Plötzlich war alles anders. Rassismus, Kleingeistigkeit und Provinzialismus waren Denkweisen, an die man sich in Österreich nur mehr entfernt erinnern konnte. Kein Wunder. Denn all das gehört jetzt der Vergangenheit an, mit der wir nun endgültig abschließen müssen.
Endlich haben Weltoffenheit, Großzügigkeit und Menschlichkeit in unserem kleinen Land Einzug gehalten! Das alles verdanken wir der Flüchtlingsthematik. Endlich ist etwas in Bewegung geraten. Ganz Europa verändert sich gerade und wir sind mittendrin! Na wenn das kein Grund zur Euphorie ist. Wenn das kein guter Grund ist, sich Hals über Kopf in die derzeit vorherrschenden „Willkommenskultur“ zu stürzen und sich solidarisch mit den flüchtenden Menschen zu zeigen. Schließlich sind wir alles Menschen!
Kein Wunder also, dass wir jetzt auf einmal jeden Menschen mit offenen Armen bei uns hier in Österreich empfangen. Es ist unsere Pflicht. Als Menschen müssen wir mit anderen Menschen menschlich umgehen. Keine Frage nämlich: In dieser Welt gibt es zu viel Ungerechtigkeit, zu viel Leid. Uns hier geht es hingegen gut. Da ist es nur folgerichtig, dass wir ein Stück vom Kuchen abgeben und helfen, wo immer wir nur können.
Wir dürfen es einfach nicht vergessen, dass wir alle die Nationalität „Mensch“ haben, die gleiche Sonne sehen und auf dem gleichen Planeten leben. Grenzen, Nationen oder gar eine nationale Identität braucht es dazu ganz garantiert nicht. Die Probleme der Menschheit sind hausgemacht und der Kleingeistigkeit der Erdbewohner zu verdanken. Doch damit ist jetzt zum Glück Schluss!
Die „Willkommenskultur“ hilft uns dabei die Situation endlich klar zu sehen. Die flüchtenden Menschen, die unsere Hilfe brauchen, sind keine Menschen mit abweichenden Erzählungen, mit anderen kulturellen Kontexten, mit uns möglicherweise „fremden“ Geschichten.
Ihre Geschichten und ihre Erfahrungen irritieren oder verunsichern uns nicht, sondern sind eine Bereicherung für uns. Kann ja nicht schaden, wenn das miefige, kleingeistige Österreich mal ein bisschen mit fremden Kulturen in Kontakt kommt. Das bringt uns weiter auf dem Weg eine Menschheit zu sein. Ein bunter Haufen an Menschen und Kulturen, die sich alle schätzen, respektieren und als Menschen behandeln.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Daran besteht kein Zweifel. Ein paar Monaten noch und wir leben alle in einem multi-kulturellen Paradies, in dem Konflikte, Meinungsverschiedenheiten und Missverständnisse endlich der Vergangenheit angehören. Dazu braucht es eigentlich nicht viel. Wir müssen uns nur ganz genau zuhören, die jeweilige Geschichte des anderen verstehen lernen, uns respektieren und gegenseitig als Bereicherung betrachten. Schließlich sind wir alles Menschen – warum sollten wir uns da nicht verstehen?
Die wenigen Menschen, die noch nicht unserer Meinung sind werden wir leicht überzeugen. Schließlich sind Meinungsmacher wie Joko und Klaas, Oliver Kalkofe und noch einige mehr auf unserer Seite. Vermutlich auch Till Schweiger, der manchmal zwar ein wenig prollig rüberkommt, aber letztlich auch nur die Wahrheit sagt und in unserem Sinne spricht.
Schön wird das in diesem post-nationalen und post-europäischen Leben. Wir singen, tanzen, feiern und essen miteinander. Babel, Konflikte und Unverständnis waren gestern. Jetzt verstehen wir uns wieder und sind das, was wir eigentlich schon immer waren: Eine Menschheit! Warum haben wir eigentlich so lange gebraucht um das (wieder) zu begreifen?
Möglicherweise lohnt es sich mit dieser Thematik sachlicher und rationaler zu beschäftigen. Unter Umständen wäre es sinnvoll sich nicht mit einem reichlich verkürzenden und naiven Humanismus anzunähern. Aber das sind Stimmen im derzeitigen Diskurs, die zum Glück kaum gehört werden und nur allzu leicht in ein politisch fragwürdiges Eck gestellt werden können.
Meine Meinung zu all dem ist deutlich: Es reicht so alles zusammen nicht aus! Die „Willkommenskultur“, obwohl derzeit alternativlos, löst keine Probleme! Es genügt nicht mit einem „Willkommen-Schild“ am Bahnhof zu stehen. Es genügt nicht, die „Eine-Menschheit“ zu beschwören. Es gibt nach wie vor Rassismus, Kleingeistigkeit und Provinzialismus in Österreich!
Die „Willkommenskultur“ hat die Tendenz die tatsächlichen Verhältnisse zuzudecken, schließlich sind wir ja alles gute Menschen. Wir feiern uns selbst, während der „braune“ Bodensatz unbemerkt wachsen und gedeihen kann. Das könnte gefährlich werden. Wir werden uns stattdessen ganz konkret mit Problemen, Missständen, Differenzen, Konflikten und Missverständnissen beschäftigen müssen. Nur dann gelangen wir zu nachhaltigen politischen und sozialen Lösungen.
Schluss mit DIESER "Willkommenskultur"!
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.