Fast aus dem Nichts möchte der Hotelier Florian Werner in St. Christoph am Arlberg eine neue Kunsthalle etablieren, zu der man ob des hochkarätigen Programmes und der exzellenten Akustik, von Nah und Fern herbeiströmen möge. Der damit verbundene Hintergedanke ist zudem, vom Wintertourismus in der in Tirol üblichen Form unabhängiger zu werden.
Wenn der Schnee sukzessive jedes Jahr später kommt, müssen eben die Kunst und die Hochkultur herhalten, um die Gäste zu bespaßen. Die Frage, was man im Sommer und vor allem im Herbst in St. Christoph machen soll, ist außerdem bisher noch weitestgehend ungeklärt und könnte in Zukunft mit „arlberg1800“ beantwortet werden.
Fährt man in St. Christoph ein, kommt man nicht darum umhin, an das ähnlich wahnwitzige Projekt von Fitzcarraldo zu denken, der im gleichnamigen Film davon träumt, ein Opernhaus mitten im peruanischen Dschungel zu errichten. Nun ist Florian Werner nicht Klaus Kinski und St. Christoph nicht der Dschungel. Eher schon eine Art Kulturwüste, in der das Vorhaben von Florian Werner einigermaßen absurd erscheint.
Aus musikalischer Sicht sind die Aprés-Ski-Läden am Arlberg nämlich weniger für anspruchsvolle Musik, sondern eher für Schlager und Aprés-Ski-Hits bekannt. Statt DJ Ötzi soll jetzt plötzlich die Musik eines gewissen J.S. Bach am Arlberg Einzug halten. Bachwochen statt Flatrate-Partys. Ein mutiges und in gewisser Hinsicht wahnwitziges Unterfangen.
Hochkultur am Arlberg: Kann Florian Werner das, was er will?
Getrieben ist Florian Werner dabei ganz offensichtlich von seiner Liebe zur Kunst und zur Musik. Der Wille zum hochkarätigen Programm ist zweifellos da. Werner will. Er scheint auch das nötige Kleingeld dazu zu haben. Die Frage wird aber sein, ob das Projekt auch bei seinen wohl durchgehend recht gut betuchten Gästen gut genug ankommt, um es dauerhaft zu erhalten und ob er tatsächlich auf längere Zeit gesehen in der Lage sein wird, ein konstantes, kohärentes Konzert-Programm auf die Beine zu stellen.
Dass es in einer gewissen Geld-Oberschicht zum guten Ton gehört, sich mit seiner Liebe zur Kunst und zur klassischen Musik zu schmücken ist evident. Der Soziologe Pierre Bourdieu würde von den „feinen Unterschieden“ und vom „symbolischen Kapital“ sprechen. Dieses führt zu sozialer Anerkennung und zu sozialem Prestige.
Wer recht reich ist und sich einen längeren Urlaub im „Arlberg Hospiz“ in St. Christoph leisten kann, der muss auch den entsprechenden Kunst- und Musikgeschmack mitbringen, um sich am Parkett der Gleichgesinnten adäquat bewegen zu können. Wer die kulturellen Grundlagen nicht beherrscht und zumindest die großen und relevanten Namen nicht kennt, der hat schnell verspielt und outet sich als Teil des ungebildeten Pöbels, der nach dem Skifahren lieber saufen statt Klassik hören geht.
Damit lässt sich zu einem wichtigen Punkt kommen. Zu dem zentralen Begriff „Aprés-Ski“. Das französische Wort „aprés“ bedeutet lediglich „nach“. „Aprés-Ski“ bezeichnet also den Zeitraum nach dem Skifahren. Dass diese Wortkombination in Tirol „Halli-Galli-Parties“ und seichte musikalische Unterhaltung konnotiert ist somit nicht naturgegeben, sondern den kulturellen Prozessen in den Wintersportdestinationen zuzuschreiben, die zu einer (Un)kultur des Feierns geführt haben.
