Es ist evident. Die Empörung ist zum Antriebsmotor schlechthin geworden. Vor allem online. Ob es sich dabei um den aktuellen „Tatort“ mit Til Schweiger und Helene Fischer oder um die sexuellen Übergriffe in Köln handelt ist dabei nicht entscheidend. Die Empörungswelle steigt stets an, erreicht bald ungeahnte Höhen, läuft völlig aus dem Ruder und ebbt dann ebenso schnell wieder ab.
Kaum etwas bleibt. Vor allem aber übertönen diese Empörungswellen das Leise und Subtile. Zumindest aber den tatsächlichen, differenzierten Diskurs. Die mit den Empörungswellen verbunden Sprache ist eine schreiende, lautstarke Sprache.
Sie neigt dazu abweichende Meinungen einfach zu überschreien und so lange zu überschreiben, bis der Abweichler klein bei gibt und seinen Irrtum eingesteht. Einzelmeinungen haben kein Gewicht in dem Meinungs-Strom, der zur Nivellierung und zur Vereinheitlichung hin tendiert. Wenn es jemals so etwas wie die Schwarm-Intelligenz gegeben hat, dann ist diese im Zustand des Empört-Seins des Online-Schwarms aufgehoben.
Diejenigen, die immer wieder lautstark „Empört Euch!“ skandierten hatten Unrecht. Sie haben falsche Bilder im Kopf und irren sich in ihren Vorannahmen. Sie gehen von einer amorphen Menschenmasse aus, die sich vollständig unpolitisch und verhärtet in ihrer Apathie eingerichtet hat. Mit leerem Blick starrt diese auf Ereignisse. Unbeteiligt , gleichgültig und teilnahmslos. Nichts kann diese Masse empören.
Die Situation muss gänzlich anders beschrieben werden. Wir leben in einem Zeitalter der Post-Apathie. Unsere Blicke sind leer und gleichgültig. Doch wir sind regelrecht süchtig nach Ereignissen und Situationen, die uns empören. Wir gieren danach teilzunehmen und unsere Teilnahmslosigkeit abzuschütteln.
Wir hanteln uns von empörungswürdigem Ereignis zu empörungswürdigem Ereignis um unserer Langeweile und unserer Einsamkeit zu entkommen. Unsere Teilnahmslosigkeit im „normalen“ Leben wird durch ein Online-Leben im dauerhaften Empörungs-Zustand ersetzt. Wir sind nicht mehr vereinzelt oder in Meinungsfragen auf verlorenem Posten. Wir sind Teil einer lautstarken Online-Masse mit Durchschlagskraft.
Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Zustand der wahllosen Dauer-Empörung. Wir müssen wieder mit unserer Einsamkeit und der Langweile umgehen lernen. Wir müssen es riskieren mit unserer Meinung auch wieder verstärkt auf verlorenem Posten zu stehen. Wir sollten auch damit umgehen können, völlig teilnahmslos vor Ereignissen zu stehen, die eine breite Online-Masse zur nächsten Empörung bewegt.
Wir müssen den Mut zum Schweigen aufbringen, immer wieder differenzierte und möglichst kluge Plädoyers fürs das Leise, Subtile und Komplexe halten. Wir müssen es fertigbringen, der immer mehr an Fahrt gewinnenden Empörungs-Maschinerie zu entkommen. Sonst sind wir nur noch Teil einer Empörungs-Masse, die jedweden wirklichen Diskurs mit der Hilfe immer neuer Hashtags ganz einfach niederbrüllt.
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