Zum ersten Mal ist es mir 2014 richtig bewusst geworden. Iron Maiden haben einen Headliner-Gig bei „Rock am Ring“ gespielt. Ich war nicht dabei. Aber ich habe durch Zufall eine Live-Übertragung miterlebt, untertitelt mit Twitter-Kommentaren (!!) der Zuschauerinnen und Zuschauer. Jetzt könnte man erst einmal einwenden, dass all dieses neumodische Social-Media-Zeugs nicht so richtig zu dem britischen Heavy-Metal-Urgestein Iron Maiden passt. Und erst recht nicht zu deren Fans.
Das ist ein berechtigter Einwand. Aber es ist ja auch denkbar, dass die ältere Generation, die mit Iron Maiden quasi aufgewachsen ist, jetzt langsam auch die Segnungen der modernen Technik entdeckt. Es ist möglich, dass diese Generation zwar elektronisch generierte Beats immer noch ablehnt und die reine Lehre des Heavy-Metal immer noch vertritt – aber in anderer Hinsicht doch mit der Zeit geht.
Die Kommentare unter den aufspielenden Iron Maiden haben aber diese Annahme ad absurdum geführt. Nicht nur die in die Jahre gekommenen Iron Maiden-Fans schauten ihren ebenfalls schon dezent angegrauten Heroen dabei zu, wie sie auf der Rock am Ring Bühne herum hopsten, sprangen und posten, sondern vor allem auch eine ganze Heerschar von jungen Menschen. Das zeigten jedenfalls die Twitter-Kommentare und die Bilder der Kommentierenden.
Auch junge Frauen waren darunter, die man ansonsten auf Heavy-Metal Konzerten kaum findet. Heavy Metal als letzte Bastion der Bier trinkenden, grölenden, sich sexistische Frauenwitze erzählende Männer war offenbar damit auch endgültig Geschichte. Die Postmoderne hatte wohl alles in sich zusammenkrachen lassen, an das es sich jemals zu glauben lohnte. Traurige „Post-Postmoderne“, in der junge, eigentlich unauffällige Menschen mit ganz normalen Jobs als brave Angestellte plötzlich schrieben, dass sie dieses Konzert so „boah, eh geil“ fanden, dass es am besten nie mehr aufhören sollte.
Wären diese jungen Twitter-Nutzer vor Ort gewesen hätten sie möglicherweise gar „The Number Of The Beast“ mit gegrölt und dabei gar nicht gewusst, dass sie den Leibhaftigen anrufen. Im allerschlimmsten Fall hätten junge, leicht depressive Mädchen, die ansonsten eher der Linkin Park Fraktion zuzurechnen waren, vor Ort auch Iron Maiden T-Shirts getragen. Vielleicht wäre gar wieder die gute alte „Kutte“ ausgegraben worden, mit Metallica, Slayer, Megadeth und sonstigen Aufnähern. Am größten hätten dabei natürlich Iron Maiden auf der eigenen Jeans-Jacke geprangert.
Die Zeichen wären damit endgültig verwirrt und sinnentleert gewesen. Der Aufnäher „Iron Maiden“ hätte nicht mehr auf das Leben eines post-pubertären Mannes verwiesen, der als tendenzieller Außenseiter unter Iron Maiden und Metallica Fahnen in seinem dunkel ausgemalten Jugendzimmer saß und sich fragte, wie zur Hölle er nun endlich an Frauen herangekommen könnte während er sich seinen nächsten Pickel selbst ausdrücken musste.
Diese verdammte Postmoderne hatte Szene-Zugehörigkeiten und die Eindeutigkeit der Zeichen zerstört. Im Heute hat Iron Maiden zu hören nichts mehr mit dem Bekenntnis zur wahren Lehre des Heavy-Metal zu tun, sondern damit, dass man diese Band „boah, eh“, einfach nur geil findet. Weil sie so schön nach vorne preschen und man dazu so gut seinen Kopf schütteln kann. „Headbangen“ heißt das wohl hier schon länger nicht mehr.
