und da wurde es wieder sichtbar: In Innsbruck wird halt alles auf die Touristen ausgerichtet. Die wollen natürlich schöne Trachten sehen und Blasmusik hören. Die verstehen nichts von der reinen, wahren und schönen musikalischen Lehre der Gegenwart.
Wir müssen uns also alles selbst aufbauen. Das haben damals ja auch schon Tocotronic gewusst. Während in der Innsbrucker Innenstadt Blasmusik gespielt wird und in Hall in Tirol der „Alten Musik“ gehuldigt wird, ist es unsere Aufgabe zu zeigen, dass es neue, urbane Räume zu erschließen gilt.
Zum Glück war dann am Samstag beim „Grand Motel Festival“ weder etwas von Vergangenheitsbezogenheit noch von reaktionärem Mief zu spüren. Auch das Publikum war deutlich jünger. Und Touristen brauchte man hier erst gar nicht zu suchen. Menschen, die wussten wie es mit Innsbruck wirklich weitergehen sollte, waren unter sich.
Ein Innsbrucker Stadtmagazin postete auf Facebook, dass es schon ganz schön voll beim Festival sei. Auf dem Bild waren aber noch einige Plätzchen zu sehen, die sich sehr gut füllen ließen. Das Bild sprach also eine eindeutige Sprache: Popkultur-Auskenner aller Länder vereinigt euch! Kommt zum „Grand Motel Festival“! Nehmt euren Platz in Beschlag. Zeigt wie jung und urban Innsbruck ist. Keinen Zentimeter dem Tourismus, alles der gegenwärtigen Alternativ-Kultur!
Der Nachmittag begann dann erst einmal mit Regen, der nicht schwächer werden wollte. Die Kreativität der Veranstalter war gefragt. Planen mussten her. Klappte alles auch ganz hervorragend. Beschallt wurde die Regenstimmung von einer Band, die teilweise ein wenig wie Notwist für Arme klang. Aber hey: Besser ein Hauch von Notwist als gar kein Notwist-Sound. Irgendwie musste man ja Monteverdi und die Blasmusik loswerden, die einem in Innsbruck immer mal wieder um die progressiven Ohren gehauen wird.
Nach der ersten Band wurde kurzerhand das Programm umgeworfen. Statt der geplanten Yarah Bravo erklomm der Wiener Rapper Monobrother die Bühne. Tatsächlich gelang ihm im Duo mit einem zweiten Rapper der eine oder andere Wortwitz, über den sich schmunzeln ließ. Unter Umständen lässt sich eine solche Zeile auch auf T-Shirts drucken. Ich würde sagen: Mission erfüllt. Die zuerst eher gelangweilte Crowd war durch diesen Act erst einmal ein wenig aufgetaut.
Innsbruck – Quo vadis?
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.