Viele reden von Meinung. Mancher spricht von Objektivität und Subjektivität. Kaum jemand aber hat im Journalismus diese Begriffe so definiert, dass sich daraus kreative und originelle Positionen ableiten ließen.
Es ist vermeintlich eindeutig, dass wir es bei der vielbeschworenen Objektivität mit Journalismus zu tun bekommen, der seine ihm zugeschriebenen Hausaufgaben gemacht hat. Der Autor solcher Texte ist sachlich, hat die richtigen Zahlen, Daten und Fakten zur Hand und ist selbstverständlich einer gründlichen Recherche verpflichtet.
Was dann auf Papier kommt hat Hand und Fuß, hält jeglichen Angriffen stand. Den richtigen Fakten und den exakt zitierten Aussagen von wichtigen Menschen sei Dank. Der Autor hält Distanz und lässt die Sache für sich sprechen. Er hilft ihr höchstens noch dabei, sich selbst auszudrücken. Die Wahrheit und die faktische Ebene existiert, es liegt an guten Journalisten sie möglichst gründlich, exakt und umfassend darzustellen.
Der subjektive Autor hingegen schreibt sich in den Text ein. Er verfälscht die faktische Ebene und die „Wahrheit“ mit seinem ganz persönlichen Blick. Er bringt seine Position als Subjekt zum Ausdruck. Mit all seinen Befindlichkeiten, Meinungen, Haltungen und möglicherweise auch Vorurteilen. Er lässt sich völlig gehen, assoziiert frei und hat auch mal den einen oder anderen literarischen Kunstgriff zur Hand. Auch das Thema Fiktion ist ihm nicht ganz fremd.
Die Fakten und Zahlen kümmern ihn nur wenig. Vor allem im Kulturjournalismus ist es darüber hinaus fraglich, ob es diese überhaupt gibt. Ja, dieses Album wurde in diesem Jahr veröffentlicht. Aber was lässt sich sonst noch sagen?
Meiner Meinung nach ist diese konstruierte Dichotomie Humbug. Beide Kategorien sind weitestgehend unbrauchbar. Schreiben, beschreiben und journalistisches schreiben sollten ab sofort anders bestimmt werden.
Gehen wir davon aus, dass es eine reale Welt gibt, darüber hinaus kulturelle Phänomene und politische Ereignisse – und natürlich noch einiges mehr. Ohne Begriffe und ohne Wissen ist das schreibende Subjekt blind. Es erkennt nichts, sondern nimmt die Phänomene und die Ereignisse nur als amorphe Ansammlung von etwas wahr, das es nicht näher bestimmen kann.
Das schreibende Subjekt ist im besten Fall immer auch ein informiertes, wissendes Subjekt. Es recherchiert, bildet sich weiter, liest viel, findet Begriffe für das, was ringsum passiert. Nur so kann es schreiben, bewerten, unterscheiden und analytisch und scharf wahrnehmen.
Das „wissende Subjekt“, mit all seinem Wissen, seinen Annahmen, seinen Erfahrungen schreibt. Es schöpft aus dem Vollen der textlichen und literarischen Möglichkeiten. Es beschreibt die Welt, es beschreibt Phänomene, es macht sich seinen eigenen Reim darauf. Dinge und Phänomene können sich nicht selbst ausdrücken. Es ist auch unmöglich, ihnen dazu zu verhelfen, sich selbst zum Ausdruck zu bringen.
Es gibt nur den Schreibenden und die Phänomene. Es geht darum, diese möglichst kenntnisreich und präzise zu beschreiben, mit all den Mitteln und dem Wissen, die einem schreibende Subjekt zur Verfügung stehen. Mit all seiner Subjektivität hat der Autor der Welt und den Phänomenen zu einer Art „objektiven“ Wahrhaftigkeit zu verhelfen, die dem Leser glaubhaft und wahr erscheint.
So jedenfalls stelle ich mir einen zeitgemäßen Journalismus vor. So stelle ich mir Journalismus vor, der auch in Zukunft gelesen wird. So stelle ich mir einen ganzheitlichen Ansatz vor, der Kategorie wie Objektivität und Subjektivität nicht mehr benötigt. Es geht um Meinung, um Wissen, um Recherche, um Subjektivität. Es geht um Alles!
Objektiver Journalismus? Den gibt es nicht!
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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.