Es ist aber vorstellbar, dass diese absolute Verwirrung der Zeichen auch einen ganz entscheidenden Vorteil mit sich bringt. Gehen wir davon aus, dass die durchaus vorherrschenden Beliebigkeit der Bezüge auch eine enorme Freiheit mit sich gebracht hat.
Im Heute darf ich die neue Miley Cyrus Platte genauso abfeiern wie das neue Album von Iron Maiden, das übrigens auf den Namen „The Book Of Souls“ hört und tatsächlich den im Heute agierenden Metal-Bands mit einer kürzeren Bandgeschichte zeigt, wo der Barthel den Most holt. Übrigens wurde das aktuelle Miley Cyrus Album von Wayne Coyne produziert, seines Zeichens der Mastermind der Indie-Übergötter Flaming Lips. Dass das geht und mancherorts sogar noch gefeiert wird ist definitiv ein Zeichen der Zeit.
Nun wäre es ein Leichtes dieses Sich-Bedienen aus verschiedenen Kontexten zu verteufeln und als absolut beliebig und wahllos zu brandmarken. Das mag zum Teil auch stimmen und das Ergebnis ist im obigen Fall auch zum Teil zweifelhaft. Es geht aber um etwas Anderes: Diese relative Freiheit und Offenheit der Zeichen und der Systeme hat auch dazu geführt, dass sich ein ganz normaler Jugendlicher, der ansonsten mit Heavy-Metal und dessen Szene nichts am Hut hat, aus diesem Zeichenfundus der heutigen und damaligen musikalischen Möglichkeiten bedienen kann.
Er muss dazu nicht mehr in Kauf nehmen, dass sich die Zeichen der jeweils gehören Musikrichtung ganz tief in seinem Leben einschreiben. Soll heißen: er muss nicht mehr Heavy-Metal T-Shirts tragen, er muss sich nicht mehr irgendwelchen Szene-Ritualen unterwerfen oder sein Denken und Handeln diesen damit einhergehenden Konventionen unterwerfen. Im Heute sind musikalisches Material und damit einhergehende Szene zum Teil voneinander trennbar. Das ist eine positive Entwicklung.
Die Musik von Iron Maiden als „Ear-Opener“?
Abgesehen von den bloßen Möglichkeiten, dass die heutige Jugend wieder Heavy Metal hören darf ohne von Metal-Fans oder von Miley Cyrus Fans schräg angeschaut zu werden habe ich noch eine weitere Vermutung, warum es den Trend bei jungen Menschen dahin gibt, wieder „handgemachte“ und gut gespielte Musik zu hören.
Die These die am nächsten läge wäre den jungen Menschen im Heute eine Art Sehnsucht nach den „guten alten Werten“ zu unterstellen. Kein Wunder, dass die Jugend und die jungen Menschen konservativ sind, wenn die ganz Welt samt klarer Werten und Weltanschauungen den Bach runtergeht. Wenn es schon sonst kein bisschen Sicherheit mehr gibt, dann möchte sie halt wenigstens ihre Musik konservativ, ehrlich und bodenständig haben.
Diese These ist überaus plausibel. Aber meiner Meinung nach ist sie Humbug. Viel eher haben wir es mit einer anderen Sehnsucht zu tun, die bei jungen Menschen immer wieder durchkommt, ob reflektiert oder nicht: Die Sehnsucht nach einer Band, die ihre Instrumente im Schlaf beherrscht. Der Wunsch danach, dass Virtuosität, nicht verstanden als Muckertum aber als solides Handwerk von erfahrenen Musikern, wieder eine größere Rolle im Heute spielt.
