Karl Ove Knausgård ist ein norwegischer Schriftsteller. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärt er: „Ich zweifle immer noch an mir, jeden Tag! Gestern erst habe ich meinem Lektor einen neuen Text geschickt – voller Angst, dass er den Ansprüchen nicht genügt… Sonst lese ich andere Autoren nicht, weil ich angesichts ihrer Brillanz immer in die Gefahr gerate, mein Schreiben wertlos zu finden.“ Hellmuth Karasek war Journalist, Autor, Kritiker und Humorist. Journalist wurde er, laut eigener Aussage, um „die Großen dieser Welt zu interviewen, sprechen, kritisieren und bewundern zu können“. Und ich bin… Eine gute Frage. Keine leichte Frage.
Wer sind wir? Was macht uns aus? Was müssen wir leisten, tun, sagen, schreiben, malen, um jemand zu sein? Um eine Zuschreibung zu bekommen? Er ist Bankkaufmann in der örtlichen Bank. Und Vater. Sie ist Lehrerin am städtischen Gymnasium. Und Tante. Er ist dritter Hornist bei der Musikkapelle und sie Leiterin des Kirchenchores. Beide schauen leidenschaftlich gerne Filme und schreiben dann darüber – für sich uns ihre Freunde. Er fährt jeden Sommer an die 3.000 Kilometer mit dem Rad. Sie schwimmt drei Mal in der Woche 10 Längen. Er ist ein leidenschaftlicher Koch und sie bäckt für ihr Leben gerne. Er ist sensibel. Sie auch.
Ich schreibe gerne. Und viel. Ich lese häufig. Online. Zeitung. Bücher. Ich denke darüber nach. Über das Geschriebene. Über das was in der Welt passiert und wieso es passiert. Ich versuche Dinge nachzufühlen, nachzuspüren. Zu verstehen wieso Menschen reagieren wie sie reagieren und wieso sie tun, was sie tun. Ich beobachte viel. Gesichter. Mundwinkel. Augenlider. Lachfalten. Ich höre zu. Geschichten über Liebe, Sex, Arbeit, Angst, Glück, Verlassen, Freude. Ich schaue. Theaterstücke. Filme. Serien. Bilder. Ich genieße. Gutes Essen. Wein. Spaziergänge. Ich sitze häufig in meinem Büro. Am Schreibtisch und tippe vor mich hin. Ich habe Träume. Möchte etwas erreichen. Möchte gelesen werden. Verstanden werden. Möchte, dass meine Texte die Menschen berühren.
Manchmal sitze ich, wenn alle das Büro verlassen haben, einfach so da und schaue aus dem Fenster. Dann schweift mein Blick über die rostroten, braunen Dächer, zu den Häusern die sich an die Ausläufer der Berge schmiegen, zu dem Wald darüber, der sich zunehmend verfärbt und abschließend hoch zu den Gipfeln, weit über dem Tal. Ich sitze dann da und stelle mir genau diese eine Frage, die ich bisher nicht beantwortet habe – wer bin ich?
In dem Theaterstück das ich gerade für ein Schulprojekt schreibe, ist „wer bin ich“ – die Suche nach der eigenen Identität, nach einem Platz in der Gesellschaft, nach der Rolle im System – der zentrale Konflikt. Die Schüler der Theatergruppe haben sich dieses Thema gewünscht. Es beschäftigt sie. Ich habe sie an meinen Texten mitarbeiten lassen, sie nach ihren Erfahrungen gefragt, sie Gedanken aufschreiben lassen. Im Stück treffen nun Charaktere, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, aufeinander. Reiben sich. Vergleichen sich. Suchen dem eigenen Platz, die eigene Rolle, die eigene Identität im Außen. Sinnbildlich. Ich bin der, als der ihr mich wahrnehmt.
Wie im Stück, findet sich auch in der Realität die tatsächliche Wahrheit jedoch nicht in den Zuschreibungen und Beurteilungen von außen. Sie liegt noch nicht einmal im tiefsten Inneren. Es gibt sie schlicht nicht. Denn sie ist nicht das Ziel eines Weges, einer Reise. Die Wahrheit über mich, über „wer bin ich“, ist einfach erklärt. Ich bin ein Zweifler. Einer der sich jeden Tag selbst hinterfragt. Der andere bewundert für ihre Worte, ihre Texte, ihre Taten. Ich bin voller Liebe und voller Hass. Ich bin volle Glück und voller Trauer. Ich bin gut und ich bin böse. Ich bin nichts und deshalb alles.