Nein, das ist keine Konzertkritik. Nein, das ist auch alles andere als ein objektiver Text. Dieser Text geht von einer subjektiven Betroffenheit aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht, weil alles was hier geschildert werden soll rein subjektiv ist und somit jeglicher Möglichkeit einer Objektivierbarkeit schlicht unzugänglich wäre. Möglicherweise ließen sich nämlich zumindest intersubjektive Betrachtungsweisen daraus ableiten.
Der Ansatz ist aber ein ganz anderer: Das Subjekt in seiner „Entworfenheit“ und „Geworfenheit“ soll hier eine Rolle spielen. Das Subjekt als ein Produkt von sozialen und kulturellen Prozessen. Das „Subjekt-Sein“ in all seiner Unterschiedlichkeit und in seinen Abweichungen.
Letztlich folgt daraus aber hier die Frage: Was ist schief gelaufen, wenn sich eine Gruppe von StudenentInnen an einem lauen Frühherbst-Abend im Open-Air-Kino an der SOWI einen Till Schweiger Film ansieht während in der Sowi-Aula Beat Furrer dirigiert – sogar ein Werk aus seiner eigenen Feder? Und das auch noch mit einem hervorragenden Orchester, dem Münchner Kammerorchester?
Seit längerer Zeit ist es jedenfalls deutlich geworden, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Diese kurze Beschreibung hier soll verdeutlichen, warum dem so ist. Ein kürzlich stattgefundener Besuch der „Klangspuren“ in der SOWI-Aula machte es nur allzu klar: Das Publikum der Klangspuren blieb, mehr oder weniger, unter sich. Die Dichte der bekannten und vertrauten Gesichter, die man dort traf, war durchaus erstaunlich. Die Anzahl von Leuten, die entweder selbst komponierten oder mit Musik in der einen oder anderen Weise zu tun hatten war beträchtlich.
Der Rest lässt sich wohl am einfachsten mit Menschen beschreiben, die wenig Interesse an der Musik an sich mitbringen, es aber irgendwie schick finden sich bei solchen Veranstaltungen mit sogenannter „E-Musik“ sehen zu lassen. Das symbolische Kapital muss schließlich angehäuft werden, wen schon die tatsächliche bürgerliche Mittelschicht mit ihrem ökonomischen Kapital mehr und mehr wegbricht.
Wenn schon der Job unterbezahlt ist und wenn schon die eigene Berufstätigkeit mehr und mehr wackelt, dann muss zumindest mit einem Konzertbesuch des richtigen Konzertes gezeigt werden, dass man nicht zum einfachen „Pöbel“ gehört. Gut einstudierte Gesten helfen dabei, Interesse an der Musik zumindest vorzutäuschen.
„Neue Musik“ oder mittelmäßiger Kinofilm: Eine Frage der kulturellen Sozialisierung?
Gehen wir dabei davon aus, dass es verschiedene Prozesse gibt, was die jeweilige „Subjekt-Werdung“ betrifft. Einfach gesagt: Du bist, was du liest, siehst, rezipierst und hörst. Außerdem und vielleicht noch (ge)wichtiger: Das was du gehört, gesehen und vorgesetzt bekommen hast.
Daher wäre es auch sehr einfach zu sagen, dass die heutigen StudentInnen schlicht nicht mehr mit der sogenannten „Neuen Musik“ aufgewachsen sind und somit kaum Interesse daran haben. Solche Klangexperimente sind schlicht und einfach den Menschen zugänglicher, die auch ein Elternhaus hatten, in denen hin und wieder solche Klänge durchs Wohnzimmer waberten, schwebten und sich teilweise auch mit dem großbürgerlichen Hang zur Gediegenheit rieben.
Einfach gesagt: Ein junger Student, der möglicherweise mit Roy Black und Schlagermusik im Elternhaus aufgewachsen ist, wird in dieser Hinsicht wohl nur schwer ein wirkliches musikalisches Bewusstsein für Klangexperimente entwickeln.
Nur: Diese Sichtweise ist mir zu fatalistisch. Sie legt nahe, dass alles oder zumindest sehr viel von Elternhaus und sozialem Umfeld grundgelegt wird. Das ist falsch, auf alle Fälle aber verkürzt. Denn im Heute hätte jeder die Gelegenheit, die Bücher zu lesen, die er lesen will und die Musik zu hören, die er hören möchte.
Dazu genügt es, lediglich einen Bruch damit herbeizuführen, was man früher so alles frei Haus serviert bekommen hat. Sei es unreflektiert vor dem Fernseher sitzend, sei es als noch unmündiges Kind von den Eltern. Sich allein auf Subjektivierungs-Prozesse zu fokussieren hieße den Handlungsspielraum des Einzelnen zu unterschätzen.