Allein die Tatsache, dass junge Menschen die manchmal doch etwas langwierigen Gitarren-Soli von Iron Maiden nicht als mühsam empfinden, sondern dazu erst recht ausflippen zeigt das recht eindeutig. Der Musik für junge Leute ist nachhaltig und über die Jahrzehnte sukzessive die Virtuosität und das spielerische Vermögen ausgetrieben worden. Wer ein Gitarren-Solo spielte war der Anti-Christ, den es zu bekämpfen galt. Wer über das musikalische Können einer durchschnittlichen Rock-Pop-Band mit zu stark verzerrten Gitarren hinausging war in Verdacht, dem reinen Muckertum und dem eigenen musikalischen Ego zu huldigen.
Daher meine Vermutung, die wohl mehr eine Hoffnung ist: Aus den ganzen postmodernen Möglichkeiten bildet sich ein Kreis, welcher der musikalischen Beliebigkeit dank Iron Maiden den Rücken kehrt. Die Musik der Jugendlichen wird dank dieser Musikrezeption wieder mit spielerischem Vermögen und abenteuerlichen Riffs gefüllt und ein Gitarren-Solo ist nicht mehr peinlich oder eine Ausgeburt der Hölle.
Schließlich darf man davon ausgehen, dass sich im Umfeld von Iron Maiden auch andere Bands im Heute tummeln, die hörenswert wären. Von Iron Maiden zu Mastodon oder Baroness ist es nur ein kleiner Schritt. In diesem Zuge ließen sich auch noch die Okkult-Rock-Götter Ghost mitnehmen, die sogar schon im Vorprogramm von Iron Maiden spielen durften. Man hört auch, dass James Hetfield von Metallica ein großer Fan dieser Band ist.
Ich hätte nie gedacht, dass ich das schreiben würde. Aber ich traue Iron Maiden in dieser Hinsicht mehr pädagogischen Wert zu als allen Wandas und Madsens der deutschsprachigen Welt. Während diese die musikalische Eingeschränktheit und das „Ja-nicht-gut-Gitarre-spielen dürfen“ und „Gitarren-Solo-Pfui-Gack“ forcieren ließe sich mit Iron Maiden & Co. eine ganz neue musikalische Welt jenseits der Dogmen der „Jugendmusik“ der letzten Jahre aufstoßen.
Möglich wäre es. Träumen werde ich ja wohl noch dürfen. Und ja: Es darf darüber diskutiert werden, warum die Jugend im Heute Heavy Metal hört!
Titelbild: wikipedia.org
Sehr schöner Artikel!
Es ist richtig, dass viele Jugendliche wieder Metal hören, aber auch Hard Rock und Classic Rock etc. erfreuen sich wieder größerer Popularität junger Hörer wie mir.
Ich bin 18 und selbst Gitarrist, mache Musik eigentlich schon seit ich 6 bin.
Seit diesem Alter bin ich auch sehr Musik begeistert und suche immer neue bzw. alte Sachen die ich hören kann und die mir zusprechen.
Natürlich höre ich auch manchmal Musik die gerade so im Radio läuft.
Manchmal ist es auch ganz schön, aber man merkt schnell, dass viele Lieder die heute in den Charts sind nach Schema F geschrieben und produziert sind.
Es scheint als hätte die Pop-Welt eine Formel gefunden mit der sie am meisten Geld machen können, wobei man vielen Songs auch anmerkt dass es nur darum geht, Geld.
Wenn ich sowas also eine Zeit lang gehört habe, sehne ich mich wieder nach Musik die mit Seele und Leidenschaft gespielt wird, in denen sich die Musiker nicht an das diktierte Schema, sondern an ihren Instinkt und ihren eigenen Geschmack halten.
In der es darum geht etwas zu erschaffen.
In der man als Höhrer heraushören kann, wie sich der Musiker fühlt.
In der nicht der PERFEKTE sondern der ECHTE Klang zählt und die soviel mehr Ausdrückt als nur leere Worte und einfache Akkorde.
Nebenbei bemerkt fällt es mir auf, dass die meisten Leute in meinem Alter die Metal etc hören auch selbst Musik machen.
In diesem Sinne Danke für diesen schönen Artikel.