Es wird für Florian Werner daher wohl kaum reichen, seine eigene Liebe zur Kunst als Antriebsfeder zu benutzen. Er tritt gegen zwei seiner Idee widerstrebenden Diskurse an: Den Diskurs der oberflächlichen Feier-Kultur, die mehr an Spaß und Unterhaltung als an tiefgehender Freude an Kunst interessiert ist. Und zum anderen ist es der Diskurs des bloß scheinhaften Interesses an Kunst, der ihm einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Es ist zwar schön, wenn seine Gäste am Abend ein hochkarätiges Konzert geboten bekommen. Möglicherweise ist der durch etwaigen Standesdünkel bedingte Musikgeschmack aber weniger echte Liebe, als gesellschaftliche Notwendigkeit und Konvention. Eventuell bleiben die Gäste der Konzerte irgendwann aus und gönnen sich ein 8-Gänge-Menü und eine gute Flasche Wein anstatt sich mit Kontrapunkt, Fugen und Polyphonie herumärgern zu müssen.
Diese Musik ist nämlich, und das darf nicht vergessen werden, nicht nur Untermalung zum Champagner-Genuss, sondern manchmal auch schwere und anstrengende Rezeptionsarbeit. Um sich als gebildet zu geben, genügt es hingegen ein paar Werke der großen Komponisten beim Namen zu kennen und dazu noch ein paar bekannte Interpreten ins Gespräch einzustreuen. Ob man sich tatsächlich damit beschäftigen muss, wie Claire Huangci Werke von Bach und Scarlatti interpretiert, ist in diesem Kontext fraglich.
Wie wird und kann sich „arlberg1800“ positionieren?
Die Kunsthalle „arlberg1800“ muss sich außerdem die Frage gefallen lassen, wie sie sich in der weiten Welt der Kunst positionieren möchte. Sie könnte, wenn das Programm konsequent durchgezogen wird, zu einer Art Mini-Bayreuth für Bach-Hörer werden. Dazu bräuchte es aber eine stärkere Fokussierung und Erfolgsgaranten für eine volle Halle wie Rainhard Fendrich oder Art Garfunkel hätten aber schon gar nichts in dieser Lokalität zu suchen. Auch den Rat, dass weniger Konzerte oft mehr sind, könnte man Florian Werner mit auf den Weg geben.
Die Möglichkeiten diese Halle als Kultur-Hotspot zu etablieren sind definitiv da. Die Akustik und Architektur sind auf dem neuesten Stand und stechen einig andere bereits etablierte Kulturräume in Tirol aus. Es ist aber eine Sache eine Kulturhalle zu bauen und seine Liebe zur Kunst und Kultur zur Antriebsfeder der Programmgestaltung zu machen.
Eine andere und höchst komplexe Aufgabe ist es eine solche Räumlichkeit mit Leben und nachhaltigem und funktionierendem Konzept zu füllen. Es geht darum dem potentiellen Gast und Besucher den letzten Grund zu geben, den doch nicht allzu naheliegenden Weg nach St. Christoph auf sich zu nehmen. Wer die doch divergierende Zielgruppe von Fendrich-Fans bis Bach-Verehrer anspricht, wird vermutlich auf Dauer wohl niemanden wirklich ansprechen.
Es bleibt, Florian Werner mehr Erfolg als Fitzcarraldo zu wünschen. Kultur in kulturlosen Zeiten und Regionen ist allemal ein wichtiges und unterstützenswertes Anliegen. Möglicherweise bekommt „Aprés-Ski“ auch bald in dieser Region und darüber hinaus neue, weitere Bedeutungsebenen. Von der Skipiste direkt in die Kunsthalle, statt wie früher direkt in die Halli-Galli-Party-Hölle. Florian Werner hat einen Traum. Ob sich dieser Traum auch dauerhaft in die Realität umsetzen lässt wird die Zeit zeigen.
Titelbild: Elias Hassos