Nein, wir brauchen keine neue Aufklärung. Aber wir brauchen ein neues Bewusstsein, dass wir als Subjekte zwar immer einen Teil „Unmündigkeit“ an und in uns haben werden, weil uns unsere Konstituierung als ebensolche nicht vollständig zugänglich werden wird. Wir haben aber auch die Möglichkeit einen Teil dieser Prozesse ans und ins Licht der Mündigkeit und der Reflexion zu holen. Wir haben Entscheidungsgewalt darüber, wer wir sind und mehr noch: Wer wir sein wollen und wer wir sein werden!
Kunst ist in dieser Hinsicht nicht nur Kunst. Musik nicht nur Musik. Film nicht nur Film. Es ist entscheidend, was wir sehen, hören, lesen und rezipieren.
Dazu gibt es im Grund eigentlich nur zwei Wege: Wir können den gemütlichen, gemächlichen Weg gehen. Den Weg der Prägung, des Naheliegenden, des Durchschnittlichen und Einfachen. Wir können uns gemütlich in Klappstühle vor die SOWI setzen und uns gemütlich von einem unbedeutenden Film von Til Schweiger berieseln lassen. Damit häufen wir zwar weiteres „kulturelles Wissen“ an, rezipieren, verändern uns aber als Subjekte nicht.
Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund. Veränderung bedeutet Anstrengung. Der Wille zur Veränderung setzt Mündigkeit und Willen voraus.
Im Konzertsaal lauerte also die möglicherweise „harte“ Arbeit sich mit Musik zu beschäftigen, die sich immer wieder in Bereiche des „Freitonalen“ bewegt. Unter Umständen auch die Situation, an manchen Stellen in seinen Hörgewohnheiten und in seiner kulturellen Prägung irritiert zu werden.
Draußen hingegen Studenten, die ihren Abend damit vertun sich einen mehr als nur mittelmäßigen Film anzusehen. Gemütlicher ist es nämlich allemal. Ob es auch zur eigenen Entwicklung beiträgt? Egal. Hauptsache ein Bier dazu getrunken.
Versteht mich nicht falsch. Das letzte was ich will ist die gesamte Studentenschaft pauschal zu verurteilen. Aber die Tendenz zu Bequemlichkeit und Oberflächlichkeit ist augenscheinlich. Lieber ins nächste angesagte Lokal gegangen als sich mit schwieriger Musik oder anspruchsvoller Kunst beschäftigt. Lieber noch ein Bier getrunken, vielleicht untermalt mit seichter Elektronik-Mucke, als sich wirklich mal in einen Konzertsaal gesetzt und wirklich zugehört. Lieber in ein Konzert der eigenen Szene wegen gegangen als auch mal den Mut gehabt, ein Konzert zu besuchen, welches die eigenen Szene-Freunde vielleicht nicht so gut finden könnten.
Was sagt uns das über die vermeintliche zukünftige intellektuelle Elite? Ich weiß es (noch) nicht exakt. Ich weiß nur, dass ich die zukünftigen Akademiker lieber bei einem Konzert der „Klangspuren“ sehen würde als sie völlig apathisch auf Leinwände starren zu sehen. Sie hätten es in der Hand ihrer völligen Degenerierung noch entgegen zu treten. Als mündige, bewusst rezipierende Menschen, die sich auch vor harter Arbeit mit „schwieriger“ Kunst nicht drücken. Ich habe einen Traum. Aber möglicherweis ist es dazu schon zu spät.
Es wäre auf alle Fälle höchste Zeit! Weil es so nicht weitergeht. Die Hörer von „E-Musik“ dürfen nicht weiterhin so unter sich bleiben und sich in ihrer eigenen vermeintlichen Aufgeklärtheit suhlen. Die Studenten müssen aufrücken und diese Szene irritieren! Ansonsten geht diese Musik auch irgendwann den Bach runter. Was uns dann noch bleibt ist gemeinsam apathisch unterdurchschnittliche Filme anzusehen. Und das ist definitiv kein Zukunfts-Szenario, das ich mir ausmalen möchte…
P.S.: Diese Polemik wurde von der Kunstfigur „Dr. Pöbel“ verfasst. Ähnlichkeiten mit unserem Kultur-Chef Markus Stegmayr sind möglich, aber nicht beabsichtigt und vermutlich rein zufällig.
Titelbild: Marcelo Hernandez
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Vollkommen richtig, man müsste viel öfter die neue Musik hören, aber vor allem das Publikum geniessen, denn nichts ist unterhaltsamer als der wahre Glaube daran.