Die Schwierigkeit eine Kolumne zu schreiben, besteht in der Regelmäßigkeit in der man es tun muss. Es gibt Tage an denen sitzt man vor dem Laptop und die Worte sprudeln nur so aus einem heraus. An anderen Tagen gleicht das Schreiben eher einem schwankenden Schiff das im Hafen vor Anker liegt. Es schaukelt, es schwappt, vorwärts geht jedoch nichts. Eine besondere Herausforderung ist das Kolumnenschreiben an besonderen Tagen, zu besonderen Anlässen. An solchen Tagen merkt man wie nahe das Schreiben eines Textes am realen Leben hängt.
An Feiertagen, egal ob private, wie Geburtstage oder kollektive, wie Weihnachten, an solchen Tagen geben sich Menschen besonders Mühe. Ein jeder macht sich fein. Bei der morgendlichen halben Stunde im Bad, werden die Rasierklinge besonders fein geführt, die Creme besonders dick aufgetragen und die Haare besonders sorgfältig gespült. Ein jeder ist besonders nett, besonders höflich, besonders zuvorkommend und besonders darum bemüht, dass das Fest ein schönes wird. Wenigstens an diesem einen Tag soll der Alltagstrott vor der Haustüre bleiben und in der Kälte warten. Im Inneren ist es wohlig warm, die Familie beisammen und das Glück zugegen. Erst wenn alle satt, beschenkt und beglückwünscht, tief ins Sofa sinken, ist der Tag ein wirklich schöner, ein besonderer, ein guter Tag eben.
Doch kollektives Bemühen baut Druck auf. Sprechen Sie doch einmal mit einem Schauspieler und fragen sie ihn wie schwierig es ist, eine Rolle zu halten. Nicht aus der Rolle zu fallen gleicht einem Kraftakt dem nur wenige gewachsen sind. Wer sich bei einer großen Familienfeier einmal die Zeit genommen hat das Spektakel mit etwas Abstand zu betrachten, dem offenbart sich meist ein unterhaltsames, oftmals ein trauriges, doch stets ein höchst emotionales Theaterstück in unzähligen Akten. Ein jeder hat seine Rolle. Vom Patriarchen, über die Dienstmagd, den Küchenchef und den Gaukler, bis hin zu einfachen Statisten ist das gesamte Volk versammelt.
Vielerorts heißt Beisammensein auch gemeinsam trinken. Je höher die Anzahl der Runden, die die Wein-, Schnaps- oder Punschflasche durch die illustre Gesellschaft gemacht hat, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus seiner Rolle fällt. Plötzlich werden der Patriarch zum ungerechten Tyrannen, die Dienstmagd zur ewig Unbeachteten und Missverstandenen, der Küchenchef zum Narren und der Gaukler zum Geächteten. Gerade in den letzten Akten, zu später Stunde, erreicht ein Theaterstück oft seinen Höhepunkt. Dann fliegen Teller parallel zu bösen Worten quer durch den Raum, wie es sonst nur Schneebälle im Freien tun.
Ja auch das ist Weihnachten. Und ich bin versucht zu sagen, genau das ist Weihnachten. Es ist Weihnachten, wenn Laien Theater spielen, einfache Nordmanntannen zur Dekoration werden und krächzende Stimmen sich als Weihnachtschor versuchen. Wenn alle zusammenkommen, an einem Tisch, gemeinsam essen, trinken und sich gemeinsam bemühen. Es ist Weihnachten, wenn der Druck zu groß wird, die ersten aus der Rolle fallen und sich endlich trauen ihre Meinung gegenseitig offen und ehrlich ins Gesicht zu sagen. Ja das ist Weihnachten. Und das ist gut so.
Wo Menschen zusammenkommen ist nicht immer alles schön, gut, friedlich und perfekt. Wie schnell würde ein Theaterstück uns Zuseher langweilen, wenn kein Gauner, kein fieser Peter, keine arme Marie, keine Eifersucht, keine Tragödie und kein Witz darin zu finden wären? Zum Leben gehören nun mal die hellen, aber auch die dunklen Seiten. Bei all der strahlenden, grellen Weihnachtsbeleuchtung und dem vom Punsch getrübten Blick, ist es ohnehin schon schwer genug zu sehen was im Schatten so verborgen liegt.
Es ist wie mit dem Kolumnenschreiben. Wenn man sich zu sehr bemüht etwas Besonderes zu leisten, versagt die Kreativität, versiegen die Ideen. In solchen Momenten gibt es nur eine Sache die noch hilft – durchschnaufen, akzeptieren und laufen lassen. Oder sagen wir es einmal so: „Hat der Papa einen in der Krone und die Mutti fürs Backen wieder keinen Lohne. Schläft der Opa fast am Tische, verschluckt sich Oma am Karpfenfische. Schreien Enkel wie die Affen, hat man selten was zu lachen. Stöhnst du laut – was für ein Leid, seid lieber froh, dass ihr zusammen seid.“
Vielleicht ist ja genau das, das Besondere an einem solchen Tag!
Hier geht es zu den vorherigen Folgen der Kolumne "Kleingeist und Größenwahn"